Donnerstag, 21. Mai 2020
Corona-Tagebuch 42.: Corona deckt Missstände auf
Insidern und einer aufgeklärten Öffentlichkeit sind die skandalösen Zustände in norddeutschen Schlachthöfen lange bekannt: Überlange Schichten, Arbeitsdruck durch Akkord, Mangel an Arbeitsschutz und Hygiene, keine Arbeitsverträge durch ein System von Subunternehmern (bis zu 80% der Belegschaften), keine Betriebsräte, fehlende gewerkschaftliche Organisierung, mangelnde staatliche Kontrolle, miserable Unterbringung in überteuerten Wohnungen oder Heimen. Das langt erst mal.
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Bis auf wenige stört sich niemand bisher daran, außer engagierten Individuen – z.B. ein Pfarrer – und der Gewerkschaft NGG, der wegen des geringen Organisationsgrads die Hände gebunden sind.

Aber jetzt gibt es einen Skandal im Skandal. In mehreren Betrieben sind Corona-Infektionen ausgebrochen. Das wundert niemanden, der die Verhältnisse kennt, vor denen schon lange gewarnt wird. Und nun auf einmal ist „Holland in Not“. Betriebe wurden geschlossen, Arbeiter in Quarantäne geschickt. In die überbelegten Heime und Privatwohnungen etwa?

Wenn die Pandemie etwas Guten haben sollte, dann müssten der Ausbruch in den betreffenden Betrieben die Verhältnisse grundlegend ändern, in allen Betrieben. Und wie? Einfach die aufgezählten Missstände beseitigen, und zwar sofort – per Gesetze, Verordnungen, Kontrolle und gewerkschaftliche Organisierung.
Bleibt aufrecht und gesund!

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Corona-Tagebuch 41.: Vorurteile und Aufklärung
Über die Anti-Corona-Demonstranten wird z.Zt. heftig debattiert. Woher stammen deren Motive? Wie lässt sich dem begegnen. Jan-Philipp Reemtsma hat dazu einiges erklärt (taz nord 20./21.05.20) Befragt, was dagegen zu tun sei, antwortet er: „Nichts“. Er empfiehlt, ihnen nicht zu viel Bedeutung zuzumessen, um ihren Narzissmus nicht zusätzlich zu bedienen. Polizeiliche Begleitung sei nützlich, um Schlimmes zu verhindern. Gegendemonstrationen oder gar Verbote würde diese Menschen nur bestätigen.

Dabei fällt mir eine Erfahrung aus meiner Biografie ein: In der Studentenbewegung kam in Berlin die Idee auf, man müsse die Berliner Bevölkerung agitieren. Offensichtlich dominierte die Springerpresse den Zeitungsmarkt, insbesondere mit dem Boulevard-Blatt BZ sowie der Bild. Dort wurden systematisch Falschmeldungen und reaktionäre Kommentare über die DDR und die Studentenbewegung in Westberlin und Westdeutschland verbreitet.

Wir Studenten hatte die Illusion, durch Straßenagitation eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Kleine Trupps von uns bevölkerten den Ku-Damm, sprachen Passanten an und verwickelten sie in Diskussionen. Nun waren die Ku-Damm-Passanten am Wochenende nicht unbedingt für unsere Anliegen offenen, eher im genauen Gegenteil. Nur wenige ließen sich überhaupt auf ein Gespräch ein und wenn ja in der Absicht uns zu agitieren. Nicht selten schlugen uns Beleidigungen, faschistische Ansichten und Aggressionen entgegen.

Ein Beispiel war besonders grotesk. Einer der Kommilitonen war 1961 kurz vor dem Bau der Mauer aus der DDR geflüchtet. Er sprach ein ziemlich breites Sächsisch. In einem Gespräch mit einem älteren Ehepaar musste er sich erst ein paar Beleidigungen anhören. Z.B. wir seien langhaarige Affen, ungewaschen, würden nicht arbeiten und auf Steuerkosten schmarotzen. Schließlich keifte die Frau: „Hör doch, der spricht ja sächsisch wie Ulbricht. Der ist vom Osten gesteuert, der ist geschickt.“

Unserem Freund fiel angesichts des blanken Hasses nur ein zu kontern: „Und Sie sind ungeschickt.“ Ein Wortspiel, das die beiden eher nicht verstanden. Das Gespräch – wenn man davon reden will – war damit beendet. „Komm Männe, der spinnt doch.“ Wir haben diese Ku-Damm-Agitation sehr schnell aufgegeben. Aber es war immerhin eine wichtige Erfahrung.
Bleibt aufrecht und gesund!

