Sonntag, 5. August 2018
Attentate auf Hitler
In der NDR-Info-Sendung „Echo des Tages“ am 20.07.18 wurde in der Anmoderation zum Bericht über die Feierlichkeiten zum 2. Juli 1944 – Attentat Oberst Graf Stauffenbergs auf Hitler – behauptet, der Anschlag sei „der einzig ernst zu nehmende Versuch des innerdeutschen Widerstands, Adolf Hitler umzubringen“.

Nichts ist falscher als das. Das Stauffenberg-Attentat war technisch dilettantisch ausgeführt: Die Aktentasche mit dem Sprengsatz war so positioniert, dass sie den geringst möglichen Schaden anrichten konnte.

Stauffenbergs „Widerstand“ erscheint fragwürdig: Immerhin hatte er bis dahin als Offizier der Reichswehr gedient; die Gruppe, die hinter ihm stand, zeichnete sich eher nicht als demokratisch orientiert aus. Erst als es drohte, dass der Krieg verloren ging, entschloss die Gruppe sich zum Handeln. Der Putsch erwies sich als „Rohrkrepierer“.

Richtig ist, dass bereits 1939 Georg Elser ein perfekt vorbereitetes und durchgeführtes Attentat gegen Hitler durchführte. Einzig der Fakt, dass Hitler seinen Zeitplan änderte und vorzeitig den Ort verließ, führte zum Misserfolg. Elser wurde beim Versuch, in die Schweiz zu fliehen, gefasst, gefoltert und schließlich Anfang 1945 ermordet.

Präzise Recherche hätte diese Fakten zu Tage fördern und eine derartige Anmoderation verhindern können. Also: Zur Wiedervorlage für das nächste Jahr.

Der NDR antwortete auf diesen Text wie folgt:
"Sehr geehrter Herr Fiege,
Sie haben recht, die angesprochene Formulierung ist insofern nicht ausreichend präzise, als dass sie nicht das von Georg Elser geplante Attentat einschließt. (....) Vielen Dank für das aufmerksame Zuhören und Ihre Rückmeldung.
Herzliche Grüße,
Kathrin Schmid"

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Freitag, 3. August 2018
Die Kerbe in der Kaffeebohne
Bei einer Faschingsfeier fragt zu vorgerückter Stunde eine Frau ihre Freundin: „Wo aabeit eintlich dein Mann?“ - Die andere: „Bei Ogo, das is `ne Kaffeefirma.“ – „Un was mach er da?“ – „Der macht die Kerben in die Kaffeebohnen.“ – Die Freundin: „Ach ich dache, dat wird heute schon mitte Maschine gemach.“

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Donnerstag, 2. August 2018
Ursachen der organisierten Kriminalität
Die organisierte Kriminalität beschäftigt die Polizeibehörden zunehmend. Der Präsident des Bundeskriminalamts sagt etwas zu den Ursachen, die in den 90er Jahren lägen. Heute rekrutierten sich kriminelle Clans aus Immigranten, die vor dreißig Jahren nach Deutschland kamen und große Probleme bei der Integration hatten: kein dauerhafter Status, keine Arbeit, schlechte Wohnverhältnisse, mangelnde Schul- und Berufs-Ausbildung. Diesen Menschen sei der Weg in die Kriminalität geradezu vorgezeichnet.

Was Herr Münch in seinem Interview bei ZDF-heute am 01.08.18 nicht ausdrücklich erwähnte: Heute stehen wir vor der gleichen Situation: Die Flüchtlinge, die keine Bleibeperspektive haben, die wir nicht integrieren, die in „Ankerzentren“ monate-, ja jahrelang verwahrt werden, werden geradezu zur kriminellen Laufbahn genötigt.

Das sollte Herr Münch den Politikern ins Stammbuch schreiben, vornehmlich den bayrischen.

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Dienstag, 17. Juli 2018
Was ist Despotie?
„Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast grenzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müßte ein Blödsinniger oder schon ein öffentlich verächtlicher Bösewicht sein, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel, die Wahl zum Vorteil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik lebenslänglich sein; wenn es aber die großen sind, geht der Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte.“

Nein, damit sind nicht Putin oder Erdogan oder andere zeitgenössische Bösewichter gemeint, sondern Napoleon. Und den Text schrieb vor über zweihundert Jahren Johann Gottfried Seume in „Spaziergang nach Syrakus“. Nicht nur wegen solcher Erkenntnisse ist das Buch auch heute höchst lesenswert.

