Dienstag, 12. Januar 2021
Ecuador 2015 - En viaje - Unterwegs (1)
„Man muss hinfahren, um zu begreifen.“ Quincy Jones (Jazz-Musiker)

Ecuador war früher für mich das südamerikanische Utopia. Nie hätte ich gedacht, dass ich dort einmal hinreisen würde. Dann im Herbst 2015 fliege ich tatsächlich mit meiner Frau Gerhild nach Utopia. Ihre Cousine Christiane und deren Mann Rainer arbeiten an der deutschen Schule in Quito - der Hauptstadt Ecuadors - als Lehrerin und Lehrer. Sie haben uns eingeladen, bei ihnen zu wohnen und gemeinsam zu reisen. Einen Teil der Zeit erkunden wir – sachkundig beraten von unseren Gastgebern – auf eigene Faust.

Erster Tag
Flug: kein langer Kommentar – sehr früh los, drei Stunden Aufenthalt in Amsterdam, dann zwölf Stunden nach Quito. Zwischendurch das Gefühl, es endet nie. Schließlich kommen wir doch an. Lange Schlangen am Pass-Schalter, aber dann keine Probleme. Die Koffer werden noch mal durchleuchtet – keine Ahnung warum. Rainer und Christiane winken schon von weitem, herzlicher Empfang.

Christiane und Rainer wohnen in einer bewachten „urbanisaçion“ in einem Palast von Haus, riesige Räume auf zwei Etagen mit zwei Terrassen, überall Glas, Blick über das Tal. Ihre Hausangestellte hat ein typisches Abendbrot – Llampingachos – vorbereitet: Teigbällchen mit Käse gefüllt und dazu Hühnerbeine in einer Sauce. Danach noch geklönt. Nach vierundzwanzig Stunden ins Bett. Nachts: Atemnot, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit. War wohl alles etwas zu viel.

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Samstag, 7. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (Letzter Tag)
Packen geht schnell. Vom Café hole ich Sandwiches, vom Bäcker eine Baguette und eine Rosinenschnecke. Gerhild kocht Kaffee, das ist unser Frühstück und das Geld fast alle, bis auf ein paar Dirham, die Gregor bekommt. Wir sitzen noch etwas in der Sonne, Fatim Sarah kommt, Tschüß zu sagen. Kurz vor 11 Uhr kommen Wemkens vom Frühstück am Strand, das Taxi steht schon vor der Tür. Emotionaler Abschied.
Zügig geht’s mit dem Taxi noch mal die schöne Küstenstraße lang nach Agadir. Früh sind wir am Flughafen, einchecken und warten. Pünktlich geht der Flieger ab, nach gut 4 Stunden sind wir in Berlin. Übernachten bei unserer Schwägerin und fliegen am letzten Tag nach Bremen.

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Freitag, 6. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (14)
Um 10 Uhr gehe ich mit Alice zur Apotheke. Die Apothekerin kennt Decortin nicht, aber den Wirkstoff (gute Idee von Alice, im Internet danach zu gucken). Ich bekomme ein anderes Mittel mit dem Wirkstoff und eine genaue Einnahme-Vorschrift. Der Apotheker im Hintergrund fragt nach meinen Mückenstichen und den Wirkungen der Crème, die er mir beim letzten Mal empfohlen hat. Hat mich also wiedererkannt. Ich nehme das Mittel ein, die Wirkung zeigt sich beruhigend schnell.

Später gehen Gerhild und ich in die Medina bummeln, kaufen Kleinigkeiten, essen auf einer Restaurant-Terrasse mit schöner Aussicht etwas, gehen auf der Promenade zurück. Gerhild geht schwimmen, ich halte wieder das Handtusch. Der Wind hat aufgebriest, ist aber nicht so heftig wie gestern. Viele Wind- und Kite-Surfer auf dem Wasser.

Auf der Baustelle im Viertel: einrichten eines kahl gepflasterten großen Platzes, Straßenlaternen, Gehwegpflasterung – scheint völlig ungeplant zu sein. Gelegentlich tauchen zwei Mann mit Flex auf, einer schneidet Platten zu – ohne Gehörschutz, Schutzbrille und Atemschutz, der andere guckt zu. Später hören wir den Lärm einer Baumaschine. Manchmal schippen Leute Haufen von Sand in Schubkarren. Was dann? Einmal stapeln zwei Jungen – ca. 10 Jahre – Verbund-Pflastersteine: Spiel oder Kinderarbeit? Ständig wirbelt der Wind Staub auf und treibt Sandwolken durch die Straßen. Rund um den entstehenden Platz haben Cafés und Läden aufgemacht, überwiegend wohl europäische Besitzer und Kunden. Das ist ebenfalls ganz ungeplant. Neben der Sandwicherie eine Schlosserei, vor der lautstark Metallrahmen geflext werden. Kein lauschiges Plätzchen.

