Samstag, 29. Februar 2020
Eine Reise durch das Land der Gegensätze: Marocco 2012 (8)
Die Nacht kann lang werden, wenn man schon um ½ 3 Uhr aufwacht und nicht mehr einschläft. Beim Aufstehen Überraschung: es regnet, nicht doll, aber im Laufe des Tages bis Mittag immer mal wieder tröpfchenweise oder heftiger.

Nach dem Frühstück muss ich Jussef sagen, wie hoch der Halb-Pensions-Preis ist und die Summe ausrechnen. Das andere Paar, das seit gestern im Haus war, erzählt, sie seien durch den Sandsturm im Süden festgehalten worden.

Wir fahren los, ich mit etwas mulmigem Gefühl wegen des Rumpel-Geräuschs. Es wird aber nicht schlimmer, also beschließen wir, nicht in Ouarzazate zum Verleiher zu fahren, sondern es darauf ankommen zu lassen. Bis Ouarzazate geht’s wieder wenig zügig wegen der vielen Ortschaften. Dort tanken wir, finden schnell die Ausfahrt nach Agdz und tauchen schnell in die wilde, kahle, schwarze Landschaft ein. Eine Kolonne von 4x4 will mit mir Rennen fahren.



Waghalsige Überholmanöver, eins nach dem anderen. Dann ein Unfall: zwei oder drei Fahrzeuge sind beteiligt. Genaues kann ich nicht sehen. Als wir im Stau stehen, fragt einer, ob er mitfahren darf nach Agdz. Die Leute am Unfallort murren schon lautstark, ich soll weiterfahren, also sage ich kurz entschlossen ja. Er erzählt uns etwas über die Landschaft, die Berber (er ist angeblich einer) usw. Beim kurzen Halt bewundern wir den Ausblick; der ist so fantastisch, dass man ihn eigentlich nicht fotografieren kann, zumal der Himmel grau bedeckt, also kein schönes Licht ist. Außerdem habe ich beim letzten Mal fotografiert.

Als wir in Agdz einfahren, lädt er uns wortreich zum Tee ein. Ich sage nein, er insistiert, ich sage nein. Am Abzweig nach Tiznith komplimentiere ich ihn hinaus. Wieder dieses völlig enttäuschte Gesicht. Wahrscheinlich wollte er gar nicht nach Agdz, sondern war nur ein Schlepper und jetzt muss er wieder zurück, ein neues Opfer zu suchen. Vielleicht wird er pro Opfer bezahlt? Gerhilds Theorie lautet, er könne enttäuscht sein, weil wir seine Einladung abgelehnt haben. Möglich, aber mir eher unwahrscheinlich.

Ein echtes Dilemma: nimmst du einen mit, kann’s ein Schlepper sein, oder er ist „harmlos“ wie vorgestern der Alte (nach Boumalne) oder der gestern in der Thodra-Schlucht. Die Chancen stehen wohl 50 : 50. Die Taktik der Schlepper ist übrigens immer dieselbe: zunächst einen unverbindlich ansprechen, dann durch Auskünfte im Gespräch eine persönliche Beziehung aufbauen, schließlich an das Ehrgefühl („die Gastfreundschaft eines Berbers abzulehnen ist unmoralisch“), oder an das Mitleid appellieren. Je aussichtsloser das Gespräch für sie wird, desto wortreicher werden sie.

Nach Agdz wird die Straße fast leer, schmal und streckenweise mit Schlaglöchern übersät. Macht aber nichts, denn die wilde Landschaft entschädigt uns reichlich. Einzelne wenige Winz-Ortschaften, völlig abgelegen in Oasen, die sich aus dem Wadi nähren. Auf halber Strecke kommen wir an einem Bergwerk vorbei, wo irgendwelche Mineralien, grün-türkis, abgebaut werden. Neben dem Werk elende Behausungen, wahrscheinlich für die Arbeiter, aber mit Familien, denn wir sehen zwei Mädchen, die uns irgendwas zurufen. Hinter dem Werk wird die Straße zunächst noch schlechter. Die Besiedlung bis Tazenakht ist noch dünner.

Der Ort ist ein Wildwestort des 20. Jahrhunderts, aber in der Art von „Dead Man“, dem Jim-Jarmusch-Film von 1995, nur der Schlamm ist hier Staub. Wir essen etwas und begucken das Treiben um uns. Schwere LKW, Mopeds, klapprige Transits oder Pick-Ups, laute Männer, Frauen mit Bündeln von Grünzeug, Eselkarren, alles bunt. Ein Touri-Kleinbus hält so kurz, dass vier Insassen ihr bestelltes Essen wieder abbestellen müssen, dafür kommen drei zu spät. Schon 1976 in Tunesien habe ich als Pauschaltourist die Freaks im VW-Bus beneidet.

Dann fahren wir auf der N 10 zügig weiter. Beschließen – weil’s unterwegs nichts zu gucken gibt – durchzufahren bis Tiout, wo wir am Anfang der Reise waren. Bis auf eine kurze Strecke bei Taliouine – dort gibt es wieder Dramatisches – ist die Landschaft platt und die Straße gerade. Wir kommen zügig voran und sind um ¼ vor 6 Uhr dort. Mme. Marie staunt, ist aber erfreut, fragt kurz, wo wir waren.

Kurzes Ausruhen, Schwimmen im Pool, dies schreiben, jetzt warte ich aufs Abendessen. Das Wetter ist hier angenehm: leichte Briese, nicht zu warm, nur Federwolken am Himmel. Gerade erfahre ich: Mme. Marie hat keinen Wein mehr. Quel domage! Wie schade! Schließlich rückt sie eine angebrochene Flasche `raus: es ist unsere, die wir beim letzten Mal nicht ausgetrunken und vergessen haben mitzunehmen.

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