Donnerstag, 3. Dezember 2020
Juristisch fragwürdiges Konstrukt: Kollektive Haftung von Demonstranten
In Hamburg stehen gerade 75 Angeklagte vor Gericht, die an den Anti-G-20-Demonstrationen im Juli 2017 teilgenommen haben. Der Demonstrationszug war in einer Straße von zwei unterschiedlichen Polizeieinheiten – darunter die für ihr brutales Vorgehen berüchtigte Blumberg-Einheit – eingekesselt und brachial angegriffen worden. Bei den folgenden Festnahmen wurden elf Demonstranten schwer sowie weitere leichter verletzt. Aus dem Demonstrationszug wurden Gegenstände auf die Polizisten geworfen, es wurde aber keiner verletzt.

Nun sind die 75 wegen „schweren Landfriedensbruchs und versuchter gefährliche Körperverletzung“ angeklagt. Keinem der Angeklagten kann eine persönliche Tat nachgewiesen werden. Die Staatsanwaltschaft macht aber ALLE verantwortlich. Das Konstrukt der Anklage: Alle hätten einen „gemeinsamen Tatplan“ gehabt und seien daher Täter. Diese Konstruktion ist juristisch höchst umstritten, aber man kann es ja mal versuchen.

Dabei fällt mir ein Ereignis im Mai 1980 ein. Gegen eine Rekruten-Vereidigung im Bremer Weser-Stadion wurde von über 10.000 Demonstranten eines breiten politischen Bündnisses protestiert. Einzelne Trupps von Demonstranten attackierten Polizisten und Soldaten und steckten Bundeswehrfahrzeuge in Brand.

Ich war einer der Demonstranten und stand mit einer Gruppe von Freunden vor dem Stadion. Nicht weit von uns stand der damalige Senator für Jugend u.a., Henning Scherf. Plötzlich tauchte hinter uns ganz kurz eine Person auf, schmiss über uns weg einen Stein in Richtung Polizei, bückte sich sofort wieder und verschwand. Wir protestierten lautstark, was die Person nicht irritierte. Wäre das Geschehen irgendwie von der Polizei beobachtet oder dokumentiert worden, wären unsere Gruppe inklusive Henning Scherf nach der aktuellen Logik der Hamburger Staatsanwalt schuldig wegen gemeinschaftlichem Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Brandstiftung und Körperverletzung. Zum Glück wurden seinerzeit nur Straftaten verfolgt, die konkreten Personen und nicht nur einer amorphen Gruppe zugeordnet werden konnten.

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