Lesen. Das gemeinsame Abendessen im Restaurant fällt aus – geschlossen, Die anderen kaufen etwas zum Kochen. In der Zwischenzeit lese ich „Die Pest“ fast durch.

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Donnerstag, 5. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (13)
Frühstück in der „eigenen“ Küche, klönen, lesen, schreiben. Mittags gehen Gerhild und Gregor Baden, ich komme mit und halte die Handtücher. Es bläst ein derber Sturm. Nur wenige Leute am Strand. Die Kameltreiber, die auf Touristen warten, mopsen sich. Sand treibt über den Strand. Ein paar Profi-Surfer nutzen ihre Chance mit kleinen Segeln und Drachen. Der Weg zurück gegen den Wind ist mühsam: Sand, Baustaub treiben durch die Straßen, man kann kaum die Augen offen halten. Ich würde gerne noch etwas unternehmen, geht aus Luftmangel nicht. Wieder lesen und ausruhen. Später kommen alle Wemkens mit Fatim Sarah, der Schwester von Youness, nach oben, spielen Boule auf der Terrasse und klönen. Dann gemeinsames Reste-Abendbrot. Gerhild und ich gehen früh ins Bett. Ich habe mit Alice verabredet, morgen zur Apotheke zu gehen.

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Mittwoch, 4. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (12)
Heute Morgen sieht Gerhild den gestrigen Abend entspannter: es sei anstrengend und interessant gewesen. Wir frühstücken im „Café Culturelle“. Ein Bettler bekommt von mir einige Münzen und von der Wirtin zwei Orangen.

Später gehen wir zum Hafen und gucken den Leuten bei der Arbeit zu: Anlegen der Fischerboote, kistenweise Verkauf des Fangs, Entladen der Boote, Verholen, Slippen, Reinigen, Ausbessern. Ich fotografiere, bis mich einer ermahnt, weil ich außer der Fischauslage auch die Fischfrau fotografiert habe. Aufmerksam geworden sind laut Gerhild er und andere aber schon, als ich nur die Fischauslagen fotografiert habe.



Nachmittags ausruhen, lesen, später das Vorbereiten des Obstsalats. Kurz vor 7 Uhr Abmarsch mit Platten, Schüsseln, Tüten. Beide Familien sind vollzählig bis auf Youness’ ältesten Bruder. Unser Essen wird verhalten aufgenommen. Meine Sitznachbarin nimmt von allem, isst aber nichts. Schließlich ist ihr Teller voll von einer gedrängten Menü-Übersicht. Bernd hält seine Rede auf Französisch, Achmet übersetzt ins Arabische, die nur Deutschsprachigen bekommen entsprechend nichts mit, aber der Text wird herumgereicht.

Die eher steife Gesellschaft lockert im Laufe des Abends auf, aber wirkliche Gespräche kommen nicht zu Stande. Sprachbarriere. Meine zweitbesten Schuhe hätte ich mir sparen können: im Salon sitzen alle barfuß bzw. in Socken.

Gegen 11 Uhr löst Achmet die party auf. Wir pilgern ins Appartement, gehen ins Bett und ich schlafe schnell ein, leider nicht durch.

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Dienstag, 3. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (11)
Dafür bin ich sehr kurzatmig. Gerhild und ich frühstücken in einer nahen Sandwitcherie, gehen dann zum See-Boulevard. Der Automat an der ersten Bank verweigert den Dienst. Also pilgern wir weiter zum Platz vor der Medina. Zwei weitere Bank-Automaten: nicht besser. Erst am vierten Automaten habe ich Erfolg. Der Wachtposten in der ersten Bank scheint stumm zu sein. Meinen Gruß erwidert er gar nicht, so dass ich ihn zunächst auch für taub halte. Meine Frage nach dem Automaten erwidert er mit einer müden Gebärdensprache. Grußlos wende ich mich ab.

