Sonntag, 1. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (9)
Wenn Marokkaner – nicht alle, klar! – versuchen, uns Europäer zu bescheißen: drückt sich darin die Rache der Kolonisierten an den Kolonisatoren aus? Das Absurde ist: wenn sie uns zu bescheißen versuchen, wir ihre Pläne durchschauen und durchkreuzen, sind sie enttäuscht über und sauer auf uns. Aber viele Touristen kennen die Regeln nicht, verhalten sich unmöglich, was wieder von den Marokkanern uns Europäern pauschal zugeschrieben wird.

In Taroudannt auf dem Platz Talmoklate sind Gaukler: zwei Männer und eine Frau ziehen eine Theaterschau ab, die wir nicht verstehen. Plötzlich holt die Frau eine Schlange aus einem Sack. Ich fotografiere, sie hört das Klicken, vermutet aber meinen Nebenmann als Fotografen. Mit einem umgekehrten Tambourin als Kasse geht sie auf ihn zu. Der weicht zurück und macht sich aus dem Staub. Ich als Verursacher werfe 50 Cent `rein. Schon ist der Bann gebrochen: sie lächelt und greift sich Gerhild als „Opfer“ für eine Schlangenschau; Gerhild bekommt die Schlange um den Nacken gelegt, ich kann fröhlich weiter fotografieren. Gerhild bekommt laute Anerkennung der Frau und der Zuschauer. „Vous n’avez pas peur?“ Haben Sie keine Angst?



Diese Leute leben davon, für ihre Schau eine „Gage“ zu bekommen, die man ihnen keinesfalls vorenthalten darf. Ich frage drei Musikanten um ein Foto, sie setzen sich in Positur, strahlen, ich knipse und natürlich ist die „Gage“ fällig, gefordert und gegeben. Ein Tourist fotografiert einen Schlangenbeschwörer, der selbstverständlich Geld fordert. Der Tourist zahlt nicht, rettet sich zu seinem einheimischen Reiseführer. Mit Recht ist der Schlangenbeschwörer lautstark sauer. Der Tourist erzählt zu Hause bestimmt, wie raffgierig und aggressiv die Marokkaner sind. Derlei europäisches Verhalten prägt aber die Haltung der Marokkaner uns gegenüber!

Gerade habe ich bei der Lektüre von Camus die Stelle gefunden, derentwegen ich anfing, Camus zu lesen: „Licht und Schatten“, Kleine Prosa, S.75. Wegen Camus bin ich damals nach Marokko gefahren (Algerien war zu weit). Und ich habe hier die Sonne, das Licht und das Meer der mediterranen Länder gefunden!
Heute ist der Himmel morgens blau, es wird ein heißer Tag. Über der Ebene liegt ein Dunst, der die Berge des Atlas verbirgt. Gleich nach dem Frühstück fahren wir nach Taroudannt (unterwegs einen mitgenommen, kein Mitschnacker). Eine quirlige Stadt, fotografisch schwer einzufangen. Wir streunen durch die Gassen, gehen kurz in die Medina, die Altstadt mit Mauer, ein reines Wohngebiet, sehr ärmlich, schlendern im Suk, dem Markt. Später auf der Place Talmoklate finden wir die Gaukler. Unter den Bäumen hocken Männer, die Theaterleute bauen Publikum auf, nebenan der Schlangenbeschwörer schafft das nicht. Die drei Musiker machen wohl Pause. Wir sitzen auf Caféhaus-Stühlen, trinken etwas und atmen die Atmosphäre. Ich fotografiere (mit und ohne Erlaubnis, mit und ohne „Gage“).

Neben uns am Tisch sitzen drei Amis – zwei Frauen, ein Mann. Der Gitarrenspieler, den ich mit seinen Kumpels fotografiert habe, baut sich vor ihnen auf, intoniert etwas. Sie gucken verlegen grinsend in eine andere Richtung. Schließlich gibt er es auf. „Why can’t they put in at least one nickel“ Dann kommt er zu uns an den Tisch, klaubt aus der Kapuze seiner Djelabba einige €-Münzen und bittet darum, sie gegen DH umzutauschen. Na klar, mache ich.



Als es langsam zu heiß wird, gehen wir zum Auto zurück. Lenkrad und Schaltung sind so heiß, dass ich sie kaum anfassen kann. Schon kommt einer in Warnweste, erklärt sich zum Parkwächter und will Geld. Seh’ ich nicht ein, als wir das Auto dort abstellten, war er noch nicht da. - Gerhild liest unterwegs: 40°! Wir machen Siesta, sitzen später im Schatten der Laube im Hof, lesen, schwimmen im Pool, ich schreibe dies. Inzwischen ist ein erfrischender Wind aufgekommen, am Himmel sind Federwolken.
Nachdem es sich etwas abgekühlt hat, gehen wir los, um die Palmeraie den Palmenhain zu finden. Da wir nicht wissen, wo sie ist, irren wir zunächst durch die Gassen: ziemlich elend, alte Männer, die im Schatten kauern, Kinder kommen vom Kindergarten oder tollen durch die Gassen, Frauen in Haustüren, die den Namen nicht verdienen. Dazwischen eine Villa, von der man nur die Terrasse und das bomfortionöse Eingangstor in der Mauer sieht. Obstgärten sind durch Mauern oder Dornentrockenhecken geschützt. Eine Gruppe kleiner Mädchen küsst eine nach der anderen einem älteren Mann, der im Schatten einer Mauer sitzt, die Hand. Den Palmengarten, den wir gesucht haben, finden wir nicht.

Von „unserer“ Dachterrasse sehen wir in einem benachbarten Hof einen Jungen aus einem teils verkohlten Abfallhaufen Konservendosen in einen Sack sammeln. Ein zweiter Junge hilft ihm, die Beute über die Mauer zu schaffen. Nach dem Abendessen noch kurz aufs Dach, Sterne gucken. Nanu: der große Wagen steht Kopf, die Deichseln nach rechts.

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