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Donnerstag, 7. Juni 2018
Geschichte geschieht.
Im Fernsehen sehr beliebt sind sog. Spieldokumentationen oder Geschichts-Sendungen. Spitzenreiter ist Guido Knopp mit seinen History-Sendungen zum Nationalsozialismus.

Diese Sendungen halten überwiegend einer kritischen historischen Überprüfung nicht stand.

In einer Diskussion wurde neulich behauptet, der Kaiserschnitt heiße so, weil die Berliner Charité diese Methode im 19. Jahrhundert erfunden und zu Ehren Kaiser Wilhelms so benannt worden sei. Beleg: die „Geschichts“-Serie über die Charité in der ARD.

Alles Quatsch! Der Kaiserschnitt wurde bereits in der Antike angewandt und heißt nach Plinius so, weil angeblich Caesar so zur Welt gebracht wurde. Andere Quellen leiten das Wort von dem lateinischen Wort caedere = schneiden ab.

In der historischen Wissenschaft gibt es Quellen unterschiedlicher Wertigkeit.
• Die höchste Zuverlässigkeit bieten offizielle Dokumente wie Verträge, Akten, sonstige Dokumente.
• An zweiter Stellen kommen zeitgenössische Aufzeichnungen, z.B. Tagebücher.
• Memoiren sind weniger zuverlässig, weil eine zeitliche Distanz zwischen Ereignis und Aufzeichnung liegt. Die Erinnerung kann trügen. Der Blickwinkel ist subjektiv.
• Am unzuverlässigsten ist die oral history, also Zeitzeugen-Aussagen. Begründung wie oben.

Seriöse Geschichtsforschung kann – oder muss? – alle Quellen nutzen. Je unzuverlässiger eine Quelle ist, desto notwendiger muss die einzelne Aussage durch andere Quellen gegengeprüft werden. Das gilt insbesondere für oral history.

Die ZDF-History-Beiträge bedienen sich ausschließlich der Aussage von Zeitzeugen, die nur durch illustrierende Film-Dokumente unterbrochen werden. Ein wissenschaftlich höchst unpräzises Vorgehen.

Das müsste Guido Knopp wissen: Er hat an der Bremer Uni in Geschichte promoviert, und es ist kaum vorstellbar, dass er gerade Quellenkunde geschwänzt hat.

Seine Methode kann also nur Absicht sein, um ein bestimmtes Geschichtsbild zu transportieren. Die Zeitzeugen präsentieren sich überwiegend als unschuldige Opfer der Verhältnisse, nicht jedoch als Handelnde. Geschichte „geschieht“, wird aber nicht gemacht.

Die Schuldigen am Faschismus bleiben anonym.

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Multitasking ist eine Fiktion!
Gegen konzentriert arbeitende Männer wird das Argument des Multitasking in Stellung gebracht, das angeblich Frauen perfekt beherrschen.
Warum hält sich dieses Märchen so konstant?

Bereits bevor das Telefonieren im Auto untersagt wurde, haben praktische Versuche mit telefonierenden AutofahrerInnen ergeben: sie fahren unkonzentriert und machen häufig Fehler. Ergebnis des vom ADAC durchgeführten Tests: Telefonieren am Lenkrad ist verboten.

Wenn Autos durch unregelmäßiges Fahren – Schlangenlinien, unterschiedliches Tempo, Fehler – auffallen, sitzt nicht notwendig ein Betrunkener am Steuer. Meist ist es eine – oft weibliche – Person, die mit einem/r BeifahrerIn heftig gestikulierend und seitwärts guckend spricht.

Später wurde in Tests festgestellt, Menschen am Computer sind unkonzentriert, arbeiten langsamer und machen Fehler, wenn sie IRGENDWIE abgelenkt werden: durch Besucher, Telefonate, Radio u.ä.

Ein Psychologe schreibt in „Psychologie heute“, es sei hirnphysiologisch nachweisbar, dass Multitasking nicht funktionieren KANN.
Multitasking ist eine Fiktion!

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Zensoren sind blind
Vor Jahren wurde uns in einem Film-Seminar von einem kritischen Regisseur aus der DDR ein Film vorgeführt als Beispiel für Methoden, die Zensur zu unterlaufen:

Gezeigt wird ein Ost-Berliner Friedhof. Menschen sitzen auf Bänken und lesen, essen ihr Pausenbrot, flanieren, unterhalten sich gedämpft. Man hört Schritte auf Kies, Vögel zwitschern und singen, Windgeräusche in den Bäumen.

