Montag, 21. Oktober 2024
Ich meinte es gut, wurde aber falsch verstanden
In den 70er Jahren verstärkte ich den Schwerpunkt meiner Bildungsarbeit. Mein Thema war der deutsche Faschismus. Einmal wurde ich eingeladen als Referent eines internationalen Fortbildungsseminars für Sozialarbeiter, darunter AmerikanerInnen, IsraelInnen, eine Irin usw. Ich orientierte mich an Horkheimers Diktum: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“.

Ich versuchte zu verdeutlichen, dass der Kapitalismus weltweit zu faschistischen oder halbfaschistischen Systemen führte. Aktuelle Beispiele waren Chile und andere südamerikanische Länder, Griechenland, Portugal, Spanien usw.

Dabei handelte ich mir heftige Kritik der Teilnehmenden ein. Eine amerikanische Kollegin versuchte es versöhnlich: Für sie es schwierig sich vorzustellen, wie sie ihren zukünftigen Kindern den Vietnam-Krieg erkläre könne. Meine Rolle sei ähnlich hinsichtlich meines Landes und seiner Geschichte.

Ich bedaure, dass es mit nicht gelang, meine Position zu vermitteln. Indirekt wurde mir vorgeworfen, ich wolle vom deutschen Faschismus ablenken und auf andere zeigen. Das lag mir fern, denn sonst hätte ich das Thema gar nicht angeboten. Ein Teilnehmer konzedierte, meine Analyse sei stimmig, aber die Dimension des deutschen Nationalsozialismus und des Holocaust sei damit nicht zu erklären.

Jetzt las ich in einem Interview mit dem gerade verstorbenen, großen israelischen Historiker Yehuda Bauer (1926 geboren in Prag, 1924 gestorben in Jerusalem), wie er meinen Widerspruch auflöste:

„Der Holocaust ist ein Genozid unter vielen und zugleich ohne Vorbild. Dies macht ihn universell, denn jede Gruppe von Opfern wird immer singulär sein. Keine Gruppen können sicher sein, dass sie nicht die nächsten Juden sein werden.“

Zum aktuellen Nahost-Krieg brachte er meine Meinung ebenfalls auf eine knappe Formel. Er befürworte eine Verhandlungslösung zwischen Israel und Palästina, sei aber äußerst skeptisch: „Aber wir haben die dümmste Regierung, die man sich vorstellen kann, geleitet von radikalen Politikern, die einen extremen Nationalismus predigen. Fürchterlich.“
(vgl. miniaturen vom 14.0223: „Israel. Regierung oder Verbrechersyndikat?“ sowie 21.10.23 „Ein zweiter Yom-Kippur-Krieg“)

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Freitag, 18. Oktober 2024
Kesseltreiben gegen politische Bildung
Das Kesseltreiben gegen die staatlichen und nichtstaatlichen Träger der politischen Bildung wird intensiviert. In NRW (schwarz-grün) wurde der Versuch, die Landeszentrale für politische Bildung (LzpB) eng an ministerielle Vorgaben zu binden, nur durch massiven Protest nicht verhindert, sondern lediglich abgemildert. In Thüringen (rot-rot-grün) sollte das Programm der LzpB durch das Parlament kontrolliert werden. Die Bundeszentrale für politische Bildung beklagt zunehmenden Druck des Innenministeriums.

In Berlin kocht die Debatte sehr hoch. Die für die LzpB zuständige Bildungssenatorin problematisiert sogar einzelne Angebote und wirft ihr „linken woken Quatsch“ vor. Der uralte Trick wird wieder angewendet, einzelne Veranstaltungen rauszupicken, die abseitig zu sein scheinen. Hier ist es ein Siebdruckseminar. Was eigentlich spricht gegen einen solchen Kurs? Immerhin lassen sich so auch politische Inhalte transportieren.

Wenn man von dem erprobten Prinzip ausgeht, dass politische Bildung ein konstituierender Teil aller Angebote sein sollte, dann wird der Sinn deutlich. In meiner aktiven Zeit habe ich ein explizites Konzept der Verbindung von politischer und kultureller Bildung entwickelt und über Jahre erfolgreich umgesetzt. Schon damals musste ich Fragen u.a. der CDU beantworten.

Wir scheinen wieder da angekommen zu sein, wo die Tradition der politischen Bildung nach 1949 begann: Politische Bildung diente ausschließlich dem Antikommunismus und dem was dafür gehalten wurde. Daher rührt auch der Fakt, dass die Zentralen noch heute überwiegend den Innenministerien unterstehen. Heute soll die Bindung an Regierung und die Kontrolle der Inhalte diese ungute Tradition wiederzubeleben.