Wir essen ein Eis bzw. trinken einen Tee in der Cafeteria. Ausschließlich Touristen. Einheimische tauchen als Servicepersonal, Straßenhändler und Bettler auf. Die Serviererin reagiert auf mein Französisch mit Englisch, das ich erst nicht als solches erkenne und dann nicht verstehe. Bettler werden von einem, der wohl keine andere Funktion hat, vertrieben. Zwei junge Artisten vollführen Kunststücke, die Gage der Touristen bleibt mäßig. Fette Europäer krönen ihren Bauch mit einer Canon EOS, mit der sie ihre wabbeligen Frauen vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten knipsen.



Wir gehen an der Strandpromenade zurück. Die Stadt gefällt mir nicht. Ganze Stadtviertel – u.a. da wo wir wohnen – sind komplette Baustellen, ohne dass man irgendjemanden arbeiten sieht (allerdings ist heute Freitag, der moslemische Feiertag). Die Nebenstraßen ungepflastert, staubig, vermüllt. Überall wimmeln Touristen. Urbanes Leben: Fehlanzeige. In der Medina waren wir nicht.

Die jungen Männer auf der Strandpromenade mustern trotz meiner Gegenwart ziemlich unverhohlen Gerhild und andere Frauen. Ich vermute, dass es auch „Gigolos“ gibt.

Das Haus von Nadine (unsere Vermieterin) ist vollgestopft mit Schnickschnack, irgendein Mischmasch aus marokkanisch, impressionistischer Filmausstattung und Basteleien der 50er Jahre (Regale an Schnüren). Nur Praktisches fehlt: nicht genügend Haken für Handtücher und keine Ablage am wackeligen Miniwaschbecken, einer ehemaligen Obstschale oder so. Stühle „originell“ aus Ästen gebastelt, völlig unbequem usw. Dafür ist der Pensions-Preis niedrig, immerhin etwas.

Nach außen ist das Studio auf der Dachterrasse komplett abgeschottet. Nur Straßengeräusche dringen nach oben: Kindergeschrei, Motorenlärm, Stimmen, Baulärm. Wenn man über eine Leiter auf die oberste Ebene klettert, öffnet sich der Blick auf Flachdächer mit unzähligen Satelliten-Schüsseln und Schornsteinen. Irgendwo im Dunst ahnt man die Purpur-Schnecken-Insel.

Während Gerhild zum Henna-Fest ist, der Frauenveranstaltung am Vorabend des eigentlichen Hochzeitsfestes, verbringe ich den größten Teil des Nachmittags schlafend und lesend im wirklich gemütlichen Bett unter einer echten Decke. Später helfe ich bei den Vorbereitungen für das morgige Festessen. Spät abends kommt Gerhild völlig geschafft zurück. Es war wohl seeehr anstrengend und überhaupt nicht lustig. Eine filigrane Henna-Bemalung ziert ihre linke Hand. Noch später hat Youness das Abendessen fertig, nachdem die vier Männer ihre Vorbereitungen abgeschlossen haben. Gerhild und ich schlafen schnell ein. Leider geht es mit meiner Luft sehr schlecht.

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Montag, 2. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (10)
Wir kommen pünktlich um 9 Uhr los. An der großen Straßenkreuzung zwei uniformierte Wichtigtuer. Es ist eine Stopp-Straße, ich halte an der Sichtlinie, da kommt der Hüter der Unordnung und belehrt mich, da sei ein Stopp-Schild. Ich: „Ich stehe doch schon.“ Ich scheine für ihn undurchschaubar, weil nicht unterwürfig zu sein, gnädig winkt er mich durch. Welch ein Job!

Unterwegs hinter Agadir begegnet uns an einer Straßensperre mit Igelkette ein nicht uniformierter Wichtigtuer. Was er da zu suchen hat und welches seine Legitimation ist, bleibt unklar. Mit blasierter Mine wedelt er mich durch. Was für ein Armleuchter, wofür verdienen die ihr Geld?!



