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Donnerstag, 19. Januar 2023
Die ehrenwerte Gesellschaft
jf.bremen, 16:26h
Am 17.01.23 wurde der langgesuchte „Boss der Bosse“ der sardischen Cosa Nostra, Matteo Messina Denaro von den Carabinieri gefasst. Dreißig Jahre hatte er sich in Palermo verborgen, nachdem er wegen diverser Delikte, besonders Morden, zu Lebenslänglich verurteilt worden war. Nicht dass er die ganze Zeit Däumchen gedreht hätte, er hatte vielmehr seine „Geschäfte“ ruhig weitergeführt.
Auch nach seiner Verhaftung gehen die „Geschäfte“ sicher weiter, genauso wie sie weitergingen nach der Verhaftung und dem Tod der alten Bosse Toto Riina und Bernardo Provenzano.
Die Cosa Nostra oder Mafia ist nicht die einzige hochkriminelle Geheimgesellschaft in Italien. In Neapel herrscht die Camorra, in Calabrien die Ndrangheta. Alle verfolgen die gleichen „Geschäftspraktiken“: Bestechung, Erpressung von Schutzgeld, Betrieb von Fabriken und Banken, Drogen- und Waffengeschäfte. Und nicht nur in Italien, sondern darüber hinaus in Europa und der Welt. Die US-amerikanische Unterwelt hat engste Verbindung nach Italien. Deutschland ist eins der beliebtesten Länder in Europa.
Auf lokaler Ebene werden etwas kleinere Brötchen gebacken. Sehr unmittelbar war eine kleine Reisegruppe 1990 im kleinen Reggio Calabria mit der Ndrangheta konfrontiert. Wir waren Gäste im Europa-Haus von Catona. Wir kannten schon Berichte zweier Reisegefährten (J. und M.), die bereits früher mehrfach in Catona waren.
J. erzählte die Geschichte von seinem Sohn, der einmal am Strand übernachtet hatte und dem dort seine Lederjacke gestohlen worden war. Kenner der „ehrenwerten Gesellschaft“ (d.i. die Ndrangheta) rieten ihm ab, zur Polizei zu gehen. „Das machen wir schon.“ Tatsächlich erschienen am Abend zwei stämmige Burschen mit einem schlotternden Bündel Angst, das die Jacke zurückgab. Er hatte versucht, sie in einer Disco zu verticken.
Eine Schweizer Kollegin machte im Rahmen von Europa-Seminaren regelmäßig landeskundliche Exkursionen in ein Gebirgsdorf. Bei einer Gelegenheit fuhr der Vater des Leiters des Europahauses mit und riet ihr auf der Rückfahrt, sie solle beim nächsten Mal ein anderes Dorf besuchen. Als sie sich nicht an diese Empfehlung hielt, erklärte er lapidar „Sie machen einen großen Fehler!“ Nach der nächsten Exkursion brannte nachts ihr Auto. Sie quittierte die Arbeit und ging in die Schweiz zurück.
M. hatte sich eine Landkarte von Catona gekauft, auf der links und rechts der Zufahrt zum Europahaus Olivenheime eingezeichnet waren. Tatsächlich standen dort von hohen Mauern umgebene Pracht-Villen. Er sprach den Bürgermeister auf diesen Widerspruch an, der ihm erklärte: „Nein, sie müssen sich irren, dort sind keine Häuser!“
Der Obsthändler, bei dem wir unsere Früchte kauften, hatte unter dem Siegel der Verschwiegenheit berichtet, dass er 60% seines Erlöses nicht selbst zur Verfügung hätte. Das hätte er nie einem Italiener erzählt. Als Deutsche schienen wir ihm vertrauenswürdig.
In einem Eiscafé erschien ein Mann, rief laut „Giovanni“, ein Mann dieses Namens rief „Si!“ und wurde erschossen. Er war Schäfer und hatte mit der Ndrangheta nichts zu tun, aber es wurde vermutet, dass er im Gebirge etwas gesehen haben musste, was er besser nicht sehen sollte. Dort wurden geheime Waffen- und Drogen-Depots sowie Labore vermutet.
Im Durchschnitt war jeden zweiten Tag in der lokalen Zeitung von einem Ndrangheta–Mord zu lesen. In der überregionalen italienischen Presse oder gar in der internationalen Presse ist davon meist nichts zu lesen.
Eines Abends saß ich mit meiner Frau im Restaurant. Bevor wir bestellen konnten, bat uns der Oberkeller, einen anderen – schlechter platzierten – Tisch zu nehmen. Der Wein, den wir dann bestellten, war nicht vorhanden. Kurz darauf kam eine Gruppe von sechs „finsteren Gestalten“ in dunklen Anzügen und setzte sich an besagten Tisch. Ihre Jacketts hängten sie über die Stuhllehnen: bei allen Sakkos hing eine Seite schwer herunter. Sie bestellten just den Wein, der vorher nicht vorhanden war. Dem Getränkekellner flogen die Hände so, dass er die Bestellung kaum notieren und die Flaschen am Tisch nicht öffnen konnte. Nach dem Essen verschwanden die Typen grußlos und ohne zu zahlen.
Auf dem Rückweg von einem Ausflug fuhren wir durch eine Straße in Reggio. Am nächsten Morgen lasen wir in der Zeitung, dass eine halbe Stunde danach in eben dieser Straße eine Schießerei zwischen zwei verfeindeten Clans stattgefunden hatte, bei der eine alte Frau getötet worden war; sie hatte vor ihrem Haus auf einem Stuhl gesessen.
Einbrüche in unsere Bungalows wären theoretisch kein Problem gewesen; vor den Fenstern waren nur Fliegengitter, keine Scheiben. Insider erklärten uns, im Europahaus würde nicht eingebrochen, weil wir „unter Schutz stünden“.
Das war ein wirklich prickelnder Urlaub.
Auch nach seiner Verhaftung gehen die „Geschäfte“ sicher weiter, genauso wie sie weitergingen nach der Verhaftung und dem Tod der alten Bosse Toto Riina und Bernardo Provenzano.
Die Cosa Nostra oder Mafia ist nicht die einzige hochkriminelle Geheimgesellschaft in Italien. In Neapel herrscht die Camorra, in Calabrien die Ndrangheta. Alle verfolgen die gleichen „Geschäftspraktiken“: Bestechung, Erpressung von Schutzgeld, Betrieb von Fabriken und Banken, Drogen- und Waffengeschäfte. Und nicht nur in Italien, sondern darüber hinaus in Europa und der Welt. Die US-amerikanische Unterwelt hat engste Verbindung nach Italien. Deutschland ist eins der beliebtesten Länder in Europa.
Auf lokaler Ebene werden etwas kleinere Brötchen gebacken. Sehr unmittelbar war eine kleine Reisegruppe 1990 im kleinen Reggio Calabria mit der Ndrangheta konfrontiert. Wir waren Gäste im Europa-Haus von Catona. Wir kannten schon Berichte zweier Reisegefährten (J. und M.), die bereits früher mehrfach in Catona waren.
J. erzählte die Geschichte von seinem Sohn, der einmal am Strand übernachtet hatte und dem dort seine Lederjacke gestohlen worden war. Kenner der „ehrenwerten Gesellschaft“ (d.i. die Ndrangheta) rieten ihm ab, zur Polizei zu gehen. „Das machen wir schon.“ Tatsächlich erschienen am Abend zwei stämmige Burschen mit einem schlotternden Bündel Angst, das die Jacke zurückgab. Er hatte versucht, sie in einer Disco zu verticken.
Eine Schweizer Kollegin machte im Rahmen von Europa-Seminaren regelmäßig landeskundliche Exkursionen in ein Gebirgsdorf. Bei einer Gelegenheit fuhr der Vater des Leiters des Europahauses mit und riet ihr auf der Rückfahrt, sie solle beim nächsten Mal ein anderes Dorf besuchen. Als sie sich nicht an diese Empfehlung hielt, erklärte er lapidar „Sie machen einen großen Fehler!“ Nach der nächsten Exkursion brannte nachts ihr Auto. Sie quittierte die Arbeit und ging in die Schweiz zurück.
M. hatte sich eine Landkarte von Catona gekauft, auf der links und rechts der Zufahrt zum Europahaus Olivenheime eingezeichnet waren. Tatsächlich standen dort von hohen Mauern umgebene Pracht-Villen. Er sprach den Bürgermeister auf diesen Widerspruch an, der ihm erklärte: „Nein, sie müssen sich irren, dort sind keine Häuser!“
Der Obsthändler, bei dem wir unsere Früchte kauften, hatte unter dem Siegel der Verschwiegenheit berichtet, dass er 60% seines Erlöses nicht selbst zur Verfügung hätte. Das hätte er nie einem Italiener erzählt. Als Deutsche schienen wir ihm vertrauenswürdig.
In einem Eiscafé erschien ein Mann, rief laut „Giovanni“, ein Mann dieses Namens rief „Si!“ und wurde erschossen. Er war Schäfer und hatte mit der Ndrangheta nichts zu tun, aber es wurde vermutet, dass er im Gebirge etwas gesehen haben musste, was er besser nicht sehen sollte. Dort wurden geheime Waffen- und Drogen-Depots sowie Labore vermutet.
Im Durchschnitt war jeden zweiten Tag in der lokalen Zeitung von einem Ndrangheta–Mord zu lesen. In der überregionalen italienischen Presse oder gar in der internationalen Presse ist davon meist nichts zu lesen.
Eines Abends saß ich mit meiner Frau im Restaurant. Bevor wir bestellen konnten, bat uns der Oberkeller, einen anderen – schlechter platzierten – Tisch zu nehmen. Der Wein, den wir dann bestellten, war nicht vorhanden. Kurz darauf kam eine Gruppe von sechs „finsteren Gestalten“ in dunklen Anzügen und setzte sich an besagten Tisch. Ihre Jacketts hängten sie über die Stuhllehnen: bei allen Sakkos hing eine Seite schwer herunter. Sie bestellten just den Wein, der vorher nicht vorhanden war. Dem Getränkekellner flogen die Hände so, dass er die Bestellung kaum notieren und die Flaschen am Tisch nicht öffnen konnte. Nach dem Essen verschwanden die Typen grußlos und ohne zu zahlen.
Auf dem Rückweg von einem Ausflug fuhren wir durch eine Straße in Reggio. Am nächsten Morgen lasen wir in der Zeitung, dass eine halbe Stunde danach in eben dieser Straße eine Schießerei zwischen zwei verfeindeten Clans stattgefunden hatte, bei der eine alte Frau getötet worden war; sie hatte vor ihrem Haus auf einem Stuhl gesessen.