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Freitag, 8. Mai 2020
8. Mai 1945
8. Mai 1945, der Krieg ist vorbei. Deutschland ist besetzt. Die Besatzungssoldaten haben den Auftrag, möglichst umfassend den Nationalsozialismus zu bekämpfen. Einige tun das sehr beflissen. Das spricht sich herum. Fiberhaft werden Symbole und Gegenstände vernichtet oder beseitigt, die Hinweise auf eine NS-Vergangenheit geben. Das war neben vielen anderen auch eine Sorge.

Meine Mutter tat das sehr eifrig. Während mein Vater noch in Gefangenschaft war, musste sie, davon war sie fest überzeugt, den Offiziers-Dolch meines Vaters, mit einem Hakenkreuz „verziert“, beseitigen. Der Schwanenteich schien ihr dafür geeignet zu sein. Sie wickelte ihn zur Tarnung in eine alte Schürze, verbarg das Bündel in meinem Kinderwagen und warf es in den Teich. Aber, oh Schreck, das Bündel ging nicht sofort unter, sondern blähte sich auf und trieb auf dem Wasser. Sie geriet in Panik. Ängstlich blickte sie sich um, ob jemand sie beobachtete. Da niemand in der Nähe war und das Bündel sich auch langsam mit Wasser vollsog und unterging, lief sie erleichtert und rasch nach Hause.



Später gab es noch ein Problem. Mein Vater hatte das „Eiserne Kreuz“ bekommen, das im 2. Weltkrieg mit einem Hakenkreuz versehen worden war. Es musste also ebenfalls verschwinden. Meine Eltern dachten, unter dem Kohlenhaufen im Keller sei es gut versteckt. War es auch und zwar so gut, dass nicht auffiel, dass es mitsamt dem Koks im Ofen verschwand. Beim Reinigen des Ofens von Asche tauchte es wieder auf: Kohlekrümel hatten sich eingebrannt – eine „Entweihung“. Mit einer Drahtbürste wurde es vorsichtig gereinigt und befindet sich jetzt in meinem Besitz.

Aber: Wohin damit? Einem Händler von Militaria will ich es nicht überlassen. Und wir haben eine Gasheizung.

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Sonntag, 3. Mai 2020
Der Tod der Frau B.
Auch wenn die folgende Geschichte den Schluss nahe legen könnte, dass Einsamkeit ein Problem nur von Alten ist - das ist es nicht. Einsamkeit ist nicht altersabhängig. Bei Jüngeren wird es oft nur anders genannt. Von Kindern sagte man in der Corona-Krise: "Ihnen fehlen die anderen Kinder." Von anderen heißt es: "Das ist ein/e etwas Zurückgezogene/r." Das sind Euphemismen für Einsamkeit. Und letztlich ist Einsamkeit kein typisch Corona-bezogenes Phänomen, sondern eine Alltagserscheinung. Wie die folgende Geschichte zeigt.

Ich kam von einer einwöchigen Dienstreise zurück. Während der üblichen Tätigkeiten des Nach-Haus-Kommens fragte meine Frau: "Wann hast du eigentlich Frau B. das letzte Mal gesehen oder gehört?" Frau B. war unsere Nachbarin rechts - oder links, je nachdem wie herum man stand. Ich konnte mich nicht erinnern. Wir waren es gewohnt, sie gelegentlich in den direkt benachbarten Zimmern hantieren zu hören.

Meine Frau machte sich Sorgen: sie hatte länger nichts mehr gehört. "Ob ich besser die Polizei anrufen sollte?" - "Ja, wenn du denkst, einmal zu viel ist besser als einmal zu wenig." Das meinte auch der Polizist. "Wir schicken einen Streifenwagen", der auch kurz danach vor der Tür stand. Die Beamten klingelten bei Frau B., pochten an die Tür, riefen - keine Reaktion. Sie alarmierten die Feuerwehr. Die rückte mit einem Gerätewagen und einem Krankenwagen an und öffnete die Tür. Einer der Polizisten ging hinein, kam aber sofort wieder heraus. Im Haus stank es, und Frau B. lag tot am Fuß der Treppe mit Verletzungen am Kopf.

