Mittwoch, 24. August 2022
Selbstzensur in finsteren Zeiten
Karl Mays Abenteuerbücher zählten zu meiner frühesten Lektüre. Diese Leidenschaft teilte ich mit meinen Freunden. Wir lasen die Abenteuer von Old Shatterhand und Old Shurehand, von Old Wabble, Winnetou und Nscho-tschi. Bereits damals diskutierten wir, ob das alles wahr sei. In der Frage war meine Generation gespalten. Die Debatte wurde durch das Gerücht, Karl May sei nie außerhalb Deutschlands, nicht einmal außerhalb Sachsens gewesen, habe vielmehr im Gefängnis gesessen, nicht nur nicht beendet, sondern sogar angefeuert.

Nicht nur der "Wilde Westen" wurde von uns "erobert", sondern ebenso der Nahe und Ferne Osten. Wir begleiteten Kara Ben Nemsi und seinen treuen Hadschi Halef Omar durch das wilde Kurdistan. Wir glaubten an die Figuren so viel und so wenig wie an Kapt'n Gordons Abenteuer im Weltraum und an das Märchen von Rotkäppchen und dem Wolf. Wir glaubten Robinson und Freitag und die Schatzinsel so wenig wie heute die Jungen die Welt von Star Wars.

Und nun behaupten einige selbsternannte Zensoren, Besserwisser und Schlaumeier, das alles sei "rassistisch" und "kulturelle Aneignung", also politisch höchst unkorrekt. Die können einem wirklich jeden Spaß verderben! Als sei Literatur der platten Aneignung von Wirklichkeit verpflichtet. Hallo, möchte man rufen, das ist Abenteuer-, nicht Sachbuch-Literatur. Sachbücher haben wir außerdem gelesen, vielleicht nur ein, zwei Jahre später. Die heutige Jugend hat darüber hinaus ganz andere Informationsquellen über die Wirklichkeit zu Hause und in aller Welt. Und sie nutzt sie wie wir seinerzeit die Sachbücher.

Dem Verlag Ravensburg möchte man eine gehörig größere Portion Zivilcourage wünschen. Warum hat deren Lektorat nicht gleich Bedenken gegen "Der junge Häuptling Winnetou" angemeldet? Nun, beim kleinsten Gegenwind-Stoß kneifen sie den Schwanz ein, jaulen kurz auf und stampfen die ganze Auflage ein. Wahrlich, ich lebe in finsteren Zeiten!

... link (0 Kommentare)   ... comment