Einbrüche in unsere Bungalows wären theoretisch kein Problem gewesen; vor den Fenstern waren nur Fliegengitter, keine Scheiben. Insider erklärten uns, im Europahaus würde nicht eingebrochen, weil wir „unter Schutz stünden“.
Das war ein wirklich prickelnder Urlaub.
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Montag, 16. Januar 2023
Abknipsen und ausschalten
jf.bremen, 17:33h
Prinz Harry hat „schlechte Menschen“ wie „Schachfiguren vom Brett genommen“. Britische Generäle dementieren, das könne nicht stimmen. Ein deutscher Oberst lässt einen liegengebliebenen Tanklaster bombardieren: 140 Zivilisten, die sich am Sprit bedienen, werden zum „Kollateralschaden“. US-Soldaten machen mit Helikoptern Jagd auf Zivilisten.
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In der Bundeswehr werden Feinde „abgeknipst“ und Panzer „ausgeschaltet“. Es ist immer dieselbe menschenverachtende Sprache, hinter der eine Haltung steckt. In einem Brief an meine Familie schilderte ich ein Erlebnis aus meiner aktiven Dienstzeit:
„Überhaupt passieren die dollsten Dinge. Neulich sprachen wir über das Schießen. Es wurde der Fall konstruiert, dass ein feindlicher Soldat eine Straße, die in zwanzig Meter Entfernung war, überquerte. Nun wurde gefragt, warum man ihn nicht gleich totschießen sollte. Einer meiner Kameraden antwortete dem Ausbilder: Der Feind sei auch ein Mensch! Die Antwort des Ausbilders war: Nein, der Feind soll nur verwundet werden, damit der Gegner mit der Bergung und Versorgung des Verletzten beschäftigt ist.“
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In der Bundeswehr werden Feinde „abgeknipst“ und Panzer „ausgeschaltet“. Es ist immer dieselbe menschenverachtende Sprache, hinter der eine Haltung steckt. In einem Brief an meine Familie schilderte ich ein Erlebnis aus meiner aktiven Dienstzeit:
„Überhaupt passieren die dollsten Dinge. Neulich sprachen wir über das Schießen. Es wurde der Fall konstruiert, dass ein feindlicher Soldat eine Straße, die in zwanzig Meter Entfernung war, überquerte. Nun wurde gefragt, warum man ihn nicht gleich totschießen sollte. Einer meiner Kameraden antwortete dem Ausbilder: Der Feind sei auch ein Mensch! Die Antwort des Ausbilders war: Nein, der Feind soll nur verwundet werden, damit der Gegner mit der Bergung und Versorgung des Verletzten beschäftigt ist.“
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Samstag, 14. Januar 2023
Abschussrampe Verteidigungsministerium
jf.bremen, 13:21h
Christine Lambrecht (SPD) steht als Verteidigungsministerin zur Disposition. Noch steht ihr Rücktritt nicht fest, da tritt die CDU schon hinterher. Dabei stünde es dieser Partei gut an, in Sachen Bundeswehr die Füße fein still zu halten.
Von 2005 bis 2021 stellte sie die zuständigen MinisterInnen. Es waren allesamt „Rohrkrepierer“. Lambrechts Vorgängerin Kramp-Karrenmacher (CDU) verstand eher vom Karneval etwas als von Verteidigung. Deren Vorgängerin von der Leyen (CDU) verstand sich immerhin auf Pferde. Der glücklose de Maizière (CDU) löste den Rohrkrepierer, Hochstapler und Plagiator zu Guttenberg (CSU) ab. Franz Josef Jung (CDU)? Wer war das nochmal?
Zeitgleich mit den Spekulationen über Frau Lambrecht liest man über haufenweise Defizite bei der Armee, die sämtlich aus der Zeit der CDU-Minister resultieren: Munitionsmangel, schlechte oder fehlende Ausrüstung der Soldaten, defekte Schützenpanzer, Nachwuchsprobleme, überteuerte Rüstungsausgaben ("Gorch Fock"), katastrophales Beschaffungswesen....
Klar, Frau Lambrecht war auch keine gute Wahl, konnte einen Schrubber wohl nicht vom G 3 unterscheiden, aber das CDU-Personal verfügte nur über EIN Übermaß, das an Inkompetenz.
Da sollte diese Partei in Demut ganz still schweigen!
Von 2005 bis 2021 stellte sie die zuständigen MinisterInnen. Es waren allesamt „Rohrkrepierer“. Lambrechts Vorgängerin Kramp-Karrenmacher (CDU) verstand eher vom Karneval etwas als von Verteidigung. Deren Vorgängerin von der Leyen (CDU) verstand sich immerhin auf Pferde. Der glücklose de Maizière (CDU) löste den Rohrkrepierer, Hochstapler und Plagiator zu Guttenberg (CSU) ab. Franz Josef Jung (CDU)? Wer war das nochmal?
Zeitgleich mit den Spekulationen über Frau Lambrecht liest man über haufenweise Defizite bei der Armee, die sämtlich aus der Zeit der CDU-Minister resultieren: Munitionsmangel, schlechte oder fehlende Ausrüstung der Soldaten, defekte Schützenpanzer, Nachwuchsprobleme, überteuerte Rüstungsausgaben ("Gorch Fock"), katastrophales Beschaffungswesen....
Klar, Frau Lambrecht war auch keine gute Wahl, konnte einen Schrubber wohl nicht vom G 3 unterscheiden, aber das CDU-Personal verfügte nur über EIN Übermaß, das an Inkompetenz.
Da sollte diese Partei in Demut ganz still schweigen!
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Freitag, 13. Januar 2023
Abschied von Gertrud Fiege
jf.bremen, 10:59h
Am 10. April 2022 starb Gertrud Fiege im Alter von 91 Jahren. Am 27. April fand in Marbach die Trauerfeier statt, auf der ihr Bruder Jürgen Fiege und ihr ehemaliger Chef Dr. Michael Davidis die Trauerrede hielten.
„Es ist alles immer schon so lange her.“ Diesen Satz prägte meine Schwester Gertrud Fiege vor einigen Monaten. Es könnte die Bilanz eines neunzigjährigen Lebens sein.
Wie schwierig das Altern ist, konnte man bei Gertrud sehen. Sie selbst hat vor Jahren gesagt: „Niemand hat uns gesagt, WIE schwer das ist.“ Die letzten Jahre konnte sie nicht mehr so recht. Es wurde immer weniger. Nicht nur der Körper versagte seinen Dienst, auch der Geist wollte nicht mehr so. Besonders litt sie darunter, dass sie sich nicht mehr aufs Lesen konzentrieren konnte. Das Fernsehen bot ihr nur wenige Möglichkeiten.
Ihr Lebensanfang war nicht gerade strahlend. „Am 3. Jan. 1931 wurde unsere Gertrud“ – drei Wochen zu früh – „geboren. Klein ist sie und sehr, sehr zart“, schrieb unsre Mutter in ihr Tagebuch. Es gab wenig Konstanz in dieser Zeit: Geboren in Denver in USA musste sie schon nach einem guten halben Jahr den Kontinent wechseln. Dann lebte die Familie einige Jahre in Göttingen, bis mein Vater 1936 nach Kiel zwangsversetzt wurde. In der Nähe besuchte sie erst die Dorfschule in Heikendorf. Zu den etwas gröber gestrickten Dorfkindern bekam sie – auch wegen deren plattdeutscher Sprache – wenig Kontakt. Dann – wieder nach einem halben Jahr – bekam die Familie eine Wohnung in Kiel, auf dem Knivsberg. Das wurde ihre Heimat für einige Jahre. Aber mitten im Krieg kam sie für mehr als ein Jahr in die Kinderlandverschickung. Zwei weitere Kriegsjahre verbrachte meine Mutter mit uns Kindern wegen der Bombenangriffe auf Kiel in Göttingen. Der Vater war Soldat. Im Dezember 1945 kehrten wir zurück nach Kiel. Sie liebte die Stadt und die Förde und die Ostsee. Das Rudern war ihre Leidenschaft.
Schon als Jugendliche und junge Frau hatte sie Gesundheitsprobleme. Die waren Folge u.a. der Überforderung während des und nach dem Krieg. In Göttingen war Mutter zur Fabrikarbeit verpflichtet worden, mit der ausdrücklichen Begründung, die Tochter, damals ein Teenager, könne auf mich aufpassen und den Haushalt führen. Die Schule lief quasi nebenher. Für mich war sie große Schwester und Mutterersatz in einem. Nach dem Krieg war Mutter viel krank, also musste Gertrud wieder einspringen. Schließlich wehrte sich ihr Körper durch Krankheit. Sie musste in der Schule ein Jahr lang aussetzen. Zusammen gerechnet mit einem Jahr Verlust durch die Kriegsfolgen – fast alle Kieler Schulen waren zerbombt oder stark beschädigt, Brennmaterial gab es nicht – ergab sich ein Verlust von zwei Jahren, so dass sie erst 1952, mit 21 Jahren das Abitur ablegte. Im Herbst 1951 war sie in Klausur zur Abi-Vorbereitung im kleinen Bauerndorf Lindhöft an der Eckernförder Bucht gegangen und hatte mich mitgenommen.
Im Sommersemester 1952 begann sie ein Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Archäologie in Kiel. Jetzt begann eine Phase glücklicher Zeit. Die Kunst war ihr Leben. Ein bestimmtes Bild in der Kieler Kunsthalle – sie hat es mir Jahrzehnte später gezeigt, leider habe ich Maler und Titel vergessen – hat bei ihr den Wunsch ausgelöst, dieses Fach zu studieren. Unser Vater war liberal genug, ihr das nicht nur zu erlauben, sondern es auch zu finanzieren. Zwar machte er sich Sorgen, sie könne davon nicht leben, aber immerhin….
Während dieser Zeit nahm sie mich mit auf eine Tramptour durch Ostholstein, und ich durfte mit ihr fast alle irgendwie bedeutsamen Kirchen besichtigen: den Ratzeburger Dom, Neustädter und die Möllner Stadtkirche, die Lübecker Kirchen und, und, und …. Ein anderes Mal verbrachte sie mit mir eine Woche Ferien in Büsum, wieder am Meer, dem anderen.