Die Strecke von Agadir nach Essaouira verläuft teilweise am Wasser mit schönen Sandstränden, großen Dünen, streckenweise sehr kurvenreich und bergig durch’s Landesinnere. Nach 4 Stunden 20 Minuten sind wir da. Eine Stunde brauchen wir, um Alice zu kontaktieren, uns durchzufragen, ein Taxi zu finden, das uns lotst. Schnell das Gepäck ausgeladen und gleich zurück zum Flugplatz. Auto abgeben ohne Probleme. Nur die Taxifrage gestaltet sich schwierig.
Zurück in Essaouira große Begrüßung, duschen, klönen bis abends. Bernd kocht. Die gemeinsame Mahlzeit ruft Erinnerungen hervor: die „ganze Familie“ traut vereint. Stefan – Gregors Freund – ist unauffällig integriert.
Ich schlafe fest und bis ½ 9 Uhr fast ununterbrochen. Jetzt kommt wohl die Reaktion auf die Anstrengungen der letzten Tage.

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Sonntag, 1. März 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (9)
Wenn Marokkaner – nicht alle, klar! – versuchen, uns Europäer zu bescheißen: drückt sich darin die Rache der Kolonisierten an den Kolonisatoren aus? Das Absurde ist: wenn sie uns zu bescheißen versuchen, wir ihre Pläne durchschauen und durchkreuzen, sind sie enttäuscht über und sauer auf uns. Aber viele Touristen kennen die Regeln nicht, verhalten sich unmöglich, was wieder von den Marokkanern uns Europäern pauschal zugeschrieben wird.

In Taroudannt auf dem Platz Talmoklate sind Gaukler: zwei Männer und eine Frau ziehen eine Theaterschau ab, die wir nicht verstehen. Plötzlich holt die Frau eine Schlange aus einem Sack. Ich fotografiere, sie hört das Klicken, vermutet aber meinen Nebenmann als Fotografen. Mit einem umgekehrten Tambourin als Kasse geht sie auf ihn zu. Der weicht zurück und macht sich aus dem Staub. Ich als Verursacher werfe 50 Cent `rein. Schon ist der Bann gebrochen: sie lächelt und greift sich Gerhild als „Opfer“ für eine Schlangenschau; Gerhild bekommt die Schlange um den Nacken gelegt, ich kann fröhlich weiter fotografieren. Gerhild bekommt laute Anerkennung der Frau und der Zuschauer. „Vous n’avez pas peur?“ Haben Sie keine Angst?



Diese Leute leben davon, für ihre Schau eine „Gage“ zu bekommen, die man ihnen keinesfalls vorenthalten darf. Ich frage drei Musikanten um ein Foto, sie setzen sich in Positur, strahlen, ich knipse und natürlich ist die „Gage“ fällig, gefordert und gegeben. Ein Tourist fotografiert einen Schlangenbeschwörer, der selbstverständlich Geld fordert. Der Tourist zahlt nicht, rettet sich zu seinem einheimischen Reiseführer. Mit Recht ist der Schlangenbeschwörer lautstark sauer. Der Tourist erzählt zu Hause bestimmt, wie raffgierig und aggressiv die Marokkaner sind. Derlei europäisches Verhalten prägt aber die Haltung der Marokkaner uns gegenüber!

Gerade habe ich bei der Lektüre von Camus die Stelle gefunden, derentwegen ich anfing, Camus zu lesen: „Licht und Schatten“, Kleine Prosa, S.75. Wegen Camus bin ich damals nach Marokko gefahren (Algerien war zu weit). Und ich habe hier die Sonne, das Licht und das Meer der mediterranen Länder gefunden!
Heute ist der Himmel morgens blau, es wird ein heißer Tag. Über der Ebene liegt ein Dunst, der die Berge des Atlas verbirgt. Gleich nach dem Frühstück fahren wir nach Taroudannt (unterwegs einen mitgenommen, kein Mitschnacker). Eine quirlige Stadt, fotografisch schwer einzufangen. Wir streunen durch die Gassen, gehen kurz in die Medina, die Altstadt mit Mauer, ein reines Wohngebiet, sehr ärmlich, schlendern im Suk, dem Markt. Später auf der Place Talmoklate finden wir die Gaukler. Unter den Bäumen hocken Männer, die Theaterleute bauen Publikum auf, nebenan der Schlangenbeschwörer schafft das nicht. Die drei Musiker machen wohl Pause. Wir sitzen auf Caféhaus-Stühlen, trinken etwas und atmen die Atmosphäre. Ich fotografiere (mit und ohne Erlaubnis, mit und ohne „Gage“).