Das Weitere war Routine: Der Polizeiarzt kam, bestätigte den Tod. Er und die Polizisten sprachen mit uns, weil wir angerufen hatten. Der Arzt, befragt nach der Todesursache, erklärte, die sei nicht mehr festzustellen. Es könne sein, dass Frau B. gestürzt und an dem Sturz gestorben sei, oder sie sei gestorben und dann gestürzt und habe sich dabei die Verletzungen zugezogen. Den Todeszeitpunkt könne er momentan nicht feststellen. Wir machten uns Gedanken, ob Frau B. vielleicht lange verletzt dort ohne Hilfe gelegen hatte.

Denn Frau B. war sehr einsam. Nur sehr selten bekam sie gelegentlich Besuch von einer Taxifahrerin. Diese wurde über den Taxifunk informiert, war eine entfernte Verwandte und konnte Auskunft über die weitere Verwandtschaft geben.

Frau B. lebte ein skurriles Leben. Die Versorgungsunternehmen hatten ihr nach und nach das Wasser, das Gas, den Strom und das Telefon gesperrt. Sie hatte sich mit allen um kleine Beträge gestritten, die sie nicht bezahlt hatte. Ich erfuhr davon eines Abends im Winter. Wir saßen beim Abendbrot, als es klingelte. Eine junge Nachbarin stand mit Frau B. vor der Haustür: Ob ich helfen könne.

Frau B. war im Dunkeln durch die Gärten geirrt und konnte nicht in ihr Haus. Sie hatte in einem Parterre-Zimmer die ungesicherte Türklinke abgezogen, drückte bei dem Versuch, sie wieder einzustecken, die andere mit dem Vierkant nach außen. Durch das Fenster war sie über einen Tisch nach draußen geklettert und konnte nicht wieder zurück. Ich nahm den umgekehrten Weg, suchte und fand im Dunkeln den Lichtschalter, doch das Licht ging nicht an. Ich benutzte meine Taschenlampe, drehte mit einem großen Schraubendreher den Vierkant im Türschloss und öffnete die Tür. Das Nebenzimmer hat eine Tür nach draußen. Wieder betätigte ich ohne Erfolg den Lichtschalter, schloss die Außentür auf und ließ Frau B. herein. Ich stellte jetzt erstmalig fest: Im ganzen Haus gab es kein Licht.

Ihren Wassermangel kompensierte Frau B. dadurch, dass sie Wassereimer, leere Yoghurt-Becher und andere Gefäße auf den Balkon stellte und das Regenwasser auffing. Dort wusch sie sich auch.
Mit den NachbarInnen hatte sie sich systematisch zerstritten. Ein Nachbar legte in seinem Garten einen kleinen Teich an. Frau B. alarmierte die Polizei: der Nachbar baue ein Schwimmbad. Ob das erlaubt sei. Die Polizei rückte an, begutachtete den Teich und fragte den Nachbarn, wie groß der denn noch werden solle. Dieser erklärte: "Der ist jetzt fertig."

Wir kamen von einer Urlaubsreise zurück, ich reinigte das Innere des Autos und hatte beide rechte Türen auf. Frau B. kam den Bürgerstein entlang. Damit sie das Auto passieren konnte, schloss ich die Türen. "Das ist aber nett, dass Sie mir Platz machen." Und ging weiter. Nach zwei Metern drehte sich um und schimpfte: "Schmeißen sie ja nicht Ihren Dreck vor mein Haus!"

Einmal behauptete sie, die Mauer zwischen unseren Balkons sei "verschoben". "Früher war sie so und so", sie fuchtelte mit den Händen in der Luft, "und jetzt ist sie so und so." Ich entgegnet, das könne nicht sein, versprach aber, der Sache nachzugehen. Ich inspizierte die Mauer, hantierte mit dem Zollstock eine Zeit und erklärte, die Mauer sei wie immer. "Na, dann ist es ja gut." Wenn ich einen Streit angefangen hätte, wäre das nicht so leicht gegangen. Aber so viel Langmut brachten nicht alle auf. Unsere Hauswirtin z.B. verließ jedes Mal fluchtartig den Garten, sobald Frau B. heraus kam. Diese züchtete dort Gemüse und Obst, das sie häufig gleich an Ort und Stelle aß. Sie hatte sich mit unserer Hauswirtin schon vor Jahren wegen einer Hecke zerstritten. Meine Frau beschimpfte sie im Garten unvermutet, sie sehe frech aus: "Die Augen sind's, und die Haare.'