Nach drei Semestern wechselte sie für zwei Semester nach Göttingen und wohnte dort bei ihrer geliebten Patentante Grete. Anschließend wechselte sie nach München, wo sie u.a. bei dem berühmte Kunsthistoriker Sedlmayr studierte – Stichwort: „Der Verlust der Mitte“. Von München aus startete sie auf dem Fahrrad mit der neu gewonnenen Freundin Irmgard zu Touren durch Oberbayern von einer Barockkirche zur anderen. Mit Irmgard machte sie auch eine Tramp-Tour nach Italien: Kunstgeschichte in Venetien und in der Toscana. Davon schwärmte sie auch im Alter immer wieder. „Die Uffizien“ und die Fahrt im Fiat 500 bei großer Hitze über den Apennin. Zwischendurch trampte sie in den Semesterferien quer durch Westdeutschland nach Hause und zurück.
Irgendetwas muss sie dabei überfordert haben. War es die Belastung durch ihre Unternehmungen, war es eine unglückliche Liebe? Ich konnte es als Teenager nur ahnen und war auch mit mir selbst beschäftigt. Jedenfalls wurde sie wieder krank und musste ihr Studium aussetzen, bzw. nach einigen Jahren abbrechen. In dieser Zeit hat sie wohl den ganzen Goethe gelesen (im Bücherschrank meiner Eltern standen die gesammelten Werke in 30 Bänden). In Erinnerung bleibt mir auch ihre Lektüre des aufgeklärten, liberal-katholischen Autors Reinhold Schneider, was zwischen uns zu kontroversen Diskussion über Religion führte. Sie wollte wohl der in sie injizierten Nazi-Ideologie etwas entgegensetzen.
Ihre Stützen waren während dieser Jahre unsere Mutter, die geduldig die täglichen Spaziergange – oft waren es nur ein-, zweihundert Meter – mit ihr absolvierte, und immer wieder die treue Irmgard, die sie regelmäßig besuchte.
Nach einer Art Kuraufenthalt mit Beschäftigungstherapie auf Sylt vermittelte Irmgard ihr den Kontakt zum Schiller-National- Museum in Marbach/Neckar. Hier bekam sie zunächst einen Werkvertrag in der Bildnis-Abteilung und arbeitete sich langsam nach oben. Über ihre Arbeit dort wird Michael Davidis berichten. Neben vielen anderen Anregungen verdanke ich ihr den Vorschlag, meine sporadisch für den Wandschmuck in meiner Studentenbude gehamsterten Plakate aufzuheben. So entstand der Grundstock für eine umfangreiche Sammlung, die ich später dem Literatur-Archiv übergab.
Der erste Aufenthalt auf Sylt legte den Grundstein für ihre lebenslange Liebe zu der Insel. Viele Jahre verbrachte sie ihren Urlaub in Klappholttal und nahm an Mal- und Schreibwerkstätten teil. Dort schloss sie auch dauerhafte Freundschaften.
Mir bleiben noch drei Dinge zu sagen: Erst als ich ihre Wohnung auflöste, wurde mir klar, wieviel sie neben ihrer Arbeit im Museum geleistet hat: Den Bestseller unter den rororo-Bildmonografien über Caspar David Friedrich mit elf überarbeiteten Auflagen à 10.000 Exemplaren, inzwischen als E-Book erhältlich
(Caspar_David_Friedrich.epub), viele Zeitschriften-Aufsätze, Gedichte. Die Bemühung, ihre Wohnadresse in Marbach zu ändern: Der Namensgeber war Nazi, und sie hat sich sehr stark gemacht, ihn durch einen anderen Autor zu ersetzen.
Dann: Intellektuell war sie ebenso wie physisch – Rudern, Radfahren, Wanderungen und Spaziergänge – sehr beweglich. Mit ihrer frühen Impfung durch Nazi-Gedankengut begann ihr Entwicklung. Nach dem Krieg dann die „Läuterung“ durch Reinhold Schneider und seit den 60er Jahren ihre linke Orientierung. Selbst zur Gewerkschafterin und Personalrätin hat sie sich gemausert.
Und schließlich eine Anekdote: Im NWDR lief sonntags um 18 Uhr klassische Musik. Dazu versammelte sich die Familie vor dem Radio. Bei den Ansagen wurde der Ton leise, wenn die Musik begann, laut gestellt. Und wir rieten, wer wohl der Komponist war. Der Musikgeschmack meiner Eltern reichte von Bach bis Brahms, Moderneres kam nicht vor. Und bei EINEM, einem jüdischen Komponisten, wurde abgeschaltet. Da holen wir etwas nach und hören jetzt Felix Mendelssohn-Bartholdys Andante aus der Symphonie Nr. 5.
Jürgen Fiege
Lieber Jürgen und liebe Gerhild Fiege, liebe Freunde und Bekannte, Kolleginnen und Kollegen von Gertrud Fiege
Die beruflichen Leistungen der Verstorbenen zu würdigen, ihre Rolle als Kollegin mit wenigen Worten zu umreißen, ist leicht und schwer zugleich. Es ist leicht, weil sie ihre Tätigkeit an einem einzigen Arbeitsplatz ausgeübt hat, in der Bildabteilung des Schiller-Nationalmuseums und Deutschen Literaturarchivs, der sie 32 Jahre lang, von 1961 bis 1993, angehört hat. Es ist schwer, weil ihr dortiges Aufgabengebiet ungemein vielfältig war. Es ist leicht, weil sie eine tüchtige, originelle und liebenswerte Kollegin war, und es ist schwer, weil jeder, der mit ihr zusammengearbeitet hat, nicht umhin kann, auch ihre Ecken und Kanten zu erwähnen.
Gertrud war die vielleicht letzte Vertreterin einer Generation, die ihre Arbeit schon in den ersten Jahren nach der Gründung des DLA aufgenommen hat, einer Generation, deren Jugend von Diktatur, Krieg und Wiederaufbau geprägt war. Gertruds Anstellung könnte man als ein Beispiel für die zuweilen unkonventionelle Personalpolitik Bernhard Zellers nehmen, dem es gelang, mit ihr eine kompetente und, da sie aus gesundheitlichen Gründen ihr Studium nicht hatte abschließen können, zugleich kostengünstige wissenschaftliche Kraft zu gewinnen. Erst sein Nachfolger Ulrich Ott hat sie in ihren letzten Dienstjahren leistungsgerecht eingestuft. Sie hat, und das war ihr Hauptverdienst, die Disziplin der Kunstgeschichte in Marbach etabliert und dort mehr als drei Jahrzehnte lang vertreten.
Die dafür erforderliche Fachkompetenz hatte sie schon in den ersten Studiensemestern an der Universität Kiel erworben, wo die Kustodin der organisatorisch mit der Universität verbundenen Kunsthalle, Lilli Martius, zu ihrer wichtigsten Lehrerin wurde. Für Martius und ihre Schüler stand die Arbeit mit Originalen und damit die Verbindung zur Museums-Praxis im Zentrum von Forschung und Lehre. Aus diesen frühen Erfahrungen resultierte unter anderem Gertruds Strenge in konservatorischen Fragen. Wer eine Graphik falsch anfasste, konnte ein regelrechtes Donnerwetter erleben. Auch beim längst überfälligen Aufbau eines funktionsgerechten Katalogs kamen ihr die Kieler Erfahrungen zugute. Die von ihr entwickelten Kategorien waren großenteils noch Jahrzehnte später, bei der Entwicklung des elektronischen Katalogs Kallías, maßgebend.
Mit sicherem Blick hat sie die besonderen Stärken der Sammlung erkannt und zur Geltung gebracht. Ich nenne nur ihre wichtigsten Leistungen auf diesem Gebiet:
Die Erstellung einer zwar auf den eigenen Bestand beschränkten, aber desto gründlicheren Schiller-Ikonographie, den gedruckten Katalog der Portrait-Unikate, das sogenannte Goldene Buch, und die Publikationen und Ausstellungen zu zwei bedeutenden künstlerischen Personalbeständen des Hauses, den Werken der Malerin Ludovike Simanowiz und der Scherenschneiderin Luise Duttenhofer. Neben dem Dienst hat sie für die Reihe "Rowohlts deutsche Enzyklopädie" den Band über Leben und Werk von Caspar David Friedrich verfasst, der es auf nicht weniger als 11 Auflagen brachte und seit kurzem sogar als E-book lieferbar ist. Bei all ihren Büchern, Aufsätzen und Ausstellungstexten war ihr wichtig, sich auch Nichtfachleuten verständlich zu machen.
Ihr besonderes Interesse galt der Plakatsammlung, insbesondere deren wertvollstem Teil, der Sammlung Marlinger, einem Bestand politischer Plakate aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die sie wiederholt und mit großem Erfolg jugendlichen Besuchern präsentierte.
Das Archiv war für sie nicht nur Arbeitsplatz, sondern Lebenszentrum. Im Kollegenkreis war sie, auch durch ihre norddeutsche Prägung, eine aparte Erscheinung. Ohne ihre regelmäßigen kleinen Fluchten in den Norden, vor allem nach Klappholttal auf Sylt, wäre sie unglücklich geworden. In Schwaben ist sie nie so recht heimisch geworden, auch sprachlich nicht. Zum Amusement unseres Photographenmeisters verwendete sie zum Beispiel für das wichtigste Aufbewahrungsmittel von Graphiken stets das Wort "Schieblade". Und ein argloses Paar, das ihr voll Stolz eine Flohmarkt-Erwerbung präsentierte, erschreckte sie durch den spontanen Ausruf: "Dieses Bild ist ges-tohlen!" Es handelte sich tatsächlich um ein bei einem der vielen Magazin-Umzüge abhanden gekommenes kleines Gemälde aus dem Museumsbestand.
In betrieblichen Fragen konnte sie einen bemerkenswerten Kampfgeist entwickeln. Als Gewerkschaftsmitglied pochte sie konsequent auf Mitbestimmung, übernahm zeitweise auch Funktionen. So sorgte sie zum Beispiel dafür, dass für eine Urabstimmung unter weniger als einem Dutzend organisierter Angestellter eine Wahlurne aus dem Rathaus besorgt wurde. Dass sie energisch für Frauenrechte eintrat, versteht sich. Das schloss allerdings nicht aus, dass sie gegenüber ihren Kolleginnen bisweilen in ein gewisses Konkurrenzdenken verfiel. Mit Männern kam sie, so mein Eindruck, im Grunde besser zurecht.
Die für die Kunstbestände zuständige Abteilung betrachtete sie als eine unantastbare Korporation, die intern absolute Solidarität und nach außen hin ein geschlossenes Auftreten verlangte. Das war wohl auch der stets prekären Stellung dieser Arbeitsgruppe geschuldet, die, gemessen an den zu betreuenden Beständen und den zu bewältigenden Aufgaben, noch heute unterbesetzt ist. Aus der Tatsache, dass Gertruds langjähriger Chef Walter Scheffler wichtige Aufgaben außerhalb der Abteilung zu erfüllen hatte, erwuchs ihr eine gewisse Selbständigkeit und Leitungsverantwortung. Spannungen ließen sich da nie ganz vermeiden. Als Scheffler in den Ruhestand trat, war ihr, wie sie selbst zugab, die Arbeit längst über den Kopf gewachsen.