Nicht zufällig ist der Zeitpunkt. Seit Jahren schon wettert die AfD gegen politische Bildung, auch in der Schule. Sie animiert SchülerInnen, LehrerInnen zu verpetzen, die kritische, antifaschistische Themen behandeln. Man kann sicher sein, dass Listen der denunzierten LehrerInnen geführt werden. Und Höcke hat schon angekündigt, was passiert, wenn die AfD die Macht übernimmt: „diese sogenannte Zivilgesellschaft, die sich aus Steuern finanziert und daraus ernährt“ soll „trockengelegt“ werden.

Und wieder funktioniert der alte ganz schlimme Mechanismus: Die Rechten lassen nicht locker, fordern, drohen und denunzieren so lange, bis bestimmte demokratische Parteien „parieren“ – in Fällen wie Berlin und NRW die CDU. Das zu verhindern ist auch die Aufgabe politischer Bildung!

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Mittwoch, 16. Oktober 2024
Kritik an Bremer Freikarte
Der Bund der Steuerzahler legt sein jährliches „Gutachten“ vor, das wenig Überraschungen bietet. Da wird z.B. die Freikarte kritisiert, mit der u.a. Kinder und Jugendliche kostenfrei kulturelle, sportliche und Freizeit-Angebote nutzen können. Es könne nicht Aufgabe des Staates ein, Kindern die Karussellfahrt zu finanzieren. Ne, wirklich nicht, wenn es nur die Karussellfahrt wäre – obwohl auch die zur Kultur gehört. Tatsächlich gehören dazu u.a. Museums- und Konzert-Besuche.
Das Geld solle besser in die Bildung u.a. Nachhilfestunden investiert werden. Ja, was bitte ist ein Museumsbesuch anderes als Bildung? Da hat der Lobbyverband einen etwas sehr reduzierten Bildungsbegriff. Der Vergleich zwischen Freimarkt und Schule hinkt an dieser Stelle auf allen Beinen.
Der Steuerzahlerbund ist ein Lobby-Verband, der primär die Interessen der Wirtschaft vertritt. Er kritisiert vielleicht mit Recht die missbräuchliche Verwendung von Geld, aber politische Entscheidungen – wie die Freikarte – gehören nicht eigentlich zu seiner Kompetenz. Da mischt er sich ebenso wie Rechnungshöfe in etwas ein, was diese nichts angeht.

Dieser Text wurde als Leserbrief vom Weserkurier abgelehnt; angeblich enthalte er falsche Behauptungen.
Vgl. miniaturen 10.10.24 "Schwarzbuch der Inkompetenz"

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Dienstag, 1. Oktober 2024
Mittelalterliche Medizin und Wikipedia
In bestimmten Hochschulkreise wird verachtungsvoll auf Wikipedia herabgeguckt. StudentInnen dürfen z.B. in ihren Arbeiten nicht aus Wikipedia zitieren. Eine Rückfrage bei diversen Wissenschaftlern ergab: Zitate aus Wikipedia sind legitim, wenn die aktuellste Fassung zitiert wird. Natürlich müssen Zitate – genau wie aus Fachbüchern - kritisch geprüft werden.

Woher kommt die überhebliche Ablehnung durch besagte Hochschulkreise? Im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit war die Sprache der Wissenschaft Latein. Das hatte den Vorteil, dass über alle Sprachgrenzen Wissenschaftler sich in ganz Europa verständigen konnten. Der Nachteil war, dass außer Wissenschaftlern niemand die Wissenschaft verstehen konnte. Das setzt sich in der Medizin bis heute fort. Versuchen Sie mal einen Arztbrief zu verstehen!

Für die Medizin war das konstituierend. Die Ärzte grenzten sich durch ihre Sprache nicht nur von der Allgemeinheit ab, sondern auch von der Konkurrenz der traditionellen Heiler. Die wurden – trotz ihrer jahrhundertealten Kenntnis von Kräutern, Pilzen, anderen Pflanzen und besonderer Methoden – als Quacksalber denunziert. Das setzt sich bis in die Gegenwart fort, wenn Homöopathie, chinesische Medizin, überhaupt alle „alternativen“ Heilmethoden abgelehnt werden. Und da wird auch alles in einen Topf geschmissen. Die wissenschaftlich fragwürdige Kraft der Globuli wird in eins gesetzt mit Akkupunktur und Osteopathie. Grund dafür ist die Konkurrenz der klassischen Medizin zur alternativen.