Gefilmt wird mit subjektiver Kamera aus der Sicht eines Besuchers. Dann verlässt er den Friedhof durch das schmiedeeiserne Tor: Straßenlärm, das typische Trabant-Geräusch, eine triste Straße mit ebenso tristen Altbauten. Man riecht förmlich den Braunkohlen- und 2-Takt-Mief.

Die Botschaft: Auf dem Friedhof ist Leben, Stille und Frieden, draußen ist öde DDR. – Der Regisseur versicherte uns, das Publikum habe die Botschaft verstanden. Nur nicht die Zensoren, denn es wird nicht ein kritisches Wort über die DDR gesprochen. Der Film jedoch passierte ungeschoren sämtliche Zensur-Instanzen.

Aktuelles Beispiel: „Der Geschmack von Zement“. Ein düsterer – wenn auch Farb-Film – über syrische Fremdarbeiter im Libanon. Der Film kommt fast ohne Worte aus, mit Ausnahme von Kommentaren des Regisseurs und fiktiven Tagebucheinträgen. Bild und Ton sagen alles über die Situation der dargestellten Bauarbeiter. Warum diese Kargheit des gesprochenen Wortes? Weil der Bauunternehmer Interviews mit den Arbeitern verboten hat!

Worte hätten hier nur gestört. Die Botschaft ist visuell und akustisch – auch durch Musik – eindeutig, aber da Worte fehlen, kann die Zensur nicht eingreifen.

Aber zum Glück sind Zensoren blind.

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Dienstag, 5. Juni 2018
Die Angst des Flüchtlings
Yussuf aus Syrien erzählt von seiner Flucht nach Europa. In Damaskus wurden seine Wohnung und sein Arbeitsplatz durch Bomben zerstört.

Der Weg in die Türkei war problemlos. Aus der Türkei nach Griechenland fährt er mit einem Schlauchboot nach Griechenland.

Der Interviewer hat die neuesten Meldungen von Ertrunkene im Mittelmeer im Kopf. Befragt, ob Yussuf auf der Überfahrt Angst gehabt habe, antwortet dieser: „Angst? Nein Angst hatte ich in Syrien!“

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Mittwoch, 16. Mai 2018
Jerusalem – Hauptstadt Israels?
Trump und Netanjahu feixen: Die US-Botschaft in Israel ist ab sofort in Jerusalem. Trump erklärt via Video-Botschaft, jedes Land habe das Recht, seine Hauptstadt hinzulegen, wohin es dem Staat beliebt.

So weit, so gut. Nur: Kein Land hat das Recht, seine Hauptstadt außerhalb seiner Grenzen zu verorten. Jerusalem gehört nach internationalem Völkerrecht eben NICHT zu Israel. 1967 hat Israel Ost-Jerusalem besetzt und später einseitig annektiert. Die UN dagegen haben eindeutig festgelegt, dass der Status Jerusalems durch ein FRIEDENSABKOMMEN geregelt werden muss, das bisher nicht existiert.

Israel kann seine Hauptstadt in die Negev oder Haifa, aber weder nach Kairo oder Amman, weder nach Beirut oder Damaskus, aber eben auch NICHT nach Jerusalem verlegen, weil Jerusalem bisher nur nach der einseitigen Sichtweise von Herrn Netanjahu und Herrn Trump zu Israel gehört. Schon deswegen nicht, weil Jerusalem von den Palästinenser ebenso berechtigt reklamiert wird. Und sie haben nach dem Völkerrecht alle Argumente auf ihrer Seite. Israel kann dagegen nur seine militärische Macht ins Feld führen.

Da steht die Position von Trump und Netanjahu auf tönernen Füßen.

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Sonntag, 13. Mai 2018
70 Jahre Staat Israel -
- aus diesem Anlass habe ich eine alte, immer noch aktuelle Buchbesprechung hervorgeholt:

Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas, 4. Auflg., Frankfurt (Zweitausendeins) 2008

Dieses Buch ist schockierend,
• weil es mit dem lang gehegten Vorurteil aufräumt, Israel habe immer nur Verteidigungskriege gegen die übermächtigen arabischen Nachbarn geführt,
• wegen der darin wiedergegebenen Tatsachen,
• weil die Geschichte des Autors ein Licht auf die Wissenschaftspolitik in Israel wirft,
• weil es die Sicht des Rezensenten auf die Lage im Nahen Osten erschüttert.