Für mich als Schefflers Nachfolger war es nicht ganz leicht, sie in ein neues Organisationskonzept einzubinden. Flexibilität war nicht gerade ihre hervorstechende Eigenschaft. Doch waren ihre kritischen Einwendungen immer bedenkenswert, und man konnte bis zuletzt viel von ihr lernen, auch als sie im Ruhestand noch regelmäßig im Benutzerraum arbeitete. Ihr Eigensinn, der erst im hohen Alter einer gewissen Toleranz gewichen war, hat sich ganz zuletzt doch noch bewährt, indem sie es schaffte, den ersehnten Abschied von einem Leben, das ihr zunehmend als Bürde erschien, durch eine konsequente Verweigerung der Nahrungsaufnahme zumindest ein wenig zu beschleunigen.
Was bleibt? Die Leistung von Museumsleuten verbirgt sich, sieht man von spektakulären Erwerbungen ab, in den von ihnen betreuten Sammlung, in deren Ordnung und Erschließung, und sie steckt zudem in den Arbeiten der von ihnen betreuten Benutzer. Das gilt auch für Gertrud Fiege als Kuratorin einer nicht unbedeutenden Kunstsammlung. Lassen Sie mich noch eine kleine Begebenheit schildern: Marbach besitzt einen relativ umfangreichen Teilnachlass des Malers Ludwig von Gleichen-Rußwurm, eines Enkels von Friedrich Schiller. Ihm hat Gertrud kurz nach ihrem Eintritt in den Ruhestand eine kleine Ausstellung im Marbacher Rathaus gewidmet. Nun ist gegenwärtig in Würzburg, aus Weimar übernommen, eine große Ausstellung dieses Künstlers zu sehen, und die Organisatoren haben mich eingeladen, zum Begleitprogramm einen Vortrag beizusteuern. Ich habe deshalb ein wenig geforscht und war mir sicher, dabei so manches Neue entdeckt zu haben. Beim Durchsehen des einschlägigen Bestands im Graphik-Magazin fiel mir, als Beilage zu einer Zeichnung Gleichen-Rußwurms, ein Zettel in die Hand, auf dem Gertrud in ihrer unverwechselbaren Handschrift einiges von dem vermerkt hatte, was mir so neu erschienen war. Sie hatte es längst vor mir herausgefunden, festgehalten und als Botschaft an die nach ihr Kommenden in die "Schieblade" praktiziert. Leider konnte ich ihr von diesem Fund nicht mehr berichten.
Ähnliche Zettel hatte ich schon während meiner Dienstzeit des Öfteren entdeckt, und mich mitunter über diese doch arg behelfsmäßige Art der Informationsspeicherung geärgert. Doch auch in solchen Formen der Weitergabe von Fachwissen beweist sich die für die Arbeit an einer musealen Sammlung unabdingbare Kontinuität. Mag Gertrud nach ihrem Wunsch auch anonym beigesetzt werden, im Deutschen Literaturarchiv hat sie eine deutliche Spur hinterlassen. Und wenn die Marbacher Kunstsammlungen, unabhängig davon, wie sie jeweils benannt werden oder organisiert sind, keinen ganz schlechten Ruf in der Welt der Kunst und Wissenschaft genießen, dann ist das zu einem guten Teil ihr zu verdanken.“
Dr. Michael Davidis
Jürgen Fiege: „An dieser Stelle möchte ich allen Weg-Gefährtinnen und –Gefährten von Gertrud danken, namentlich Annemarie und Jochen Meyer, Cäcilie und Michael Davidis und Gotthard Mann.
Zum Schluss hören wir auf Gertruds ausdrücklichen Wunsch: Franz Schubert ‚Du holde Kunst‘“.
„Es ist alles immer schon so lange her.“ Diesen Satz prägte meine Schwester Gertrud Fiege vor einigen Monaten. Es könnte die Bilanz eines neunzigjährigen Lebens sein.
Wie schwierig das Altern ist, konnte man bei Gertrud sehen. Sie selbst hat vor Jahren gesagt: „Niemand hat uns gesagt, WIE schwer das ist.“ Die letzten Jahre konnte sie nicht mehr so recht. Es wurde immer weniger. Nicht nur der Körper versagte seinen Dienst, auch der Geist wollte nicht mehr so. Besonders litt sie darunter, dass sie sich nicht mehr aufs Lesen konzentrieren konnte. Das Fernsehen bot ihr nur wenige Möglichkeiten.
Ihr Lebensanfang war nicht gerade strahlend. „Am 3. Jan. 1931 wurde unsere Gertrud“ – drei Wochen zu früh – „geboren. Klein ist sie und sehr, sehr zart“, schrieb unsre Mutter in ihr Tagebuch. Es gab wenig Konstanz in dieser Zeit: Geboren in Denver in USA musste sie schon nach einem guten halben Jahr den Kontinent wechseln. Dann lebte die Familie einige Jahre in Göttingen, bis mein Vater 1936 nach Kiel zwangsversetzt wurde. In der Nähe besuchte sie erst die Dorfschule in Heikendorf. Zu den etwas gröber gestrickten Dorfkindern bekam sie – auch wegen deren plattdeutscher Sprache – wenig Kontakt. Dann – wieder nach einem halben Jahr – bekam die Familie eine Wohnung in Kiel, auf dem Knivsberg. Das wurde ihre Heimat für einige Jahre. Aber mitten im Krieg kam sie für mehr als ein Jahr in die Kinderlandverschickung. Zwei weitere Kriegsjahre verbrachte meine Mutter mit uns Kindern wegen der Bombenangriffe auf Kiel in Göttingen. Der Vater war Soldat. Im Dezember 1945 kehrten wir zurück nach Kiel. Sie liebte die Stadt und die Förde und die Ostsee. Das Rudern war ihre Leidenschaft.
Schon als Jugendliche und junge Frau hatte sie Gesundheitsprobleme. Die waren Folge u.a. der Überforderung während des und nach dem Krieg. In Göttingen war Mutter zur Fabrikarbeit verpflichtet worden, mit der ausdrücklichen Begründung, die Tochter, damals ein Teenager, könne auf mich aufpassen und den Haushalt führen. Die Schule lief quasi nebenher. Für mich war sie große Schwester und Mutterersatz in einem. Nach dem Krieg war Mutter viel krank, also musste Gertrud wieder einspringen. Schließlich wehrte sich ihr Körper durch Krankheit. Sie musste in der Schule ein Jahr lang aussetzen. Zusammen gerechnet mit einem Jahr Verlust durch die Kriegsfolgen – fast alle Kieler Schulen waren zerbombt oder stark beschädigt, Brennmaterial gab es nicht – ergab sich ein Verlust von zwei Jahren, so dass sie erst 1952, mit 21 Jahren das Abitur ablegte. Im Herbst 1951 war sie in Klausur zur Abi-Vorbereitung im kleinen Bauerndorf Lindhöft an der Eckernförder Bucht gegangen und hatte mich mitgenommen.
Im Sommersemester 1952 begann sie ein Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Archäologie in Kiel. Jetzt begann eine Phase glücklicher Zeit. Die Kunst war ihr Leben. Ein bestimmtes Bild in der Kieler Kunsthalle – sie hat es mir Jahrzehnte später gezeigt, leider habe ich Maler und Titel vergessen – hat bei ihr den Wunsch ausgelöst, dieses Fach zu studieren. Unser Vater war liberal genug, ihr das nicht nur zu erlauben, sondern es auch zu finanzieren. Zwar machte er sich Sorgen, sie könne davon nicht leben, aber immerhin….
Während dieser Zeit nahm sie mich mit auf eine Tramptour durch Ostholstein, und ich durfte mit ihr fast alle irgendwie bedeutsamen Kirchen besichtigen: den Ratzeburger Dom, Neustädter und die Möllner Stadtkirche, die Lübecker Kirchen und, und, und …. Ein anderes Mal verbrachte sie mit mir eine Woche Ferien in Büsum, wieder am Meer, dem anderen.
Nach drei Semestern wechselte sie für zwei Semester nach Göttingen und wohnte dort bei ihrer geliebten Patentante Grete. Anschließend wechselte sie nach München, wo sie u.a. bei dem berühmte Kunsthistoriker Sedlmayr studierte – Stichwort: „Der Verlust der Mitte“. Von München aus startete sie auf dem Fahrrad mit der neu gewonnenen Freundin Irmgard zu Touren durch Oberbayern von einer Barockkirche zur anderen. Mit Irmgard machte sie auch eine Tramp-Tour nach Italien: Kunstgeschichte in Venetien und in der Toscana. Davon schwärmte sie auch im Alter immer wieder. „Die Uffizien“ und die Fahrt im Fiat 500 bei großer Hitze über den Apennin. Zwischendurch trampte sie in den Semesterferien quer durch Westdeutschland nach Hause und zurück.
Irgendetwas muss sie dabei überfordert haben. War es die Belastung durch ihre Unternehmungen, war es eine unglückliche Liebe? Ich konnte es als Teenager nur ahnen und war auch mit mir selbst beschäftigt. Jedenfalls wurde sie wieder krank und musste ihr Studium aussetzen, bzw. nach einigen Jahren abbrechen. In dieser Zeit hat sie wohl den ganzen Goethe gelesen (im Bücherschrank meiner Eltern standen die gesammelten Werke in 30 Bänden). In Erinnerung bleibt mir auch ihre Lektüre des aufgeklärten, liberal-katholischen Autors Reinhold Schneider, was zwischen uns zu kontroversen Diskussion über Religion führte. Sie wollte wohl der in sie injizierten Nazi-Ideologie etwas entgegensetzen.
Ihre Stützen waren während dieser Jahre unsere Mutter, die geduldig die täglichen Spaziergange – oft waren es nur ein-, zweihundert Meter – mit ihr absolvierte, und immer wieder die treue Irmgard, die sie regelmäßig besuchte.
Nach einer Art Kuraufenthalt mit Beschäftigungstherapie auf Sylt vermittelte Irmgard ihr den Kontakt zum Schiller-National- Museum in Marbach/Neckar. Hier bekam sie zunächst einen Werkvertrag in der Bildnis-Abteilung und arbeitete sich langsam nach oben. Über ihre Arbeit dort wird Michael Davidis berichten. Neben vielen anderen Anregungen verdanke ich ihr den Vorschlag, meine sporadisch für den Wandschmuck in meiner Studentenbude gehamsterten Plakate aufzuheben. So entstand der Grundstock für eine umfangreiche Sammlung, die ich später dem Literatur-Archiv übergab.