Ähnlichkeiten mit der Debatte um Wikipedia sind offensichtlich und nicht zufällig. Die traditionelle Wissenschaft diente der individuellen Reputation der Wissenschaftler. Kollektiv entstandene Examensarbeiten werden nur akzeptiert, wenn bestimmte Teile Individuen zugeschrieben werden können.

Ganz anders Wikipedia: Das gesellschaftlich Wissen wird durch Schwarmintelligenz hergestellt. JedeR kann dazu beitragen, ohne namentliche Nennung. Die Autorenschaft ist aus juristischen Gründen nur Wikipedia bekannt. Im Internet tauchen die Autoren nur als Chiffren auf. JedeR kann einen Eintrag ändern, wenn er / sie gute Gründe hat und Quellen angeben kann. Geprüft wird das durch Fachleute, die ebenfalls dem/der LeserIn namentlich unbekannt bleiben.

Ich fand z.B. bei einem Eintrag eine falsche Jahreszahl. Über den Button „bearbeiten“ korrigierte ich den Fehler. Am nächsten Tag stand da wieder das falsche Datum. Dann korrigierte ich die Zahl erneut und notierte in eckigen Klammern meine Quelle. Seit dem steht die richtige Jahreszahl im Text.

Mehr Sicherheit und Sorgfalt geht nicht. Warum wird Wikipedia trotzdem von den zitierten Hochschulen
abgelehnt? Mein Verdacht: Konkurrenz.

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Montag, 30. September 2024
Wer ist unpolitisch und ungebildet
Neulich tauchte in einer Diskussion die Frage auf: Was ist ein unpolitischer Mensch?
Der Frager antwortete selbst: Ein unpolitischer Mensch ist jemand, der Kennedy für eine Cognac-Marke, die UNO für eine Strumpfmarke und die FDP für eine freie demokratische Partei hält.

Zu ergänzen wäre die Frage nach einem ungebildeten Menschen: Jemand, der den Dreisatz für eine Leibesübung hält.

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Newton - in Libyen unbekannt
Vor Jahren, noch zu Gaddafis Zeiten, war ich in Libyen, der Wüste wegen. An einer bestimmten Stelle der Sahara gibt es eine Besonderheit: Wenn man die oberste weiß-gelbe Sandschicht zur Seite schiebt, kamen zu meinem Erstaunen Schichten von farbigen Sanden zum Vorschein. Meine Frage an den libyschen Reiseführer nach der Ursache der Färbung beantwortete dieser mit: „Das hat Allah so gewollt.“

Mich konnte diese Frage – ich bin Atheist – keinesfalls befriedigen. Ich fragte also nach der Reise einen befreundeten Geografen, der mir Auskunft gab: „Das sind verschiedene farbige Minerale, die den Sand färben.“ Aha, dachte ich, das leuchtete mir ein.

Die Antwort des Reiseführers wäre auch in Mitteleuropa vor 1700, also z.B. vor Isaak Newton, befriedigend gewesen. Nicht erklärbare Phänomene wurden schlicht der Absicht Gottes zugewiesen. Seit Newton (1642 – 1726) und anderen gab es ein neues Zeitalter, in dem die Forscher sich nicht mehr damit zufrieden gaben. Sie gingen den Phänomenen auf den Grund, erkannten die Gesetzmäßigkeiten der Natur. Newton gab sich nicht mit der Tatsache zufrieden, dass ein Apfel vom Baum auf die Erde fällt, sondern er fand heraus, dass die Erdanziehung der Grund dafür ist.

Das war der Beginn des neuzeitlichen wissenschaftlichen Denkens. Wissen ersetzte die Religion, um die Welt besser zu verstehen. Das Zeitalter des Glaubens wurde vom Zeitalter der Wissenschaft abgelöst. Allerdings nicht gänzlich. Auch heute erklären sich fundamentalistische Protestanten, Kreationisten, Verschwörungsideologen und Esoteriker die Welt mit den Glaubenssätzen.

Der libysche Reisführer gab sich mit dem zufrieden, was der Koran sagte - in dem er übrigens jeden Abend las, bis es dunkel wurde, ein Fakt, den der Mann auch nicht hinterfragte.

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Donnerstag, 19. September 2024
Verschleierung durch Sprache
Auch der Euphemismus verschleiert die wahren, meist schrecklichen Verhältnisse. (s. miniaturen vom 25.11.22) Es gibt aber noch finsterere Verschleierungen.