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Wenn Frau B. das Haus verließ, war sie tip-top gekleidet und führte immer einen Stockschirm mit sich. Wollte sie den viel befahrenen Osterdeich überqueren, streckte sie den Schirm am langen Arm waagerecht aus und ging einfach los. Die Autos hielten mit quietschenden Reifen. Selten schimpfte ein Fahrer. Den Schirm brauchte sie auch für Fahrten mit der Straßenbahn. Sie fuchtelte damit herum, vertrieb andere Fahrgäste, indem sie behauptete: "Das da ist mein Platz!"

Als sie gestorben war, tauchten Verwandte vom Land auf, die wir noch nie gesehen hatten, und traten das Erbe an. Sie berichteten, außer dem Haus habe sie 250.000 Mark auf dem Konto. Uns wollten sie das Haus für 225.000 Mark verkaufen.

Häufig liest man in Zeitungen Klagen darüber, dass Großstadtmenschen völlig vereinsamt sterben und längere Zeit unentdeckt tot in ihren Wohnungen liegen. Frau B. starb, wie sie gelebt hatte: allein und wohl auch sehr einsam. Aus einer gewollten und selbst verursachten Einsamkeit kann niemand, auch nicht von gutwilligen Menschen, befreit werden.

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Samstag, 7. März 2020
Frauen wären Kriegstreiberinnen?
Die Bundestugendministerin, Steuerbetrügerin und „Frauenrechtlerin“ Alice Schwarzer äußerte sich im „Stern“ zur Frauenrolle: „Frauen sind nicht von Natur aus friedlicher, sie haben einfach nicht die Macht, Kriege anzuzetteln.“ Schon zu Zeiten der Diskussion über Frauen in der Bundeswehr forderte Schwarzer, dass Frauen dann auch Generäle werden müssten. Vielleicht hatte sie da die eigene Karriere im Blick.

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Dann müssen friedliebende Menschen alles dafür tun, dass Frauen nicht mehr Macht bekommen, sonst werden noch mehr Kriege in der Welt angezettelt. Oh nein, bitte nicht!

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Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (Letzter Tag)
Packen geht schnell. Vom Café hole ich Sandwiches, vom Bäcker eine Baguette und eine Rosinenschnecke. Gerhild kocht Kaffee, das ist unser Frühstück und das Geld fast alle, bis auf ein paar Dirham, die Gregor bekommt. Wir sitzen noch etwas in der Sonne, Fatim Sarah kommt, Tschüß zu sagen. Kurz vor 11 Uhr kommen Wemkens vom Frühstück am Strand, das Taxi steht schon vor der Tür. Emotionaler Abschied.
Zügig geht’s mit dem Taxi noch mal die schöne Küstenstraße lang nach Agadir. Früh sind wir am Flughafen, einchecken und warten. Pünktlich geht der Flieger ab, nach gut 4 Stunden sind wir in Berlin. Übernachten bei unserer Schwägerin und fliegen am letzten Tag nach Bremen.

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Freitag, 6. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (14)
Um 10 Uhr gehe ich mit Alice zur Apotheke. Die Apothekerin kennt Decortin nicht, aber den Wirkstoff (gute Idee von Alice, im Internet danach zu gucken). Ich bekomme ein anderes Mittel mit dem Wirkstoff und eine genaue Einnahme-Vorschrift. Der Apotheker im Hintergrund fragt nach meinen Mückenstichen und den Wirkungen der Crème, die er mir beim letzten Mal empfohlen hat. Hat mich also wiedererkannt. Ich nehme das Mittel ein, die Wirkung zeigt sich beruhigend schnell.

Später gehen Gerhild und ich in die Medina bummeln, kaufen Kleinigkeiten, essen auf einer Restaurant-Terrasse mit schöner Aussicht etwas, gehen auf der Promenade zurück. Gerhild geht schwimmen, ich halte wieder das Handtusch. Der Wind hat aufgebriest, ist aber nicht so heftig wie gestern. Viele Wind- und Kite-Surfer auf dem Wasser.