Neben uns am Tisch sitzen drei Amis – zwei Frauen, ein Mann. Der Gitarrenspieler, den ich mit seinen Kumpels fotografiert habe, baut sich vor ihnen auf, intoniert etwas. Sie gucken verlegen grinsend in eine andere Richtung. Schließlich gibt er es auf. „Why can’t they put in at least one nickel“ Dann kommt er zu uns an den Tisch, klaubt aus der Kapuze seiner Djelabba einige €-Münzen und bittet darum, sie gegen DH umzutauschen. Na klar, mache ich.



Als es langsam zu heiß wird, gehen wir zum Auto zurück. Lenkrad und Schaltung sind so heiß, dass ich sie kaum anfassen kann. Schon kommt einer in Warnweste, erklärt sich zum Parkwächter und will Geld. Seh’ ich nicht ein, als wir das Auto dort abstellten, war er noch nicht da. - Gerhild liest unterwegs: 40°! Wir machen Siesta, sitzen später im Schatten der Laube im Hof, lesen, schwimmen im Pool, ich schreibe dies. Inzwischen ist ein erfrischender Wind aufgekommen, am Himmel sind Federwolken.
Nachdem es sich etwas abgekühlt hat, gehen wir los, um die Palmeraie den Palmenhain zu finden. Da wir nicht wissen, wo sie ist, irren wir zunächst durch die Gassen: ziemlich elend, alte Männer, die im Schatten kauern, Kinder kommen vom Kindergarten oder tollen durch die Gassen, Frauen in Haustüren, die den Namen nicht verdienen. Dazwischen eine Villa, von der man nur die Terrasse und das bomfortionöse Eingangstor in der Mauer sieht. Obstgärten sind durch Mauern oder Dornentrockenhecken geschützt. Eine Gruppe kleiner Mädchen küsst eine nach der anderen einem älteren Mann, der im Schatten einer Mauer sitzt, die Hand. Den Palmengarten, den wir gesucht haben, finden wir nicht.

Von „unserer“ Dachterrasse sehen wir in einem benachbarten Hof einen Jungen aus einem teils verkohlten Abfallhaufen Konservendosen in einen Sack sammeln. Ein zweiter Junge hilft ihm, die Beute über die Mauer zu schaffen. Nach dem Abendessen noch kurz aufs Dach, Sterne gucken. Nanu: der große Wagen steht Kopf, die Deichseln nach rechts.

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Samstag, 29. Februar 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (8)
Die Nacht kann lang werden, wenn man schon um ½ 3 Uhr aufwacht und nicht mehr einschläft. Beim Aufstehen Überraschung: es regnet, nicht doll, aber im Laufe des Tages bis Mittag immer mal wieder tröpfchenweise oder heftiger.

Nach dem Frühstück muss ich Jussef sagen, wie hoch der Halb-Pensions-Preis ist und die Summe ausrechnen. Das andere Paar, das seit gestern im Haus war, erzählt, sie seien durch den Sandsturm im Süden festgehalten worden.

Wir fahren los, ich mit etwas mulmigem Gefühl wegen des Rumpel-Geräuschs. Es wird aber nicht schlimmer, also beschließen wir, nicht in Ouarzazate zum Verleiher zu fahren, sondern es darauf ankommen zu lassen. Bis Ouarzazate geht’s wieder wenig zügig wegen der vielen Ortschaften. Dort tanken wir, finden schnell die Ausfahrt nach Agdz und tauchen schnell in die wilde, kahle, schwarze Landschaft ein. Eine Kolonne von 4x4 will mit mir Rennen fahren.



Waghalsige Überholmanöver, eins nach dem anderen. Dann ein Unfall: zwei oder drei Fahrzeuge sind beteiligt. Genaues kann ich nicht sehen. Als wir im Stau stehen, fragt einer, ob er mitfahren darf nach Agdz. Die Leute am Unfallort murren schon lautstark, ich soll weiterfahren, also sage ich kurz entschlossen ja. Er erzählt uns etwas über die Landschaft, die Berber (er ist angeblich einer) usw. Beim kurzen Halt bewundern wir den Ausblick; der ist so fantastisch, dass man ihn eigentlich nicht fotografieren kann, zumal der Himmel grau bedeckt, also kein schönes Licht ist. Außerdem habe ich beim letzten Mal fotografiert.

