Donnerstag, 7. März 2024
Ikonen des Widerstands
Als ich vor etlicher Zeit erstmalig das Bild von der Verhaftung einer jungen farbigen Frau durch weiße Polizisten in Baton Rouge sah, fiel mein – männlicher – Blick zunächst auf die optisch dominante Frau, u.a. weil sie optisch isoliert war, vor allem aber, weil sie für mich der interessanteste Bildteil war.



Die Autorin eines Artikels der taz (taz vom 14.7.2016, S. 13) „Ikonen des Widerstands“ behauptete dagegen, das Bild werde – quasi wie ein Text – von links nach rechts gelesen. Ich vermute dagegen, dass ihr – weibliches - größtes Interesse den Polizisten galt.

Die weit verbreitete Meinung, Bilder würden wie Texte gelesen, ist längst überholt. Bereits Andreas Feininger berichtet in „Kompositionskurs der Fotografie“ (1974) von Untersuchungen mit Augenkameras, die die Augenbewegungen beim Betrachten eines Bildes aufzeichnen. Danach nehmen die meisten, wenn nicht alle Betrachter zunächst den Bildteil des größten Interesses in den Blick. Erst dann betrachten sie die Einzelheiten des Bildes genauer und zwar keineswegs planvoll, sondern auf der Bildfläche vagabundierend. Ernst Weber („Sehen, Gestalten und Fotografieren“ 1990) bestätigt das: „Ecken und Winkel (bilden) die markantesten Signale für das Erkennen und (…) für die Speicherung im Gehirn.“ Der Sehweg verläuft nach einem Schema, das von Person zu Person und von Vorlage zu Vorlage variiert.

Die Versuche von Röll/Wolf „Bildgestaltung“ (1993) sind deswegen nicht beweiskräftig, weil sie den Probanden nicht Bilder, sondern Zahlenreihen vorlegten, die tatsächlich wie Texte gelesen werden: von links oben nach rechts unten.

Derlei Erkenntnisse von anerkannten Koryphäen sollten nicht einfach unterschlagen werden. Näheres siehe http://www.kunst-fotografie.com/#bildgestaltung.

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Ich glaube, dass die Lese- und Blickrichtung dennoch eine Rolle spielt, nicht dafür, was zuerst angeguckt wird, aber dafür, wie man das Bild versteht.
Jeder kennt das doch von seinen Handy-Selfies, die ja immer seitenverkehrt sind: dass sie oft irgendwie "richtiger" aussehen, manchmal aber auch schöner wirken als das zurückgespiegelte, wieder seitenrichtige Bild - in jedem Fall wirken die gespiegelten Versionen anders als die Originale.
Bei Ihrem Beispiel oben hab ich mal den Test gemacht mit einer Spiegelung: Beim Originalfoto sah ich wie Sie zuerst auf die Frau als interessantes Objekt. Bei der gespiegelten Version aber sah ich mit der Frau auf die Polizisten, identifizierte mich mit ihr. Probieren Sies doch mal aus, ob Ihnen das auch so geht.

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Ja, das ist interessant, nur die Fachliteratur beschreibt es auf Basis empirischer Untersuchungen anders (z.B. Feininger, "Richtig sehen, besser fotografieren" und "Großes Fotobuch")
Ich werd's aber mal probieren.

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