Der erste Aufenthalt auf Sylt legte den Grundstein für ihre lebenslange Liebe zu der Insel. Viele Jahre verbrachte sie ihren Urlaub in Klappholttal und nahm an Mal- und Schreibwerkstätten teil. Dort schloss sie auch dauerhafte Freundschaften.
Mir bleiben noch drei Dinge zu sagen: Erst als ich ihre Wohnung auflöste, wurde mir klar, wieviel sie neben ihrer Arbeit im Museum geleistet hat: Den Bestseller unter den rororo-Bildmonografien über Caspar David Friedrich mit elf überarbeiteten Auflagen à 10.000 Exemplaren, inzwischen als E-Book erhältlich
(Caspar_David_Friedrich.epub), viele Zeitschriften-Aufsätze, Gedichte. Die Bemühung, ihre Wohnadresse in Marbach zu ändern: Der Namensgeber war Nazi, und sie hat sich sehr stark gemacht, ihn durch einen anderen Autor zu ersetzen.
Dann: Intellektuell war sie ebenso wie physisch – Rudern, Radfahren, Wanderungen und Spaziergänge – sehr beweglich. Mit ihrer frühen Impfung durch Nazi-Gedankengut begann ihr Entwicklung. Nach dem Krieg dann die „Läuterung“ durch Reinhold Schneider und seit den 60er Jahren ihre linke Orientierung. Selbst zur Gewerkschafterin und Personalrätin hat sie sich gemausert.
Und schließlich eine Anekdote: Im NWDR lief sonntags um 18 Uhr klassische Musik. Dazu versammelte sich die Familie vor dem Radio. Bei den Ansagen wurde der Ton leise, wenn die Musik begann, laut gestellt. Und wir rieten, wer wohl der Komponist war. Der Musikgeschmack meiner Eltern reichte von Bach bis Brahms, Moderneres kam nicht vor. Und bei EINEM, einem jüdischen Komponisten, wurde abgeschaltet. Da holen wir etwas nach und hören jetzt Felix Mendelssohn-Bartholdys Andante aus der Symphonie Nr. 5.
Jürgen Fiege
Lieber Jürgen und liebe Gerhild Fiege, liebe Freunde und Bekannte, Kolleginnen und Kollegen von Gertrud Fiege
Die beruflichen Leistungen der Verstorbenen zu würdigen, ihre Rolle als Kollegin mit wenigen Worten zu umreißen, ist leicht und schwer zugleich. Es ist leicht, weil sie ihre Tätigkeit an einem einzigen Arbeitsplatz ausgeübt hat, in der Bildabteilung des Schiller-Nationalmuseums und Deutschen Literaturarchivs, der sie 32 Jahre lang, von 1961 bis 1993, angehört hat. Es ist schwer, weil ihr dortiges Aufgabengebiet ungemein vielfältig war. Es ist leicht, weil sie eine tüchtige, originelle und liebenswerte Kollegin war, und es ist schwer, weil jeder, der mit ihr zusammengearbeitet hat, nicht umhin kann, auch ihre Ecken und Kanten zu erwähnen.
Gertrud war die vielleicht letzte Vertreterin einer Generation, die ihre Arbeit schon in den ersten Jahren nach der Gründung des DLA aufgenommen hat, einer Generation, deren Jugend von Diktatur, Krieg und Wiederaufbau geprägt war. Gertruds Anstellung könnte man als ein Beispiel für die zuweilen unkonventionelle Personalpolitik Bernhard Zellers nehmen, dem es gelang, mit ihr eine kompetente und, da sie aus gesundheitlichen Gründen ihr Studium nicht hatte abschließen können, zugleich kostengünstige wissenschaftliche Kraft zu gewinnen. Erst sein Nachfolger Ulrich Ott hat sie in ihren letzten Dienstjahren leistungsgerecht eingestuft. Sie hat, und das war ihr Hauptverdienst, die Disziplin der Kunstgeschichte in Marbach etabliert und dort mehr als drei Jahrzehnte lang vertreten.
Die dafür erforderliche Fachkompetenz hatte sie schon in den ersten Studiensemestern an der Universität Kiel erworben, wo die Kustodin der organisatorisch mit der Universität verbundenen Kunsthalle, Lilli Martius, zu ihrer wichtigsten Lehrerin wurde. Für Martius und ihre Schüler stand die Arbeit mit Originalen und damit die Verbindung zur Museums-Praxis im Zentrum von Forschung und Lehre. Aus diesen frühen Erfahrungen resultierte unter anderem Gertruds Strenge in konservatorischen Fragen. Wer eine Graphik falsch anfasste, konnte ein regelrechtes Donnerwetter erleben. Auch beim längst überfälligen Aufbau eines funktionsgerechten Katalogs kamen ihr die Kieler Erfahrungen zugute. Die von ihr entwickelten Kategorien waren großenteils noch Jahrzehnte später, bei der Entwicklung des elektronischen Katalogs Kallías, maßgebend.
Mit sicherem Blick hat sie die besonderen Stärken der Sammlung erkannt und zur Geltung gebracht. Ich nenne nur ihre wichtigsten Leistungen auf diesem Gebiet:
Die Erstellung einer zwar auf den eigenen Bestand beschränkten, aber desto gründlicheren Schiller-Ikonographie, den gedruckten Katalog der Portrait-Unikate, das sogenannte Goldene Buch, und die Publikationen und Ausstellungen zu zwei bedeutenden künstlerischen Personalbeständen des Hauses, den Werken der Malerin Ludovike Simanowiz und der Scherenschneiderin Luise Duttenhofer. Neben dem Dienst hat sie für die Reihe "Rowohlts deutsche Enzyklopädie" den Band über Leben und Werk von Caspar David Friedrich verfasst, der es auf nicht weniger als 11 Auflagen brachte und seit kurzem sogar als E-book lieferbar ist. Bei all ihren Büchern, Aufsätzen und Ausstellungstexten war ihr wichtig, sich auch Nichtfachleuten verständlich zu machen.
Ihr besonderes Interesse galt der Plakatsammlung, insbesondere deren wertvollstem Teil, der Sammlung Marlinger, einem Bestand politischer Plakate aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, die sie wiederholt und mit großem Erfolg jugendlichen Besuchern präsentierte.
Das Archiv war für sie nicht nur Arbeitsplatz, sondern Lebenszentrum. Im Kollegenkreis war sie, auch durch ihre norddeutsche Prägung, eine aparte Erscheinung. Ohne ihre regelmäßigen kleinen Fluchten in den Norden, vor allem nach Klappholttal auf Sylt, wäre sie unglücklich geworden. In Schwaben ist sie nie so recht heimisch geworden, auch sprachlich nicht. Zum Amusement unseres Photographenmeisters verwendete sie zum Beispiel für das wichtigste Aufbewahrungsmittel von Graphiken stets das Wort "Schieblade". Und ein argloses Paar, das ihr voll Stolz eine Flohmarkt-Erwerbung präsentierte, erschreckte sie durch den spontanen Ausruf: "Dieses Bild ist ges-tohlen!" Es handelte sich tatsächlich um ein bei einem der vielen Magazin-Umzüge abhanden gekommenes kleines Gemälde aus dem Museumsbestand.
In betrieblichen Fragen konnte sie einen bemerkenswerten Kampfgeist entwickeln. Als Gewerkschaftsmitglied pochte sie konsequent auf Mitbestimmung, übernahm zeitweise auch Funktionen. So sorgte sie zum Beispiel dafür, dass für eine Urabstimmung unter weniger als einem Dutzend organisierter Angestellter eine Wahlurne aus dem Rathaus besorgt wurde. Dass sie energisch für Frauenrechte eintrat, versteht sich. Das schloss allerdings nicht aus, dass sie gegenüber ihren Kolleginnen bisweilen in ein gewisses Konkurrenzdenken verfiel. Mit Männern kam sie, so mein Eindruck, im Grunde besser zurecht.
Die für die Kunstbestände zuständige Abteilung betrachtete sie als eine unantastbare Korporation, die intern absolute Solidarität und nach außen hin ein geschlossenes Auftreten verlangte. Das war wohl auch der stets prekären Stellung dieser Arbeitsgruppe geschuldet, die, gemessen an den zu betreuenden Beständen und den zu bewältigenden Aufgaben, noch heute unterbesetzt ist. Aus der Tatsache, dass Gertruds langjähriger Chef Walter Scheffler wichtige Aufgaben außerhalb der Abteilung zu erfüllen hatte, erwuchs ihr eine gewisse Selbständigkeit und Leitungsverantwortung. Spannungen ließen sich da nie ganz vermeiden. Als Scheffler in den Ruhestand trat, war ihr, wie sie selbst zugab, die Arbeit längst über den Kopf gewachsen.
Für mich als Schefflers Nachfolger war es nicht ganz leicht, sie in ein neues Organisationskonzept einzubinden. Flexibilität war nicht gerade ihre hervorstechende Eigenschaft. Doch waren ihre kritischen Einwendungen immer bedenkenswert, und man konnte bis zuletzt viel von ihr lernen, auch als sie im Ruhestand noch regelmäßig im Benutzerraum arbeitete. Ihr Eigensinn, der erst im hohen Alter einer gewissen Toleranz gewichen war, hat sich ganz zuletzt doch noch bewährt, indem sie es schaffte, den ersehnten Abschied von einem Leben, das ihr zunehmend als Bürde erschien, durch eine konsequente Verweigerung der Nahrungsaufnahme zumindest ein wenig zu beschleunigen.
Was bleibt? Die Leistung von Museumsleuten verbirgt sich, sieht man von spektakulären Erwerbungen ab, in den von ihnen betreuten Sammlung, in deren Ordnung und Erschließung, und sie steckt zudem in den Arbeiten der von ihnen betreuten Benutzer. Das gilt auch für Gertrud Fiege als Kuratorin einer nicht unbedeutenden Kunstsammlung. Lassen Sie mich noch eine kleine Begebenheit schildern: Marbach besitzt einen relativ umfangreichen Teilnachlass des Malers Ludwig von Gleichen-Rußwurm, eines Enkels von Friedrich Schiller. Ihm hat Gertrud kurz nach ihrem Eintritt in den Ruhestand eine kleine Ausstellung im Marbacher Rathaus gewidmet. Nun ist gegenwärtig in Würzburg, aus Weimar übernommen, eine große Ausstellung dieses Künstlers zu sehen, und die Organisatoren haben mich eingeladen, zum Begleitprogramm einen Vortrag beizusteuern. Ich habe deshalb ein wenig geforscht und war mir sicher, dabei so manches Neue entdeckt zu haben. Beim Durchsehen des einschlägigen Bestands im Graphik-Magazin fiel mir, als Beilage zu einer Zeichnung Gleichen-Rußwurms, ein Zettel in die Hand, auf dem Gertrud in ihrer unverwechselbaren Handschrift einiges von dem vermerkt hatte, was mir so neu erschienen war. Sie hatte es längst vor mir herausgefunden, festgehalten und als Botschaft an die nach ihr Kommenden in die "Schieblade" praktiziert. Leider konnte ich ihr von diesem Fund nicht mehr berichten.