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Unbestritten - wenn auch nur zögernd zugegeben - war bisher die Tatsache, dass die Terrorgruppen Irgun und Sternbande in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts Massaker an arabischen Einwohnern Palästinas verübt haben. Der Name des Dorfes Deir Yassin – knapp westlich von Jerusalem, heute Stadtteil Givat Shaul - stand dafür stellvertretend. Dort wurde am 9. April 1948 fast die gesamte arabische Bevölkerung von Irgun und Sternbande ermordet, Frauen wurden vergewaltigt. Die Angaben über Opfer-Zahlen schwanken, allgemein wird von 245 Toten ausgegangen. Interessant ist, dass die Hagana – offizielle „Selbstverteidigungsorganisation“ der zionistischen Gemeinschaft – das Massaker stillschweigend duldete. Die Führer von Irgun und Sternbande wurden teilweise einflussreiche Politiker im Staat Israel: z.B. Menachim Begin, Jitzak Schamir.

Dies ist nach Ilan Pappe kein Zufall, denn die Zerstörung des Dorfs war Teil eines „Plan Dalet“, den eine Gruppe von Beratern um den späteren Ministerpräsidenten Israels, David Ben Gurion, zur „ethnischen Säuberung“ Palästinas seit 1947 entwarf. Das, was faktisch später geschah, wurde vorher systematisch geplant und von der Hagana - nach der Unabhängigkeitserklärung Israels am 14. Mai 1948 israelische Armee IDF (Israeli Defense Forces) - systematisch und plangenau umgesetzt. Sämtliche arabischen Dörfer sollten auf die eine oder andere Weise entvölkert und zerstört werden.

Die Spur der Vertreibungen begann im Süden in Gaza, folgte der Mittelmeerküste nach Norden - mit „Abstecher“ nach Jerusalem - bis Haifa und Akko nach Nordgaliläa an die libanesische Grenze, über Safad wieder nach Süden durch das Jordantal über Tibarias bis Baysan. Schließlich wurden im äußersten Süden auch die Beduinen der Negev aus ihren angestammten Gebieten verdrängt. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Araber sich friedlich verhielten oder nicht, ob sie in guter Nachbarschaft mit jüdischen Siedlungen – überwiegend Kibbuzim – lebten oder nicht.

Das militärische Vorgehen in den einzelnen Dörfern folgte einer Systematik, von der selten abgewichen wurde. Zunächst wurde das Dorf von drei Seiten belagert und durch Artillerie, später durch Bomber angegriffen. Dann rückten die Bodentruppen nach, massakrierten die Bevölkerung – gelegentlich wurden Frauen vergewaltigt – oder vertrieben sie (dazu ließ man die vierte Seite offen); schließlich wurden die Gebäude zerstört, um eine Rückkehr der Flüchtlinge zu verhindern. Die Vertreibungen erfolgten über die Grenzen in die Nachbarländer oder in größere Städte wie Nazareth oder Schfar’Am. Dort entstand so ein städtisches Proletariat. Die Dörfer wurden später von Juden besiedelt.

Die militärische Gegenwehr der Araber war völlig hilflos. Es gab zwar arabische Freiwilligenverbände (Arab Liberation Army), die aber nach Zahl und Bewaffnung hoffnungslos unterlegen waren. Die arabischen Nachbarstaaten unterstützten sie halbherzig oder gar nicht. Die internationale Öffentlichkeit, vor allem die UNO, wussten von den Ereignissen, ließen aber alles ungerührt geschehen.

Die Vorbereitungen zur ethnischen Säuberung Palästinas setzten nicht etwa erst nach dem UN-Teilungsplan von 1947 oder mit dem Rückzug der Engländer als Mandatsmacht im Mai 1948 ein. Sie begannen teilweise auf Anregung und mit Duldung der britischen Mandatsmacht Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre. Topografen, Orientalisten und Geheimdienstlern der Hagana legten Dossiers über die arabischen Dörfer an, die Grundlage für das spätere militärische Vorgehen von Hagana und IDF waren.

Das sind keine Hirngespinste arabischer Extremisten oder Propagandalügen. Die offizielle israelische Lesart war lange: die arabische Bevölkerung hat den UN-Teilungsplan nicht akzeptiert, die arabischen Nachbarstaaten haben die palästinensische Bevölkerung durch Verbreitung von Gräuellügen zur Flucht animiert, Israel musste sich gegen eine militärische Bedrohung wehren. Die von Pappe zitierten Quellen reden eine andere Sprache und sie sind keineswegs obskur: er bezieht seine Kenntnisse u.a. aus den Archiven von Hagana, IDF und der UNO, den Tagebüchern David Ben Gurions, Korrespondenzen der Beteiligten u.a. im Ben-Gurion-Archiv, Erinnerungen damals beteiligter jüdischer Politiker und Militärs (Quellenkunde) sowie aus Sekundärliteratur. Ergänzt werden die Kenntnisse aus offiziellen Quellen durch Erinnerungen betroffener Araber (oral history).