Auf der Baustelle im Viertel: einrichten eines kahl gepflasterten großen Platzes, Straßenlaternen, Gehwegpflasterung – scheint völlig ungeplant zu sein. Gelegentlich tauchen zwei Mann mit Flex auf, einer schneidet Platten zu – ohne Gehörschutz, Schutzbrille und Atemschutz, der andere guckt zu. Später hören wir den Lärm einer Baumaschine. Manchmal schippen Leute Haufen von Sand in Schubkarren. Was dann? Einmal stapeln zwei Jungen – ca. 10 Jahre – Verbund-Pflastersteine: Spiel oder Kinderarbeit? Ständig wirbelt der Wind Staub auf und treibt Sandwolken durch die Straßen. Rund um den entstehenden Platz haben Cafés und Läden aufgemacht, überwiegend wohl europäische Besitzer und Kunden. Das ist ebenfalls ganz ungeplant. Neben der Sandwicherie eine Schlosserei, vor der lautstark Metallrahmen geflext werden. Kein lauschiges Plätzchen.

Lesen. Das gemeinsame Abendessen im Restaurant fällt aus – geschlossen, Die anderen kaufen etwas zum Kochen. In der Zwischenzeit lese ich „Die Pest“ fast durch.

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Donnerstag, 5. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (13)
Frühstück in der „eigenen“ Küche, klönen, lesen, schreiben. Mittags gehen Gerhild und Gregor Baden, ich komme mit und halte die Handtücher. Es bläst ein derber Sturm. Nur wenige Leute am Strand. Die Kameltreiber, die auf Touristen warten, mopsen sich. Sand treibt über den Strand. Ein paar Profi-Surfer nutzen ihre Chance mit kleinen Segeln und Drachen. Der Weg zurück gegen den Wind ist mühsam: Sand, Baustaub treiben durch die Straßen, man kann kaum die Augen offen halten. Ich würde gerne noch etwas unternehmen, geht aus Luftmangel nicht. Wieder lesen und ausruhen. Später kommen alle Wemkens mit Fatim Sarah, der Schwester von Youness, nach oben, spielen Boule auf der Terrasse und klönen. Dann gemeinsames Reste-Abendbrot. Gerhild und ich gehen früh ins Bett. Ich habe mit Alice verabredet, morgen zur Apotheke zu gehen.

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Mittwoch, 4. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (12)
Heute Morgen sieht Gerhild den gestrigen Abend entspannter: es sei anstrengend und interessant gewesen. Wir frühstücken im „Café Culturelle“. Ein Bettler bekommt von mir einige Münzen und von der Wirtin zwei Orangen.

Später gehen wir zum Hafen und gucken den Leuten bei der Arbeit zu: Anlegen der Fischerboote, kistenweise Verkauf des Fangs, Entladen der Boote, Verholen, Slippen, Reinigen, Ausbessern. Ich fotografiere, bis mich einer ermahnt, weil ich außer der Fischauslage auch die Fischfrau fotografiert habe. Aufmerksam geworden sind laut Gerhild er und andere aber schon, als ich nur die Fischauslagen fotografiert habe.



Nachmittags ausruhen, lesen, später das Vorbereiten des Obstsalats. Kurz vor 7 Uhr Abmarsch mit Platten, Schüsseln, Tüten. Beide Familien sind vollzählig bis auf Youness’ ältesten Bruder. Unser Essen wird verhalten aufgenommen. Meine Sitznachbarin nimmt von allem, isst aber nichts. Schließlich ist ihr Teller voll von einer gedrängten Menü-Übersicht. Bernd hält seine Rede auf Französisch, Achmet übersetzt ins Arabische, die nur Deutschsprachigen bekommen entsprechend nichts mit, aber der Text wird herumgereicht.

Die eher steife Gesellschaft lockert im Laufe des Abends auf, aber wirkliche Gespräche kommen nicht zu Stande. Sprachbarriere. Meine zweitbesten Schuhe hätte ich mir sparen können: im Salon sitzen alle barfuß bzw. in Socken.

Gegen 11 Uhr löst Achmet die party auf. Wir pilgern ins Appartement, gehen ins Bett und ich schlafe schnell ein, leider nicht durch.