Ähnliche Zettel hatte ich schon während meiner Dienstzeit des Öfteren entdeckt, und mich mitunter über diese doch arg behelfsmäßige Art der Informationsspeicherung geärgert. Doch auch in solchen Formen der Weitergabe von Fachwissen beweist sich die für die Arbeit an einer musealen Sammlung unabdingbare Kontinuität. Mag Gertrud nach ihrem Wunsch auch anonym beigesetzt werden, im Deutschen Literaturarchiv hat sie eine deutliche Spur hinterlassen. Und wenn die Marbacher Kunstsammlungen, unabhängig davon, wie sie jeweils benannt werden oder organisiert sind, keinen ganz schlechten Ruf in der Welt der Kunst und Wissenschaft genießen, dann ist das zu einem guten Teil ihr zu verdanken.“
Dr. Michael Davidis
Jürgen Fiege: „An dieser Stelle möchte ich allen Weg-Gefährtinnen und –Gefährten von Gertrud danken, namentlich Annemarie und Jochen Meyer, Cäcilie und Michael Davidis und Gotthard Mann.
Zum Schluss hören wir auf Gertruds ausdrücklichen Wunsch: Franz Schubert ‚Du holde Kunst‘“.
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Sonntag, 8. Januar 2023
Israel: Regierung oder Verbrecher-Syndikat?
jf.bremen, 06:46h
Die neue israelische Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanyahu lässt Zweifel darüber aufkommen, ob es sich nicht eigentlich um ein Verbrecher-Syndikat handelt.
Der neue Minister für öffentliche Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, wurde aus dem Militärdient wegen rechtsextremer Äußerungen entlassen sowie achtmal wegen gleicher Delikte vorbestraft, einmal wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Arje Deri, mehrfach mit Gefängnisstrafen vorbestraft wegen Korruption, Betrugs und Amtsmissbrauchs, ist neuer Innenminister.
Bezaleel Smotrich ist der Vertreter radikaler Siedler in der neuen Regierung. Ihm ist der Posten des Finanzministers zugedacht. 2005 wurde er vom Innengeheimdienst festgenommen und terroristischer Aktivitäten verdächtigt, allerdings nicht verurteilt.
Gegen Netanjahu selbst schwebt seit Jahren ein Verfahren wegen Korruption, das immer wieder herausgezögert wurde. Netanyahu hat angekündigt, dass er mit seiner religiösen, rechten bis rechtsextremen Koalition Gesetze so ändern will, dass weder er noch seine Kumpane noch belangt werden können.
In Israel war man bisher stolz darauf, der einzige demokratische Staat im Nahen Osten zu sein. Diese Zeiten scheinen jetzt endgültig abgelaufen zu sein. Daran ändern wohl auch einzelne kritische Stimmen nichts mehr – und seien es der Oberstaatsanwalt oder der oberste militärische Führer.
Der neue Minister für öffentliche Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, wurde aus dem Militärdient wegen rechtsextremer Äußerungen entlassen sowie achtmal wegen gleicher Delikte vorbestraft, einmal wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Arje Deri, mehrfach mit Gefängnisstrafen vorbestraft wegen Korruption, Betrugs und Amtsmissbrauchs, ist neuer Innenminister.
Bezaleel Smotrich ist der Vertreter radikaler Siedler in der neuen Regierung. Ihm ist der Posten des Finanzministers zugedacht. 2005 wurde er vom Innengeheimdienst festgenommen und terroristischer Aktivitäten verdächtigt, allerdings nicht verurteilt.
Gegen Netanjahu selbst schwebt seit Jahren ein Verfahren wegen Korruption, das immer wieder herausgezögert wurde. Netanyahu hat angekündigt, dass er mit seiner religiösen, rechten bis rechtsextremen Koalition Gesetze so ändern will, dass weder er noch seine Kumpane noch belangt werden können.
In Israel war man bisher stolz darauf, der einzige demokratische Staat im Nahen Osten zu sein. Diese Zeiten scheinen jetzt endgültig abgelaufen zu sein. Daran ändern wohl auch einzelne kritische Stimmen nichts mehr – und seien es der Oberstaatsanwalt oder der oberste militärische Führer.
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Wann ist man alt?
jf.bremen, 06:05h
Manche sagen, man sei alt, wenn man beim Bücken sucht, ob es etwas außer der heruntergefallenen Zeitung gibt, was man zugleich aufheben kann.
Ich sage, man ist alt, wenn einem in kurzem Abstand zwei Ärzte ähnliche Diagnosen liefern. Neulich ließ ich – wie alle fünf Jahre – eine Darmspiegelung machen. Der Arzt beruhigte mich, es sei alles in Ordnung. Ich versicherte ihm, ich würde in fünf Jahren, also mit 85, wiederkommen. Darauf er: „In dem Alter machen wir das nicht mehr.“
Wenig später ging ich mit Zahnschmerzen zu meinem Zahnarzt. Diagnose: Unter dem Zahn befinde sich eine Entzündung. Die könne er lindern, aber nicht beseitigen. Wenn die Schmerzen anhalten, müsse der Zahn gezogen werden. Ich schlug vor, dann einen Stiftzahn zu implantieren. Darauf er: „Nein in Ihrem Alter macht man das nicht mehr.“
Genau. Ein Schrottauto wird auch nicht mehr repariert.
Ich sage, man ist alt, wenn einem in kurzem Abstand zwei Ärzte ähnliche Diagnosen liefern. Neulich ließ ich – wie alle fünf Jahre – eine Darmspiegelung machen. Der Arzt beruhigte mich, es sei alles in Ordnung. Ich versicherte ihm, ich würde in fünf Jahren, also mit 85, wiederkommen. Darauf er: „In dem Alter machen wir das nicht mehr.“
Wenig später ging ich mit Zahnschmerzen zu meinem Zahnarzt. Diagnose: Unter dem Zahn befinde sich eine Entzündung. Die könne er lindern, aber nicht beseitigen. Wenn die Schmerzen anhalten, müsse der Zahn gezogen werden. Ich schlug vor, dann einen Stiftzahn zu implantieren. Darauf er: „Nein in Ihrem Alter macht man das nicht mehr.“
Genau. Ein Schrottauto wird auch nicht mehr repariert.
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CDU-Mist und die Reinigung des Augias-Stalls
jf.bremen, 05:48h
Wegen der Aufregung um die defekten Puma-Schützenpanzer wurden die anderen Probleme vorübergehend vergessen. Aber noch immer fehlen der Armee Munition und Ausrüstung. Dabei sind das die kleineren gesellschaftlichen Probleme.
Die Bundesbahn fährt auf maroden Gleisen, hält von Hodenhagen bis Hymendorf in maroden Bahnhöfen, passiert bröckelnde Brücken, mit einem veralteten Fuhrpark. Dafür wird in das Milliardengrab von Stuttgart 21, natürlich mit Schulden, Geld versenkt.
Im Gesundheitswesen fehlen Personal, Medikamente, auf dem Land ganze Kliniken. Der Nord-Ostsee-Kanal ist immer noch nicht saniert, die Schleusen zu klein.
Das ist die – unvollständige – Bilanz von sechzehn Jahren CDU-Regierungen. Und jetzt heißt es, die Ampel-Koalition könne der Probleme nicht Herr werden. Was in zwei Jahrzehnten versäumt wurde, lässt sich nicht in zwölf Monaten nachholen. Zumal in zwölf Monaten mit Epidemie, Krieg in der Ukraine und den daraus resultierenden Defiziten.
Man wundert sich, dass die Ampel-Koalitionäre den Augias-Stall überhaupt übernommen haben. Und noch wunderbarer ist, wie sie trotz allem etwas bewirken.
Die Bundesbahn fährt auf maroden Gleisen, hält von Hodenhagen bis Hymendorf in maroden Bahnhöfen, passiert bröckelnde Brücken, mit einem veralteten Fuhrpark. Dafür wird in das Milliardengrab von Stuttgart 21, natürlich mit Schulden, Geld versenkt.
Im Gesundheitswesen fehlen Personal, Medikamente, auf dem Land ganze Kliniken. Der Nord-Ostsee-Kanal ist immer noch nicht saniert, die Schleusen zu klein.
Das ist die – unvollständige – Bilanz von sechzehn Jahren CDU-Regierungen. Und jetzt heißt es, die Ampel-Koalition könne der Probleme nicht Herr werden. Was in zwei Jahrzehnten versäumt wurde, lässt sich nicht in zwölf Monaten nachholen. Zumal in zwölf Monaten mit Epidemie, Krieg in der Ukraine und den daraus resultierenden Defiziten.
Man wundert sich, dass die Ampel-Koalitionäre den Augias-Stall überhaupt übernommen haben. Und noch wunderbarer ist, wie sie trotz allem etwas bewirken.
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Samstag, 7. Januar 2023
Flucht in die Alpenfestung
jf.bremen, 18:02h
Hallo und Moin, da bin ich wieder. Und schon gibt es wieder was zu parodieren:
König Markus, also der Söder, bayerischer Ministerpräsident, hat möglichst weit ab vom Zentrum politischen Geschehens, nämlich auf der Zugspitze, erklärt: "Berlin ist einfach nicht sicher." Er bleibe in Bayern. Das Thema Kanzlerkandidatur sei für ihn erledigt.
Da kann man nur den Jungs aus Neukölln und anderswo zurufen: Weiter so, nicht nachlassen mit der Randale. Das scheint das sicherste Mittel zu sein, einen Kanzler aus der CSU, gar den Söder, zu verhindern.
Bleibt nur zu hoffen, dass der bayrische Wetterhahn seine Meinung nicht wieder um hundertachtzig Grad dreht.