Der Aufbau von Pappes Buch folgt streng historisch-wissenschaftlicher Methodik von der Definition der Begriffe über die Darstellung der Ereignisse bis zu deren Bewertung ist alles sauber hergeleitet und entspricht den Anforderungen moderner historischer Wissenschaft. Jede Tatsache ist genau belegt, jede Quelle wird durch mindestens eine zweite verifiziert, das gilt besonders für die persönlichen Erinnerungen (oral history), die nie für sich genommen für bare Münze gehalten, sondern durch Quellen aus offiziellen Archiven bestätigt werden.

An dieser Stelle sei eine Anmerkung des Rezensenten erlaubt. Ich (war) seit 1985 (bis 2007) im deutsch-israelischen Jugend- und Fachkräfteaustausch engagiert. Viele der Orte, die in Pappes Buch vorkommen, sind mir bestens vertraut. Z.B. das Latrun-Tal, das „gesäubert“ wurde, wo ich mehrfach mit Gruppen Gast des Neve Schalom (Friedensdorf) war. Z.B. der Ort Lydda, heute Lod, wo der Flughafen liegt, auf dem ich jedes Mal landete oder startete. Z.B. Yaad in Nordgaliläa, wo ich 1985 bei meiner ersten Reise mit dem AdB (Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten)
die Entwicklung Israels als Computer-Hochburg bewundert habe. Z.B. die Städte Nazareth, Safed und Schfar’Am - hier war ich mehrfach Gast des Jugendamtes, eines drusischen Scheichs und des (arabischen) „House of Hope“.

En Hod ist ein Sonderfall. Dieses Dorf – arabisch Ayn Hawd 15 km südlich von Haifa am Hang des Carmel – wurde besetzt, die Bevölkerung vertrieben, aber, was ungewöhnlich war, es wurde nicht zerstört, „weil es in der Einheit, die den Ort besetzte, einige Bohemiens gab: Sie erkannten sofort das Potenzial des Dorfes“ (Pappe, S. 219) und machten daraus eine Künstlerkolonie, in der später „Israels bekannteste Künstler, Musiker und Schriftsteller, die meist zum ‚Friedenslager’ des Landes gehörten“ (a.a.O.), lebten. Hier drehte eine Jugendgruppe, mit der ich in den 90er Jahren dort war, einen Film, ohne den historischen Hintergrund des Ortes zu kennen.

Furaydis, ebenfalls ein Sonderfall, liegt in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Kibbuz und jetzigen Feriendorfs Nach Scholim, wo meine Partnerorganisation „Dialog“ ihren Standort hat. Mehrmals war ich dort mit Jugendlichen und Fachkräften Gast. Furaydis wurde von der IDF verschont: die Einwohner der benachbarten jüdischen Siedlungen setzten sich für seinen Erhalt ein, weil sie die arabischen Einwohner als ungelernte Arbeitskräfte benötigten.

Ganz in der Nähe lag auch der etwas größere Ort Tantura. Hier wurde am 22. Mai 1948 eins der schlimmsten Massaker angerichtet. Das Vorgehen der IDF, konkret der Alexandroni-Brigade, war hier untypisch. In diesem Verband war übrigens der spätere Premierminister Ariel Scharon Zugführer. Das Dorf wurde von vier Seiten eingekreist, so dass eine Flucht unmöglich war. Die Männer (im Alter zwischen 10 und 50 Jahren) wurden von den Frauen und Kindern getrennt; diese flohen ins nahe Furaydis. Nach vorbereiteten Listen wurden die Männer selektiert, in 10er Gruppen an den Strand, auf einen Friedhof und in eine Moschee geführt und hingerichtet. Soldaten zogen durch das Dorf, plünderten und zerstörten es. Der jüdische Bürgermeister des nahe gelegenen Zichron Yaakov versuchte die Soldaten zu stoppen, kam aber zu spät. Die genaue Zahl der Toten ist ungeklärt, es müssen aber hunderte gewesen sein.

