Sonntag, 13. Juni 2021
Der lange Arm orientalischer Potentaten
Cansu Özdemir ist Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburger Bürgerschaft. Sie stammt aus einer kurdischen Familie. Da liegt es nahe, dass sie sich für die Lage der Kurden im Nahen Osten interessiert. Also stellte sie eine Delegation zusammen, um nach Erbil, der autonomen kurdischen Region im Nordosten des Irak, zu reisen.
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Doch in Düsseldorf auf dem Flughafen endete die Reise. Sie wurde von der Bundespolizei festgenommen und stundenlang verhört, bis die Maschine ohne sie gestartet war. Die Bundespolizei begründete ihr Vorgehen damit, dass Verdacht bestünde, "die Interessen der Bundesrepublik" seien durch die Reise gefährdet. Die Immunität als Abgeordnete? Zählt nicht!

Der Status der kurdischen Region ist unsicher. Zwar retteten kurdische Kämpfer die Region vor dem Zugriff des "IS", aber vor allem der benachbarten Türkei ist das nicht geheuer. Sie intervenieren immer wieder militärisch, weil sie eine starke kurdische Region mit Einfluss auf die kurdischen Gebiete in der Türkei fürchtet.

Interessant wäre nun: Wer hat den Polizeieinsatz und die illegale Arretierung von Frau Özdemir veranlasst? Die werden doch wohl - hoffentlich! - nicht auf eigene Faust gehandelt haben? Die Bundespolizei untersteht dem Bundesinnenministerium. Doch nicht etwa Herr Seehofer? Oder vielleicht Herr Erdogan? Dessen langer Arm reichte schön früher gelegentlich weit, sehr weit und auch bis in die Bundesrepublik. Man denke nur an seinen letzten Wahlkampf in Deutschland.

Nun darf man gespannt sein, wie sich die Verantwortlichen aus der Bredouille `rauswinden.

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Kolonie Ostdeutschland?
Vor wenigen Monaten - genau am 3.Oktober - jährt sich das Datum der formellen Vereinigung der beiden deutschen Staaten zum 30. Mal. Vor und nach diesem Datum wurden immer wieder Stimmen laut, die diesen Vorgang für die "Kolonisierung" Ostdeutschlands durch Westdeutschland hielten.

Der Begriff ist schief. Kolonisierung trifft z.B. für Namibia zu: Dort wurden zunächst christlich-protestantische Geistliche aktiv, dann Kaufleute und schließlich die kaiserliche deutsche Regierung. Die Bevölkerung des damaligen "Deutsch-Südwest-Afrika" wurde nie gefragt, stattdessen aufs Grausamste unterdrückt. Als sie sich wehrte, setze der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts ein. Zwischen 50- und 100tausend Menschen wurden ermordet. So sah Kolonisierung aus. Wäre Kaiser Wilhelm II. nach "Deutsch-Südwest" gereist, hätten die einheimischen Völker ihn sicher nicht mit "Wilhelm, Wilhelm"-Rufen begrüßt.

Ganz anders in Deutschland 1990. Bei seinem ersten Besuch in Ostdeutschland wurde Bundeskanzler Kohl von Demonstranten in ostdeutschen Städten mit begeisterten "Helmut, Helmut"-Rufen begrüßt. Im Gegenzug versprach er ihnen "blühende Landschaften". Ein erster Schritt zur Vereinigung war die sog. Wirtschafts-, Währungs- und Sozial-Union im Frühsommer 1990, mit der die Grundlagen für die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West erreicht werden sollte. Erreicht ist das bis heute nicht. Löhne und Renten sind im Osten immer noch niedriger als im Westen.

Im Dezember 1990 wurden Bundestagswahlen in ganz Deutschland durchgeführt, bei denen die CDU und Kohl souverän gewannen. Die Wiederwahl Kohls war vorher in Westdeutschland durchaus unsicher. Es waren die ostdeutschen Wählerstimmen, die ihm die erneute Kanzlerschafft retteten. So weit sah alles demokratisch aus.

Aber dann kamen die Kolonisatoren in Form der "Treuhand-Gesellschaft" und westdeutschen Kapitals. Und zwar erst dann. Der ganze Prozess lief also genau umgekehrt als in Namibia.

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