König Markus, also der Söder, bayerischer Ministerpräsident, hat möglichst weit ab vom Zentrum politischen Geschehens, nämlich auf der Zugspitze, erklärt: "Berlin ist einfach nicht sicher." Er bleibe in Bayern. Das Thema Kanzlerkandidatur sei für ihn erledigt.
Da kann man nur den Jungs aus Neukölln und anderswo zurufen: Weiter so, nicht nachlassen mit der Randale. Das scheint das sicherste Mittel zu sein, einen Kanzler aus der CSU, gar den Söder, zu verhindern.
Bleibt nur zu hoffen, dass der bayrische Wetterhahn seine Meinung nicht wieder um hundertachtzig Grad dreht.
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Montag, 5. Dezember 2022
Personalengpässe in Krankenhäusern
jf.bremen, 17:47h
Neulich, ne, eigentlich erst heute Morgen, steht A.G. mit einem Köfferchen und seiner Frau an der Anmeldung des örtlichen Herz-/Kreislauf-Krankenhauses. Er muss einen Bypass bekommen. Alles ist vorbereitet: Er ist rasiert, hat sich die Embolie-Spritze gesetzt, hat morgens nicht mehr gefrühstückt, ist Corona-getestet, die anschließende Reha und der Transport dorthin sind organisiert. Und dann kommt der Hammer. Er wird abgelehnt, wegen Personalmangel, ohne neuen Termin!
Dr. Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, hat angeordnet, dass das verfügbare Personal aus den Allgemeinen Krankenhäusern in die Kinderkliniken versetzt wird, weil dort ein dramatischer Personalengpass herrscht. Ganz viele Kinder haben Atemwegserkrankungen, teils lebensbedrohlich. So wird eine Lücke gefüllt und eine neue gerissen. Lauterbach bekommt dafür Haue von der Presse, den Ärzten und ihren Organisationen, der Opposition u.a.
Die Ursachen reichen weit über seine gegenwärtige Amtszeit zurück. Sie liegen in den 90er Jahren, als eine stabile konservative Regierung unter Helmut Kohl die Geschicke des Landes „lenkte“. Deren Hauptaktivitäten lagen in der Privatisierung aller bisher staatlichen oder gesellschaftlichen Dienstleister: von der Post, der Bahn über die Müllabfuhr und eben bis zum Gesundheitswesen. Krankenhäuser wurden auf Deubel-Komm-Raus an Privat-Investoren verscherbelt. Die hatten eher nicht die Gesundheit der BürgerInnen im Sinn, sondern vor allem die eigene Rendite.
BM Lauterbach versucht jetzt mit seinem Reformvorschlag, die Fallpauschalen durch einen Grundbetrag zu ergänzen. Das ist das Mindeste, was dringend zu tun ist. Wie zu erwarten, ist die CDU mal wieder dagegen: Sie fürchtet um den stückweisen Abbau der Privatisierung. Der aberwitzige Vorwurf aus der CDU: das sei "sozialistische Planwirtschaft". Die spinnen, die Konservativen!
Wo kann man bisher am meisten und nachhaltig sparen? Beim Personal vor allem. So wurde „abgebaut“, was abzubauen war. Die Folgen wurden nur zeitverzögert sichtbar, die Pandemie hat sie maximiert und sichtbar gemacht.
Eine zweite Sünde der Konservativen war die jahrzehntelange Weigerung anzuerkennen, dass die Alterspyramide eine massive Zuwanderung notwendig machte. Noch in den letzten 1990er Jahren verkündeten CDUler volltönend: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ Dabei benötigt Deutschland 400.000 Einwanderer, jährlich! Praktisch verhalten die Konservativen sich immer noch so wie damals. Man kann es an der Debatte um das Staatsbürger- und Einwanderungs-Recht ablesen.
Ausbaden müssen das A.G. und alle anderen auch!
Dr. Lauterbach, der Bundesgesundheitsminister, hat angeordnet, dass das verfügbare Personal aus den Allgemeinen Krankenhäusern in die Kinderkliniken versetzt wird, weil dort ein dramatischer Personalengpass herrscht. Ganz viele Kinder haben Atemwegserkrankungen, teils lebensbedrohlich. So wird eine Lücke gefüllt und eine neue gerissen. Lauterbach bekommt dafür Haue von der Presse, den Ärzten und ihren Organisationen, der Opposition u.a.
Die Ursachen reichen weit über seine gegenwärtige Amtszeit zurück. Sie liegen in den 90er Jahren, als eine stabile konservative Regierung unter Helmut Kohl die Geschicke des Landes „lenkte“. Deren Hauptaktivitäten lagen in der Privatisierung aller bisher staatlichen oder gesellschaftlichen Dienstleister: von der Post, der Bahn über die Müllabfuhr und eben bis zum Gesundheitswesen. Krankenhäuser wurden auf Deubel-Komm-Raus an Privat-Investoren verscherbelt. Die hatten eher nicht die Gesundheit der BürgerInnen im Sinn, sondern vor allem die eigene Rendite.
BM Lauterbach versucht jetzt mit seinem Reformvorschlag, die Fallpauschalen durch einen Grundbetrag zu ergänzen. Das ist das Mindeste, was dringend zu tun ist. Wie zu erwarten, ist die CDU mal wieder dagegen: Sie fürchtet um den stückweisen Abbau der Privatisierung. Der aberwitzige Vorwurf aus der CDU: das sei "sozialistische Planwirtschaft". Die spinnen, die Konservativen!
Wo kann man bisher am meisten und nachhaltig sparen? Beim Personal vor allem. So wurde „abgebaut“, was abzubauen war. Die Folgen wurden nur zeitverzögert sichtbar, die Pandemie hat sie maximiert und sichtbar gemacht.
Eine zweite Sünde der Konservativen war die jahrzehntelange Weigerung anzuerkennen, dass die Alterspyramide eine massive Zuwanderung notwendig machte. Noch in den letzten 1990er Jahren verkündeten CDUler volltönend: „Deutschland ist kein Einwanderungsland.“ Dabei benötigt Deutschland 400.000 Einwanderer, jährlich! Praktisch verhalten die Konservativen sich immer noch so wie damals. Man kann es an der Debatte um das Staatsbürger- und Einwanderungs-Recht ablesen.
Ausbaden müssen das A.G. und alle anderen auch!
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Samstag, 3. Dezember 2022
Alice Schwarzer wird 80
jf.bremen, 19:24h
Das ist schon das Einzige, was ich mit ihr gemeinsam habe. Und vielleicht noch die Politisierung in der 68er-Bewegung, aber sie in Paris, ich in Berlin.
Sie eine Frau, ich ein Mann. Meine Sozialisation vor dem geschichtsträchtigen Datum fand in einem – fast – reinen Frauen-Haushalt statt: Dort lernte ich Respekt vor Frauen, und dass man keine schlechten Witze über sie macht.
Schwarzer hat sich ohne Frage verdient gemacht für die Frauenbewegung. Ihr Einsatz für die Abschaffung des § 218 war vorbildlich, allerdings ohne die vielen anderen Frauen, die für den berühmten STERN-Titel „Wir haben abgetrieben“ ihr Bekenntnis und ihr Portrait gaben, wäre das nie und nimmer gegangen. Sie aber posiert heute auf Pressefotos mit dem Stern-Titel.
Das ist symptomatisch: Alice ist eine Solistin und verkauft vor allem sich selbst. Ein Buch, das sie mit fünfzehn anderen Autorinnen gemeinsam schreiben wollte, kam so nicht zustande; sie schrieb es allein, nachdem die Co-Autorinnen sich verstimmt zurückgezogen hatten. Sie war zwar nicht teamfähig, überzeugte ihre Jüngerinnen aber mit ihrer Autorität. Beides – die Jüngerinnen und die Autorität – wurden mit der Zeit immer weniger. Bascha Mika, Ex-taz-Chefredakteurin, hat es auf den Punkt gebracht: „Sie hat den Feminismus nicht vorangebracht.“
....................................
Dazu trugen auch ihre solistischen Kampagnen bei. PorNo und ihr rigoroser Kampf gegen Prostitution blieben unter Linken und real erfolglos. Sie war offensichtlich unfähig, die Ursachen zu erkennen: Solange es eine restriktive, sexualfeindliche Moral gibt, wird es beides geben. Und das wirkt unter den Bedingungen von – nicht nur – christlicher Moral und des Kapitalismus fort. Diesen Zusammenhang hat sie wohl nicht begriffen. Das war auch ihrem Hang zu Vereinfachungen, zu verstaubten Ansichten geschuldet. Bizarr ihre Losung "Frauen in die Bundeswehr" - vorausgesetzt sie können General werden. Und: Wer sich mit Islam-Feinden und Putin-Freunden gemein macht, kann nicht als fortschrittlich gelten.
Den Kapitalismus begreift sie sehr wohl. Trotz 1968. Ihre Frauenzeitschrift „emma“, das Buchgeschäft, Filme und die Pressearbeit werfen immerhin so viel ab, dass sie 250.000 Euro am deutschen Finanzamt vorbei in die Schweiz transferieren konnte. Sie scheute sich auch nicht, im Busenblatt „BILD“ eine Kampagne (War es Me-Too?) zu unterstützen. Eine Zeitung, deren Chefredakteur für seinen ruppigen und sexistischen Umgang mit Mitarbeiterinnen notorisch ist.
Die Realsatire einer Berliner Prostituierten spitzt es zu – sie gibt sich den „Künstlernamen“ Alice Schwarzer (s. miniaturen 18.01.2020 u.a.).
Sie eine Frau, ich ein Mann. Meine Sozialisation vor dem geschichtsträchtigen Datum fand in einem – fast – reinen Frauen-Haushalt statt: Dort lernte ich Respekt vor Frauen, und dass man keine schlechten Witze über sie macht.
Schwarzer hat sich ohne Frage verdient gemacht für die Frauenbewegung. Ihr Einsatz für die Abschaffung des § 218 war vorbildlich, allerdings ohne die vielen anderen Frauen, die für den berühmten STERN-Titel „Wir haben abgetrieben“ ihr Bekenntnis und ihr Portrait gaben, wäre das nie und nimmer gegangen. Sie aber posiert heute auf Pressefotos mit dem Stern-Titel.