Eine davon ist die Seuche. Die Dumpfbacken in den Medien machen immer neue Seuchen aus. Ich schrieb davon schon früher: miniaturen 04.03.24, 04.02.24, 02.03.19. Es ist klar, dass Blindgänger und andere Sprengstoffe, Chemikalien und Nuklearstrahlung keine Seuchen sind. Was ist denn dann eine Seuche? Z.B. die Pest, oder BSE oder Covid 19, Cholera oder… Die meisten davon sind bei uns in Mitteleuropa und zum Glück auch in anderen Weltgegenden, zumindest den zivilisierten, durch Forschung und Medizin besiegt, obwohl sie natürliche .Ursachen haben, Bakterien, Bazillen, Viren. Sie breiten sich häufig mit rasender Geschwindigkeit aus, zumal wenn ihre Verursacher unbekannt sind.

.Die anderen „Seuchen“ haben keine natürlichen Verursacher, sondern sind ausschließlich menschengemacht. Wir kennen die Verursacher und können leicht etwas dagegen unternehmen. Sie zu Seuchen zu erklären, gibt ihnen den Anschein, als seien sie „natürlich“ und man könne nichts machen. Das verschleiert die wahren Verhältnisse und alle Anstrengungen dagegen sind machtlos.

Die andere Form der Verschleierung ist das neue Wort „ableistich“. Ich musste es erst googeln, weil weder meine Bildung noch das Lexikon mir halfen. Und was kam dabei heraus? Ableistisch ist schlicht und ergreifend behindertenfeindlich. Das klingt nun wirklich fies. Das neue Schlagwort banalisiert den Tatbestand. Behindertenfeindlichkeit, das gehört sich nicht, ableistisch versteht niemand, nicht mal mein Rechtschreibprogramm. Dann kann es also wohl nicht so schlimm sein, banalisiert also.

Die dritte Verschleierung betrifft das Wort „antisemitisch“. Wieso das denn? Da muss man etwas weiter ausholen. Als Semiten werden diverse Ethnien bezeichnet, die semitische Sprachformen sprechen. Dazu zählen Juden, Äthiopier, Eritreer und, ja, Araber! Im allgemeinen Sprachgebrauch werden dazu nur Juden gezählt. Das genau ist die Verschleierung: Man sagte lieber nicht Juden, denn der Begriff wurde als Schmähwort verstanden. Also sagte man stattdessen Israeliten, Alttestamentarier oder eben Semiten. Dass damit auch die Araber gemeint sind, wissen die wenigsten Zeitgenossen.

Man sagt also antisemitisch, statt judenfeindlich. Judenfeindlich klingt so böse, dann lieber antisemitisch. Man verschleiert also den „unschönen“ Begriff durch eine Neuschöpfung, die zudem noch unsinnig ist, trifft sie doch nicht nur die Juden sondern ebenso die Araber.

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Mittwoch, 11. September 2024
Gutes altes Gymnasium
1963 habe ich Abitur gemacht und entschloss mich, Germanistik zu studieren. Was mich dazu motivierte? Einfach mein Interesse an Literatur.

Ich kaufte mir als erstes die damals aktuelle „Geschichte der deutschen Dichtung“ von Fricke/Klotz, Ausgabe von 1962. Hier stellte ich schnell fest, dass meine bis dahin angesammelte Kenntnis über deutsche Literatur offensichtlich sehr lückenhaft war. Ich schaute in den Fricke/Klotz nach, welche Autoren für die Zeit seit 1900 dort verzeichnet sind. Ich stellte fest: meine Schullektüre der epischen Literatur hatte fast keins der aufgezählten Werke zum Inhalt.

Ich fand die Autoren Borchert, Dürrenmatt, Frisch, Brecht, Zuckmayer, Walser, Aichinger, Lenz, Böll, Schnurre, Andersch, Koeppen, Schmidt, Frank, Zweig, Seghers, Brot, Musil, Kafka, Jünger, Anders, Nossack, Gaiser und Kreuder. Außer Böll und Borchert, von denen wir je eine Kurzgeschichte gelesen hatte, gehörte kein Autor zu unserer Schullektüre.

Die Aufzählung lässt die Frage offen, was denn überhaupt im Unterricht vorkam. Ich erinnere mich an Goethe (vor allem exzessiv der „Faust“), Schiller, einige Romantiker, nicht einmal die zweite Hälfte es 19. Jahrhunderts wurde berücksichtigt.

Wir waren also denkbar schlecht auf ein Germanistik-Studium vorbereitet. Nicht zufällig wählten auch nur zwei von uns dieses Fach. So war sie „die gute alte Zeit“ des Gymnasiums.