Schockierend ist auch die Reaktion der „offiziellen“ Historiker in Israel auf die Forschungen von Pappe und anderen. Ein Student der Universität Haifa stieß bei Recherchen auf den Fall Tantura und führte Interviews mit Überlebenden. „Als es publik wurde, disqualifizierte die Universität nachträglich seine Doktorarbeit, und Veteranen der Alexandroni-Brigade verklagten (ihn) wegen Verleumdung.“ (a.a.O., S. 188)

Auch Pappe selbst blieb nicht ungeschoren. Er ist Jahrgang 1954, Sohn deutscher Emigranten aus Nazi-Deutschland, studierte Geschichte in Jerusalem und Oxford, war akademischer Leiter der Bildungs- und Begegnungsstätte Givat Haviva, mit der der AdB lange Jahre im Austausch war. Dann wurde er Professor an der Universität Haifa, geriet in fachlichen und politischen Konflikt mit der Universitätsleitung, resignierte schließlich und ging als Professor nach Großbritannien an die Universität Exeter. – Der Fall ist ein Beleg dafür, wie schwer man sich in Israel noch heute tut, die eigene Vergangenheit unvoreingenommen zur Kenntnis zu nehmen, die eigene Geschichte zu reflektieren und sich von bequemen Interpretationen zu trennen.

Die Lektüre dieses Buches ist erschütternd, vor allem für diejenigen, die im deutsch-israelischen Jugend- und Fachkräfteaustausch tätig sind. Aber gerade für sie sollte die Lektüre zur selbst auferlegten Pflicht werden, auch wenn man sich dabei von lieb gewonnenen Überzeugungen trennen muss. Aber: lernen ist immer schmerzlich.

In: Außerschulische Bildung, Nr. 4 – 2008, S. 444

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Donnerstag, 12. April 2018
Unsichtbare Opfer der Gasangriffe in Syrien
In den deutschen Medien kursieren erschütternde Bilder von den Opfern des Giftgasangriffs der Regierung Al-Assads gegen die eigene Zivilbevölkerung. Insbesondere Kinder sind betroffen.

Die Bilder, vom Syrischen Zivilschutz (Weißhelme, ad-difāʿ al-madanī s-sūrī) aufgenommen, zeigen jedoch nur die Opfer, die bereits medizinische und sonstige Hilfe erhalten: die Menschen werden vom Chlorgas auf der Haut gewaschen, mit Sauerstoffmasken beatmet und sonst wie medizinische versorgt.

Was die Bilder nicht zeigen, sind die Opfer, die keine Versorgung bekommen. Deren Aussehen, insbesondere der Leichen, dürfte weit schockierender sein.

Chlorgas wirkt „nur“ auf die Haut und neben den anderen äußeren Organen (vor allem die Augen) besonders auf die Lunge. Es bewirkt schreckliche Atemnot bis zum Tod. Es gibt geringe Möglichkeiten der Behandlung, wenn sie frühzeitig einsetzt.

Das zweite in Syrien eingesetzte Giftgas ist Sarin. Es gelangt über die Haut und die Lunge in den Körper und blockiert das zentrale Nervensystem. Es führt zu Lähmungen insbesondere der Atmung und führt unweigerlich zu einem qualvollen Tod.

Man kann sich vor beiden Gasen nur mit Gasmasken und gasdichten Ganzkörper-Anzügen schützen. Über beides verfügt die syrische Zivilbevölkerung nicht! Auch gasdichte Bunker, die einen gewissen Schutz bieten, stehen nicht zur Verfügung.

Im zweiten Weltkrieg wurden Kampfgase nicht oder nur vereinzelt eingesetzt, weil ihre Wirkung auf die eigenen Truppen nicht kalkulierbar ist. Das waren die Erfahrungen des ersten Weltkriegs.

Derlei Skrupel brauchen Assads Truppen nicht zu plagen, weil sie das Gas aus der Luft und ausschließlich gegen Zivilisten weitab von den eigenen Truppen einsetzen.
Dieser Zynismus ist unglaublich!

Man könnte ausnahmsweise Trumps Drohungen, einen Raketenangriff auf Assads Militärbasen zu starten, billigen. Wie sonst will man den Grausamkeiten ein Ende setzen?

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Sonntag, 21. Januar 2018
Was ist ein Tüftler?
Neulich im Sprachunterricht für Geflüchtete: Im Text kommt der Begriff „Tüftler“ vor. Mohammed fragt, was ein Tüftler ist. Ossama, der unbekannte Worte gern aus Bekanntem ableitet, erklärt, dass müsse wohl was mit Autos zu tun haben. Befragt warum, meint er das komme doch wohl von „TÜV“.

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