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Dienstag, 3. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (11)
Dafür bin ich sehr kurzatmig. Gerhild und ich frühstücken in einer nahen Sandwitcherie, gehen dann zum See-Boulevard. Der Automat an der ersten Bank verweigert den Dienst. Also pilgern wir weiter zum Platz vor der Medina. Zwei weitere Bank-Automaten: nicht besser. Erst am vierten Automaten habe ich Erfolg. Der Wachtposten in der ersten Bank scheint stumm zu sein. Meinen Gruß erwidert er gar nicht, so dass ich ihn zunächst auch für taub halte. Meine Frage nach dem Automaten erwidert er mit einer müden Gebärdensprache. Grußlos wende ich mich ab.

Wir essen ein Eis bzw. trinken einen Tee in der Cafeteria. Ausschließlich Touristen. Einheimische tauchen als Servicepersonal, Straßenhändler und Bettler auf. Die Serviererin reagiert auf mein Französisch mit Englisch, das ich erst nicht als solches erkenne und dann nicht verstehe. Bettler werden von einem, der wohl keine andere Funktion hat, vertrieben. Zwei junge Artisten vollführen Kunststücke, die Gage der Touristen bleibt mäßig. Fette Europäer krönen ihren Bauch mit einer Canon EOS, mit der sie ihre wabbeligen Frauen vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten knipsen.



Wir gehen an der Strandpromenade zurück. Die Stadt gefällt mir nicht. Ganze Stadtviertel – u.a. da wo wir wohnen – sind komplette Baustellen, ohne dass man irgendjemanden arbeiten sieht (allerdings ist heute Freitag, der moslemische Feiertag). Die Nebenstraßen ungepflastert, staubig, vermüllt. Überall wimmeln Touristen. Urbanes Leben: Fehlanzeige. In der Medina waren wir nicht.

Die jungen Männer auf der Strandpromenade mustern trotz meiner Gegenwart ziemlich unverhohlen Gerhild und andere Frauen. Ich vermute, dass es auch „Gigolos“ gibt.

Das Haus von Nadine (unsere Vermieterin) ist vollgestopft mit Schnickschnack, irgendein Mischmasch aus marokkanisch, impressionistischer Filmausstattung und Basteleien der 50er Jahre (Regale an Schnüren). Nur Praktisches fehlt: nicht genügend Haken für Handtücher und keine Ablage am wackeligen Miniwaschbecken, einer ehemaligen Obstschale oder so. Stühle „originell“ aus Ästen gebastelt, völlig unbequem usw. Dafür ist der Pensions-Preis niedrig, immerhin etwas.

Nach außen ist das Studio auf der Dachterrasse komplett abgeschottet. Nur Straßengeräusche dringen nach oben: Kindergeschrei, Motorenlärm, Stimmen, Baulärm. Wenn man über eine Leiter auf die oberste Ebene klettert, öffnet sich der Blick auf Flachdächer mit unzähligen Satelliten-Schüsseln und Schornsteinen. Irgendwo im Dunst ahnt man die Purpur-Schnecken-Insel.

Während Gerhild zum Henna-Fest ist, der Frauenveranstaltung am Vorabend des eigentlichen Hochzeitsfestes, verbringe ich den größten Teil des Nachmittags schlafend und lesend im wirklich gemütlichen Bett unter einer echten Decke. Später helfe ich bei den Vorbereitungen für das morgige Festessen. Spät abends kommt Gerhild völlig geschafft zurück. Es war wohl seeehr anstrengend und überhaupt nicht lustig. Eine filigrane Henna-Bemalung ziert ihre linke Hand. Noch später hat Youness das Abendessen fertig, nachdem die vier Männer ihre Vorbereitungen abgeschlossen haben. Gerhild und ich schlafen schnell ein. Leider geht es mit meiner Luft sehr schlecht.

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Montag, 2. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (10)
Wir kommen pünktlich um 9 Uhr los. An der großen Straßenkreuzung zwei uniformierte Wichtigtuer. Es ist eine Stopp-Straße, ich halte an der Sichtlinie, da kommt der Hüter der Unordnung und belehrt mich, da sei ein Stopp-Schild. Ich: „Ich stehe doch schon.“ Ich scheine für ihn undurchschaubar, weil nicht unterwürfig zu sein, gnädig winkt er mich durch. Welch ein Job!

Unterwegs hinter Agadir begegnet uns an einer Straßensperre mit Igelkette ein nicht uniformierter Wichtigtuer. Was er da zu suchen hat und welches seine Legitimation ist, bleibt unklar. Mit blasierter Mine wedelt er mich durch. Was für ein Armleuchter, wofür verdienen die ihr Geld?!