Als wir in Agdz einfahren, lädt er uns wortreich zum Tee ein. Ich sage nein, er insistiert, ich sage nein. Am Abzweig nach Tiznith komplimentiere ich ihn hinaus. Wieder dieses völlig enttäuschte Gesicht. Wahrscheinlich wollte er gar nicht nach Agdz, sondern war nur ein Schlepper und jetzt muss er wieder zurück, ein neues Opfer zu suchen. Vielleicht wird er pro Opfer bezahlt? Gerhilds Theorie lautet, er könne enttäuscht sein, weil wir seine Einladung abgelehnt haben. Möglich, aber mir eher unwahrscheinlich.

Ein echtes Dilemma: nimmst du einen mit, kann’s ein Schlepper sein, oder er ist „harmlos“ wie vorgestern der Alte (nach Boumalne) oder der gestern in der Thodra-Schlucht. Die Chancen stehen wohl 50 : 50. Die Taktik der Schlepper ist übrigens immer dieselbe: zunächst einen unverbindlich ansprechen, dann durch Auskünfte im Gespräch eine persönliche Beziehung aufbauen, schließlich an das Ehrgefühl („die Gastfreundschaft eines Berbers abzulehnen ist unmoralisch“), oder an das Mitleid appellieren. Je aussichtsloser das Gespräch für sie wird, desto wortreicher werden sie.

Nach Agdz wird die Straße fast leer, schmal und streckenweise mit Schlaglöchern übersät. Macht aber nichts, denn die wilde Landschaft entschädigt uns reichlich. Einzelne wenige Winz-Ortschaften, völlig abgelegen in Oasen, die sich aus dem Wadi nähren. Auf halber Strecke kommen wir an einem Bergwerk vorbei, wo irgendwelche Mineralien, grün-türkis, abgebaut werden. Neben dem Werk elende Behausungen, wahrscheinlich für die Arbeiter, aber mit Familien, denn wir sehen zwei Mädchen, die uns irgendwas zurufen. Hinter dem Werk wird die Straße zunächst noch schlechter. Die Besiedlung bis Tazenakht ist noch dünner.

Der Ort ist ein Wildwestort des 20. Jahrhunderts, aber in der Art von „Dead Man“, dem Jim-Jarmusch-Film von 1995, nur der Schlamm ist hier Staub. Wir essen etwas und begucken das Treiben um uns. Schwere LKW, Mopeds, klapprige Transits oder Pick-Ups, laute Männer, Frauen mit Bündeln von Grünzeug, Eselkarren, alles bunt. Ein Touri-Kleinbus hält so kurz, dass vier Insassen ihr bestelltes Essen wieder abbestellen müssen, dafür kommen drei zu spät. Schon 1976 in Tunesien habe ich als Pauschaltourist die Freaks im VW-Bus beneidet.

Dann fahren wir auf der N 10 zügig weiter. Beschließen – weil’s unterwegs nichts zu gucken gibt – durchzufahren bis Tiout, wo wir am Anfang der Reise waren. Bis auf eine kurze Strecke bei Taliouine – dort gibt es wieder Dramatisches – ist die Landschaft platt und die Straße gerade. Wir kommen zügig voran und sind um ¼ vor 6 Uhr dort. Mme. Marie staunt, ist aber erfreut, fragt kurz, wo wir waren.

Kurzes Ausruhen, Schwimmen im Pool, dies schreiben, jetzt warte ich aufs Abendessen. Das Wetter ist hier angenehm: leichte Briese, nicht zu warm, nur Federwolken am Himmel. Gerade erfahre ich: Mme. Marie hat keinen Wein mehr. Quel domage! Wie schade! Schließlich rückt sie eine angebrochene Flasche `raus: es ist unsere, die wir beim letzten Mal nicht ausgetrunken und vergessen haben mitzunehmen.

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Freitag, 28. Februar 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (7)
Sehr wenig geschlafen. Morgens erhöhte Euphylong-Dosis wegen meiner Atemnot. Damit geht’s einigermaßen. Wir fahren in die Thodra-Schlucht. Landschaft zwischen Boumalne und Tinerir ist ganz anders: sehr weit und fast platt, ich vermute Schwemmland aus den Bergen von den beiden Flüssen abgetragen und hier abgelagert. Einmal nehmen wir einen Alten in Djelabba und Käppi mit, will wohl zum Markt.