Das ist symptomatisch: Alice ist eine Solistin und verkauft vor allem sich selbst. Ein Buch, das sie mit fünfzehn anderen Autorinnen gemeinsam schreiben wollte, kam so nicht zustande; sie schrieb es allein, nachdem die Co-Autorinnen sich verstimmt zurückgezogen hatten. Sie war zwar nicht teamfähig, überzeugte ihre Jüngerinnen aber mit ihrer Autorität. Beides – die Jüngerinnen und die Autorität – wurden mit der Zeit immer weniger. Bascha Mika, Ex-taz-Chefredakteurin, hat es auf den Punkt gebracht: „Sie hat den Feminismus nicht vorangebracht.“
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Dazu trugen auch ihre solistischen Kampagnen bei. PorNo und ihr rigoroser Kampf gegen Prostitution blieben unter Linken und real erfolglos. Sie war offensichtlich unfähig, die Ursachen zu erkennen: Solange es eine restriktive, sexualfeindliche Moral gibt, wird es beides geben. Und das wirkt unter den Bedingungen von – nicht nur – christlicher Moral und des Kapitalismus fort. Diesen Zusammenhang hat sie wohl nicht begriffen. Das war auch ihrem Hang zu Vereinfachungen, zu verstaubten Ansichten geschuldet. Bizarr ihre Losung "Frauen in die Bundeswehr" - vorausgesetzt sie können General werden. Und: Wer sich mit Islam-Feinden und Putin-Freunden gemein macht, kann nicht als fortschrittlich gelten.
Den Kapitalismus begreift sie sehr wohl. Trotz 1968. Ihre Frauenzeitschrift „emma“, das Buchgeschäft, Filme und die Pressearbeit werfen immerhin so viel ab, dass sie 250.000 Euro am deutschen Finanzamt vorbei in die Schweiz transferieren konnte. Sie scheute sich auch nicht, im Busenblatt „BILD“ eine Kampagne (War es Me-Too?) zu unterstützen. Eine Zeitung, deren Chefredakteur für seinen ruppigen und sexistischen Umgang mit Mitarbeiterinnen notorisch ist.
Die Realsatire einer Berliner Prostituierten spitzt es zu – sie gibt sich den „Künstlernamen“ Alice Schwarzer (s. miniaturen 18.01.2020 u.a.).
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Mittwoch, 30. November 2022
Merz motzt
jf.bremen, 15:33h
Egal, was die Ampel-Koalition tut, Merz hat etwas daran auszusetzen. Entweder es kommt zu früh oder zu spät oder es ist zu wenig oder zu viel.
Vorwurf Nr. 1: Der Munitionsmangel bei der Bundeswehr. Es scheint zweifelsfrei zu wenig Munition zu geben. Seit wann? Ist nicht genau festzustellen, jedenfalls nicht erst seit diesem Jahr. CDU/CSU hätten sechzehn Jahre Zeit gehabt, Munition zu beschaffen, und ebenso viel Zeit, das Beschaffungswesen effektiv zu organisieren. Stattdessen starteten sie einen Auslandseinsatz nach dem anderen mit äußerst zweifelhaften Ergebnissen (Afghanistan, Mali) und hinterließen der neuen Regierung ein Chaos.
Vorwurf Nr. 2: Das Bürgergeld schaffe den angeblich arbeitsunwilligen Hartz-IV-Empfängern eine bequeme Hängematte. Dabei wird bewusst mit Unwahrheiten argumentiert: Das Gesetz sehe keine Sanktionen vor, fördere die Arbeitslosen statt sie zu fordern. Da die Konservativen im Bundestag keine Mehrheit haben, nutzten sie als Hebel die Ländervertretung, um das Gesetz so zu beschneiden, dass kein Unterschied zu Hartz-IV mehr zu erkennen ist.
Vorwurf 3: Seit dreißig Jahren, in denen die CDU (mit-)regierte, wurde das Einwanderungsgesetz nicht mehr geändert, obwohl immer mehr Immigranten nach Deutschland kamen. Kaum ein anderes europäisches Land hat ein derart verstaubtes Gesetz. Hier hat die CDU ebenso die Zeit verschlafen. Ihre Einwände sind fadenscheinig: Die Staatsbürgerschaft werden "verramscht" (so Dobrindt). "Verramschen" heißt unter Preis verkaufen. Im Gegenteil müssen Einbürgerungswillige Immigranten klar definierte Voraussetzungen mitbringen. Die kann man im Gesetzentwurf nachlesen. Andererseits jammern die Arbeitgeber über Arbeitskräftemangel. Statistiker haben ausgerechnet, dass bis auf weiteres 400.000 Einwanderer pro Jahr benötigt werden, um den Arbeitskräftemangel zu kompensieren. Und: Wer will einwandern, wenn er nicht die Chance bekommt, zu bleiben und Bundesbürger zu werden. Das will die CDU getreu dem Versuchsballon Bürgergeld möglichst beschneiden und im Bundesrat blockieren.
Ganz nebenbei assistiert der Koalitionspartner FDP der CDU, indem sie Teile der CDU-Argumente übernimmt. In Sachen Einbürgerung erinnert sie sich nicht mal mehr an den von ihr unterschriebenen Koalitionsvertrag, der Punkt für Punkt enthält, was jetzt im Gesetzentwurf steht.
"Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Na bitte, Herr Lindner, so falsch wie jetzt war die FDP-Politik schon öfter.
Vorwurf Nr. 1: Der Munitionsmangel bei der Bundeswehr. Es scheint zweifelsfrei zu wenig Munition zu geben. Seit wann? Ist nicht genau festzustellen, jedenfalls nicht erst seit diesem Jahr. CDU/CSU hätten sechzehn Jahre Zeit gehabt, Munition zu beschaffen, und ebenso viel Zeit, das Beschaffungswesen effektiv zu organisieren. Stattdessen starteten sie einen Auslandseinsatz nach dem anderen mit äußerst zweifelhaften Ergebnissen (Afghanistan, Mali) und hinterließen der neuen Regierung ein Chaos.
Vorwurf Nr. 2: Das Bürgergeld schaffe den angeblich arbeitsunwilligen Hartz-IV-Empfängern eine bequeme Hängematte. Dabei wird bewusst mit Unwahrheiten argumentiert: Das Gesetz sehe keine Sanktionen vor, fördere die Arbeitslosen statt sie zu fordern. Da die Konservativen im Bundestag keine Mehrheit haben, nutzten sie als Hebel die Ländervertretung, um das Gesetz so zu beschneiden, dass kein Unterschied zu Hartz-IV mehr zu erkennen ist.
Vorwurf 3: Seit dreißig Jahren, in denen die CDU (mit-)regierte, wurde das Einwanderungsgesetz nicht mehr geändert, obwohl immer mehr Immigranten nach Deutschland kamen. Kaum ein anderes europäisches Land hat ein derart verstaubtes Gesetz. Hier hat die CDU ebenso die Zeit verschlafen. Ihre Einwände sind fadenscheinig: Die Staatsbürgerschaft werden "verramscht" (so Dobrindt). "Verramschen" heißt unter Preis verkaufen. Im Gegenteil müssen Einbürgerungswillige Immigranten klar definierte Voraussetzungen mitbringen. Die kann man im Gesetzentwurf nachlesen. Andererseits jammern die Arbeitgeber über Arbeitskräftemangel. Statistiker haben ausgerechnet, dass bis auf weiteres 400.000 Einwanderer pro Jahr benötigt werden, um den Arbeitskräftemangel zu kompensieren. Und: Wer will einwandern, wenn er nicht die Chance bekommt, zu bleiben und Bundesbürger zu werden. Das will die CDU getreu dem Versuchsballon Bürgergeld möglichst beschneiden und im Bundesrat blockieren.
Ganz nebenbei assistiert der Koalitionspartner FDP der CDU, indem sie Teile der CDU-Argumente übernimmt. In Sachen Einbürgerung erinnert sie sich nicht mal mehr an den von ihr unterschriebenen Koalitionsvertrag, der Punkt für Punkt enthält, was jetzt im Gesetzentwurf steht.
"Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Na bitte, Herr Lindner, so falsch wie jetzt war die FDP-Politik schon öfter.
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Sonntag, 27. November 2022
Solidarität ist keine Einbahnstraße.
jf.bremen, 14:51h
Neulich schlug eine Rakete russischer Bauart in Polen nahe der Grenze zur Ukraine ein, tötete zwei Landarbeiter und verwüstete eine Verladestation. Sofort wurde gefragt: Wer war das? Definitiv geklärt wurde das bisher nicht, es ist jedoch wahrscheinlich, dass das Geschoss aus Russland kam.
Die deutsche Verteidigungsministerin erwies sich als solidarisch und bot den Polen eine Raketenabwehranlage an, die ihr polnischer Amtskollege dankend annahm. Es dauerte nicht lange, als das von der polnischen Regierung zurückgenommen wurde - auf Druck des Parteivorsitzenden der Regierungspartei (PIS). Damit ist endgültig klar, wer in Polen die Richtlinien der Politik bestimmt: Nicht die Regierung sondern ein Parteivorsitzender, der nicht einmal Mitglied der Regierung ist: Jaroslaw Kaczynski.
Dieser hat zwei Motive: Erstens ist er als Deutschen-Hasser international bekannt. Hilfe von Deutschland - das geht für ihn gar nicht. Zweitens ist Wahlkampf, und die überwiegend ländliche Wählerschaft der PIS stimmt mit dem Parteivorsitzenden in seinem Deutschen-Hass überein.
So kocht Kaczynski sein trübes Süppchen zulasten der europäischen Solidarität und Sicherheit und großer Teile der polnischen Bevölkerung. Die EU sollte sich bei nächster Gelegenheit, wenn Polen - mal wieder - irgendwelche EU-Gelder beansprucht, daran erinnern. Solidarität ist keine Einbahnstraße.
Die deutsche Verteidigungsministerin erwies sich als solidarisch und bot den Polen eine Raketenabwehranlage an, die ihr polnischer Amtskollege dankend annahm. Es dauerte nicht lange, als das von der polnischen Regierung zurückgenommen wurde - auf Druck des Parteivorsitzenden der Regierungspartei (PIS). Damit ist endgültig klar, wer in Polen die Richtlinien der Politik bestimmt: Nicht die Regierung sondern ein Parteivorsitzender, der nicht einmal Mitglied der Regierung ist: Jaroslaw Kaczynski.
Dieser hat zwei Motive: Erstens ist er als Deutschen-Hasser international bekannt. Hilfe von Deutschland - das geht für ihn gar nicht. Zweitens ist Wahlkampf, und die überwiegend ländliche Wählerschaft der PIS stimmt mit dem Parteivorsitzenden in seinem Deutschen-Hass überein.
So kocht Kaczynski sein trübes Süppchen zulasten der europäischen Solidarität und Sicherheit und großer Teile der polnischen Bevölkerung. Die EU sollte sich bei nächster Gelegenheit, wenn Polen - mal wieder - irgendwelche EU-Gelder beansprucht, daran erinnern. Solidarität ist keine Einbahnstraße.
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