Die Strecke von Agadir nach Essaouira verläuft teilweise am Wasser mit schönen Sandstränden, großen Dünen, streckenweise sehr kurvenreich und bergig durch’s Landesinnere. Nach 4 Stunden 20 Minuten sind wir da. Eine Stunde brauchen wir, um Alice zu kontaktieren, uns durchzufragen, ein Taxi zu finden, das uns lotst. Schnell das Gepäck ausgeladen und gleich zurück zum Flugplatz. Auto abgeben ohne Probleme. Nur die Taxifrage gestaltet sich schwierig.
Zurück in Essaouira große Begrüßung, duschen, klönen bis abends. Bernd kocht. Die gemeinsame Mahlzeit ruft Erinnerungen hervor: die „ganze Familie“ traut vereint. Stefan – Gregors Freund – ist unauffällig integriert.
Ich schlafe fest und bis ½ 9 Uhr fast ununterbrochen. Jetzt kommt wohl die Reaktion auf die Anstrengungen der letzten Tage.

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Sonntag, 1. März 2020
Amtsgericht Berlin-Tiergarten macht weiter
Die Berliner Justiz in Form des Amtsgerichts Tiergarten bleibt sich treu. Lehnte sie im letzten Jahr die Klage von Renate Künast (Grüne) gegen unerhörte Beleidigungen ab (siehe meinen Beitrag vom 02.20.19 „Drecksfotze geht in Berlin o.k.“), so wurde jetzt eine Klage von Sawsan Chebli gegen eine lange Reihe von Beleidigungen im Internet zurückgewiesen. Frau Chebli (SPD) ist Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei und u.a. für Internationales.

Der Beleidiger ist bekannt: Tim K., eine verkrachte Existenz. Nach immer wieder gescheiterten Anläufen – von Rockergruppe, Polizei, beim SEK abgelehnt, Pegida u.a., vorbestraft wegen Körperverletzung und angeklagt wegen Förderung der Prostitution – versucht er sich jetzt als Troll im Internet. Vor allem ist Frau (!) Chebli sein Angriffsziel. Das Label „islamische Sprechpuppe“ ist noch die geringste Beleidigung. Und das geht für den Amtsrichter wieder o.k., der auch ein Sarrazin-Buch als nicht rassistisch einstufte.

Kann man so einen stoppen? Immerhin wurde auf Frau Künasts Beschwerde ein Teil des ersten Urteils revidiert (Beitrag vom 26.01.20). Es ist damit zu rechnen, dass auch das Chebli- und das Sarrazin-Urteil revidiert werden müssen. Ist dem Herrn Richter eigentlich klar, dass allzu viele Beschwerden und Revisionen karriere-behindernd sind oder ist es ihm egal?

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Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (9)
Wenn Marokkaner – nicht alle, klar! – versuchen, uns Europäer zu bescheißen: drückt sich darin die Rache der Kolonisierten an den Kolonisatoren aus? Das Absurde ist: wenn sie uns zu bescheißen versuchen, wir ihre Pläne durchschauen und durchkreuzen, sind sie enttäuscht über und sauer auf uns. Aber viele Touristen kennen die Regeln nicht, verhalten sich unmöglich, was wieder von den Marokkanern uns Europäern pauschal zugeschrieben wird.

In Taroudannt auf dem Platz Talmoklate sind Gaukler: zwei Männer und eine Frau ziehen eine Theaterschau ab, die wir nicht verstehen. Plötzlich holt die Frau eine Schlange aus einem Sack. Ich fotografiere, sie hört das Klicken, vermutet aber meinen Nebenmann als Fotografen. Mit einem umgekehrten Tambourin als Kasse geht sie auf ihn zu. Der weicht zurück und macht sich aus dem Staub. Ich als Verursacher werfe 50 Cent `rein. Schon ist der Bann gebrochen: sie lächelt und greift sich Gerhild als „Opfer“ für eine Schlangenschau; Gerhild bekommt die Schlange um den Nacken gelegt, ich kann fröhlich weiter fotografieren. Gerhild bekommt laute Anerkennung der Frau und der Zuschauer. „Vous n’avez pas peur?“ Haben Sie keine Angst?