Die Palmeraie hinter Tinerir ist für mich überraschend grün, na ja wie alles diesmal. Vor einem Haus hocken zehn bis zwölf Frauen um eine Schüssel und löffeln Couscous. Wir fahren durch bis zu den Hotels, stellen das Auto ab. Wenige Händler. Einer verspricht, aufs Auto aufzupassen, ich rechne damit, dass er hinterher Bakschisch haben will – ist aber nicht!
Wir gehen weiter durch die Schlucht und den Berg hoch. Wetter ist wunderbar: knallblauer Himmel, kaum Wind, aber immer noch kühl, wo die Sonne nicht hinkommt. Hinter der Schlucht wird’s kahl, nur im Flussbett einzelne Palmen und Sträucher. Die Straße schlängelt sich scheinbar unabsehbar hoch ins Gebirge.



Nach etwa einer Stunde kehren wir um, trinken noch etwas im Café, beobachten die Pauschal-Reisebusse bzw. ihre Insassen, die Leute im Café und am Stand gegenüber. Einer spricht uns an: woher? Erklärt, dass der Ruf des Muezzin aus dem Radio kommt, aber live!

Sehr viele Bockfahrer unterwegs aus verschiedenen Ländern, fahren überwiegend große BMW-GS.
Als wir losfahren, fragt uns der aus dem Café, ob er mitfahren darf. Ja, lachend, wenn er nichts verkaufen will. Gerhild gibt’s ernsthaft weiter, tut ihr hinterher Leid. Er fährt mit bis ins nächste Dorf, bedankt sich freundlich. Naja!

Auf der Rückfahrt fällt mir am Auto ein ziemlich laut dröhnendes Geräusch auf, wie ein defektes Lager. An Reifen und Lenkung kann ich nichts feststellen. Wenn das man gut geht!

Wir essen zusammen ein Omelette Berbère, ein Berber-Omelette, dann etwas lesen und schreiben. Gerhild führt mich in die geordnete Wildnis im Flussbett. Wir balancieren auf den kleinen Wällen zwischen den Feldern – oder besser Beeten? -, mit denen die Bewässerung reguliert wird. Getreide, Wildrosen, Schilf, Mandel- und Feigenbäume, alles über- und untereinander. Fieges Nutzvorgarten in Kiel scheint das Vorbild gegeben zu haben. Dazwischen sind Frauen emsig und schneiden Viehfutter oder Schilfrohr. Die Balanciererei in gebückter Haltung strengt mich sehr an, und ich schlage vor umzukehren.

Im Souterrain des Hotels probt der Frauengesangverein (Gerhild vermutet etwas Religiöses): eine Vorsängerin stimmt an, und der Chor verfällt in einen ziemlich eintönigen Singsang. Später kommen sie heraus, entdecken uns auf der Terrasse: „Bon jour, ça va? Quel est votre nom?“ Gekicher! Alte und Junge zerstreuen sich mit ihren Mappen unterm Arm in unterschiedliche Richtungen. Wir lesen eine Runde bis zum Abendessen.

Vorm Haus ein Kleiner: „Bonbon? Dirham? – Non.“ Später kommt er mit zwei Halbwüchsigen zurück, die € in Diham umtauschen wollen. Ich willige ein, und sie sind sogar sofort mit meinem Wechselkurs einverstanden. Eben kommen zwei Knirpse: „Stylo? – Non.“ Gelegentlich, wenn Kinder um Bonbon bitten, opfert Gerhild eins ihrer saugesunden Kaugummis.

Mir fällt noch mal der Junge von gestern ein, den wir mitgenommen haben, obwohl er nur Geld wollte. Als wir den geforderten siebenten DH nicht hatten, grenzenlose Enttäuschung im Gesicht, dabei hatte er sechs Dirham bekommen. Wie kommt das nur?

Auch der Mitschnacker in Mulai Brahim hatte am Ende diese enttäuschte Miene, statt zu sagen: „OK, ist nicht die Taube, aber immerhin der Spatz.“ Der Grund liegt womöglich in einer tief sitzenden Resignation, die aus der Armut und der ausweglosen Lage ohne Hoffnung resultiert, eine jahrhundertelange Erfahrung. Camus beschreibt das ähnlich in „Der erste Mensch“. Die Enttäuschung kommt wohl aus der Verzweiflung. Das ist auch das, was ich Gregor zu vermitteln versuchte, als er damals in Marrakesch den bettelnden armen Irren verhöhnte. Wir verwöhnten, reichen Europäer – und in den Augen der Afrikaner sind wir alle reich – können diese Verzweiflung wohl gar nicht nachvollziehen. Aber etwas Empathie sollten wir aufbringen können.

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