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Donnerstag, 15. August 2024
Rechnungshöfe haben keine politische Kompetenz
Fachleute wussten es schon lange: Die Rechnungshöfe sind nicht dazu da, politische Inhalte zu bewerten. Ihre eigentliche Aufgabe ist, die Wirtschaftlichkeit von staatlicher Förderung zu prüfen.

Das Gutachten des Mainzer Rechtsprofessors Friedrich Hufen belegt es erneut. Der sächsische Landesrechnungshofs war zu dem Ergebnis gekommen, dass staatlich geförderte Projekte „neutral“ sein müssten und keine parteilichen Programme durchführen dürfen. Und das ist falsch.

Politische Bildung wird fälschlich von Gegner als Indoktrination verstanden. Sie ist das Gegenteil. Politische Bildung heißt, ein Thema zu so zu ventilieren, dass die Teilnehmenden sich schließlich ein eigenes Urteil bilden können. Dabei muss der politische Bildner selbst nicht „neutral“ sein. Schon deswegen nicht, weil der Lehrende kein Neutrum ist und es die reklamierte Neutralität objektiv nicht gibt, nicht geben kann.

Politische Bildung heißt auch, gegen die modischen Trends zu informieren. Sie stellt die geforderte Pluralität der Meinungen überhaupt erst her, indem sie alternative Sichtweisen vorstellt. Neutralität würde bedeuten, dass der Lehrende sich selbst verleugnet, für die Lernenden nicht als Individuum erkennbar ist. Soll er authentisch erscheinen, muss er eine eigene Meinung haben. Er muss seine Meinung als EINE mögliche darstellen, nicht jedoch als die einzig mögliche. Und er muss Raum dafür lassen, dass die Teilnehmenden sich eine eigene Meinung bilden KÖNNEN.

Schon vor fünfzig Jahren verwies das Bundesverfassungsgericht den Bundesrechnungshof in seine Schranken. Dieser wollte der Naturfreundejugend die Förderung verweigern, weil diese klar politisch Stellung bezogen hatte. Das konnte der sächsische Landesrechnungshof natürlich nicht wissen, denn den gab es von fünfzig Jahren noch nicht.

„Man könnte auch sagen: Anstiftung zur Mündigkeit.“ – „Klingt nach `ner Menge Arbeit.“
Schotty in „Der Tatortreiniger – Schottys Kampf“

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Donnerstag, 25. Juli 2024
Sind Politiker beratungsfähig?
Als die niedersächsische Landesregierung, bzw. Kultur- und Sozialministerien sich daran machten, der politischen Bildung den Garaus zu machen (Schließung von Jugendbildungsstätte, sogar der Landeszentrale für politische Bildung) warnten Pädagogen und Politologen dringend davor. Sie prophezeiten, dass das dazu führen würde, die Jugend zu entpolitisieren und zu radikalisieren. Ist beides eingetreten, wie die Ergebnisse der Europawahl dieses Jahr belegen.

Ein ulkiger Nebenschauplatz war eine Diskussion mit dem Landesjugendamt (LJA) in einer der Jugendbildungsstätten. Uns wurde vorgeschlagen zur Schärfung unseres Profils Politikberatung ins Programm zu nehmen. Das war nun die Predigt vor der falschen Gemeinde. Wann immer wir politische Ratschläge oder Empfehlungen vorbrachten, wurde die lächelnd abgelehnt. Sie z.B. oben.

Ein anderes Beispiel war die Warnung von Medienpädagogen vor der Privatisierung des Fernsehens. Ebenfalls einfach in den Wind geschlagen. Und da kommt der Herr K. vom LJA und schlägt uns Politikberatung als förderungsfähiger Teil unseres Programms vor. Ich glaube, ihm selbst war die Absurdität des Vorschlags nicht bewusst. Da fehlten ihm Phantasie und wohl auch Einsichtsfähigkeit. Hätte er eins von beidem gehabt, wäre er wohl nicht in seine Funktion gekommen.

Eine kleine Anekdote am Rande: Nach der Wende in Brandenburg wurde die sehr intelligente und agile Regine Hildebrand Sozialministerin. Ihr zur Seite wurde ein erfahrener Mann aus NRW gestellt. In einer Diskussion ließ sie ihn keineswegs zur Rede kommen. Nach einiger Zeit platzt dem Berater der Kragen: „Frau Ministerin, ich soll Sie beraten. Das geht nicht, wenn Sie mir nicht zuhören.“

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