Diese Leute leben davon, für ihre Schau eine „Gage“ zu bekommen, die man ihnen keinesfalls vorenthalten darf. Ich frage drei Musikanten um ein Foto, sie setzen sich in Positur, strahlen, ich knipse und natürlich ist die „Gage“ fällig, gefordert und gegeben. Ein Tourist fotografiert einen Schlangenbeschwörer, der selbstverständlich Geld fordert. Der Tourist zahlt nicht, rettet sich zu seinem einheimischen Reiseführer. Mit Recht ist der Schlangenbeschwörer lautstark sauer. Der Tourist erzählt zu Hause bestimmt, wie raffgierig und aggressiv die Marokkaner sind. Derlei europäisches Verhalten prägt aber die Haltung der Marokkaner uns gegenüber!

Gerade habe ich bei der Lektüre von Camus die Stelle gefunden, derentwegen ich anfing, Camus zu lesen: „Licht und Schatten“, Kleine Prosa, S.75. Wegen Camus bin ich damals nach Marokko gefahren (Algerien war zu weit). Und ich habe hier die Sonne, das Licht und das Meer der mediterranen Länder gefunden!
Heute ist der Himmel morgens blau, es wird ein heißer Tag. Über der Ebene liegt ein Dunst, der die Berge des Atlas verbirgt. Gleich nach dem Frühstück fahren wir nach Taroudannt (unterwegs einen mitgenommen, kein Mitschnacker). Eine quirlige Stadt, fotografisch schwer einzufangen. Wir streunen durch die Gassen, gehen kurz in die Medina, die Altstadt mit Mauer, ein reines Wohngebiet, sehr ärmlich, schlendern im Suk, dem Markt. Später auf der Place Talmoklate finden wir die Gaukler. Unter den Bäumen hocken Männer, die Theaterleute bauen Publikum auf, nebenan der Schlangenbeschwörer schafft das nicht. Die drei Musiker machen wohl Pause. Wir sitzen auf Caféhaus-Stühlen, trinken etwas und atmen die Atmosphäre. Ich fotografiere (mit und ohne Erlaubnis, mit und ohne „Gage“).

Neben uns am Tisch sitzen drei Amis – zwei Frauen, ein Mann. Der Gitarrenspieler, den ich mit seinen Kumpels fotografiert habe, baut sich vor ihnen auf, intoniert etwas. Sie gucken verlegen grinsend in eine andere Richtung. Schließlich gibt er es auf. „Why can’t they put in at least one nickel“ Dann kommt er zu uns an den Tisch, klaubt aus der Kapuze seiner Djelabba einige €-Münzen und bittet darum, sie gegen DH umzutauschen. Na klar, mache ich.



Als es langsam zu heiß wird, gehen wir zum Auto zurück. Lenkrad und Schaltung sind so heiß, dass ich sie kaum anfassen kann. Schon kommt einer in Warnweste, erklärt sich zum Parkwächter und will Geld. Seh’ ich nicht ein, als wir das Auto dort abstellten, war er noch nicht da. - Gerhild liest unterwegs: 40°! Wir machen Siesta, sitzen später im Schatten der Laube im Hof, lesen, schwimmen im Pool, ich schreibe dies. Inzwischen ist ein erfrischender Wind aufgekommen, am Himmel sind Federwolken.
Nachdem es sich etwas abgekühlt hat, gehen wir los, um die Palmeraie den Palmenhain zu finden. Da wir nicht wissen, wo sie ist, irren wir zunächst durch die Gassen: ziemlich elend, alte Männer, die im Schatten kauern, Kinder kommen vom Kindergarten oder tollen durch die Gassen, Frauen in Haustüren, die den Namen nicht verdienen. Dazwischen eine Villa, von der man nur die Terrasse und das bomfortionöse Eingangstor in der Mauer sieht. Obstgärten sind durch Mauern oder Dornentrockenhecken geschützt. Eine Gruppe kleiner Mädchen küsst eine nach der anderen einem älteren Mann, der im Schatten einer Mauer sitzt, die Hand. Den Palmengarten, den wir gesucht haben, finden wir nicht.

Von „unserer“ Dachterrasse sehen wir in einem benachbarten Hof einen Jungen aus einem teils verkohlten Abfallhaufen Konservendosen in einen Sack sammeln. Ein zweiter Junge hilft ihm, die Beute über die Mauer zu schaffen. Nach dem Abendessen noch kurz aufs Dach, Sterne gucken. Nanu: der große Wagen steht Kopf, die Deichseln nach rechts.

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