Sonntag, 6. August 2023
Ich hätte nie gedacht, dass mir sowas passieren könnte!
jf.bremen, 14:09h
Ich war gewarnt. Zeitungsartikel berichten laufend über den „Enkeltrick“. Leser wie ich reagieren mit Unverständnis für das Handeln der Opfer. Inzwischen bin ich eines anderen belehrt worden.
Ein Anruf schreckte mich aus der Arbeit. Anrufer: Anonym. Das könnte Freundin Z. sein, die ihre Nummer unterdrückt hat. Ich melde mich. Eine freundlich-ernste Frauenstimme stellt sich als Kripobeamtin Sowieso vor, fragt ob ich sitze. - Ja. - Sie habe eine schlechte Nachricht. Eine Person – sagte sie Enkelin oder etwas anderes? – habe einen Verkehrsunfall mit einem Todesopfer verursacht. Ob ich mit ihr reden wolle? Selbstverständlich. Eine Frauenstimme, angebliche unsere Patentochter S., schluchzt und bittet um Hilfe. Die Kripo-Frau mischt sich ein, S. werde jetzt durch eine Polizeipsychologin unterstützt. Sie übergibt an einen Staatsanwalt Dr. Braun. Der erklärt mir, S. käme jetzt in Untersuchungshaft bis ein Richter Weiteres entscheide. Bei Hinterlegung einer Kaution könne S. zunächst Haftverschonung bekommen.
Ich breche zusammen, knalle mit dem Kopf auf die Tischplatte. Braun lässt mir aber keine Zeit. Ich müsse xx xxx € – einen fünfstelligen Betrag - hinterlegen. - So viel habe ich nicht. - Wieviel ich schnell auftreiben könne? - Einen niedrigeren Betrag? - Das ginge auch. Kurz kommt die weinende Frauenstimme noch mal ans Telefon, bis nach wenigen Sekunden die Kripobeamtin eingreift und erneut erklärt, S. werde jetzt psychologisch betreut.
Jetzt folgen sehr exakte Handlungsanweisung, denen ich im Folgenden - völlig durcheinander - genauso exakt folge. Dadurch werde ich entlastet, selbst Entscheidungen treffen zu müssen, was ich auch durch meinen aktuellen Gesundheitszustand nicht konnte.
1. Ich dürfe mit niemandem reden, da S. vermeiden wolle, dass etwas in die Presse kommt.
2. Ich solle das Geld beim Amtsgericht übergeben. Da ich erkläre, dass ich wegen einer Behinderung nicht laufen kann, und am Amtsgericht auch keine Parkmöglichkeit besteht, schlägt er anderes vor.
3. Sie würden mich auf dem Handy anrufen – ich weiß nicht mehr, ob ich die Nummer angegeben habe – und ich dürfe das Handy nicht ausschalten, sonst würde S. gefährdet.
4. Ich müsse zur Bank fahren und das Geld abheben. Dort solle ich auf Fragen der Angestellten, wofür ich so viel Geld brauche, sagen, ich wolle ein Auto kaufen.
5. Vor der Bank würde mir per Handy ein Treffpunkt für die Geldübergabe genannt. Ich würde auch eine Quittung bekommen.
6. Es setzt eine Art Hyperaktivität ein. Ich klaube die Fahrzeugpapiere, Personalausweis und Bankkarte zusammen und mache mich auf den Weg.
Im Flur begegne ich meiner Frau, die gerade nach Hause kommt. In Eile sage ich ihr, ich müsse schnell weg und ich dürfe nicht mit ihr reden. Dann sitze ich im Auto auf dem Weg zur Bank. Zwischendurch kommen aus dem Handy immer wieder besorgte, immer heftigere Fragen, ob ich wirklich allein sei. Zuletzt reagiere ich wütend.
Jetzt setzt ein neuer Prozess bei mir ein. Ist das am Ende ein Enkeltrick? Oder ist S. wirklich in Gefahr? Hin und her, her und hin. Jetzt fällt mir die Nervosität der "Kripobeamtin" auf. Je länger die Autofahrt dauert, desto größer werden meine Zweifel. Durch Zufall komme ich an einer Polizeiwache vorbei. Da fällt mein Entschluss. Ich biege links ab, fahre vor die Wache, steige aus, gehe mit dem Handy in der Hand rein. Die Beamtin am Schalter checkt die Situation: Stellen Sie schnell das Handy aus. Wieder bin ich froh, dass mir jemand sagt, was ich tun kann. Sofort kommen immer wieder neue Anrufe, die ich gleich wegdrücke. Offensichtlich soll mein Handy blockiert werden. Ich rufe zur Sicherheit erst mal S., dann meine Frau an und gebe „Entwarnung“. Bevorzugt nimmt ein Beamter meine Anzeige auf. Und sagt immer wieder: „Das ist typisch. Gut, dass Sie zu uns gekommen sind!“
Klar ist: Die Polizei würde nie einen solchen Fall telefonisch bearbeiten, sondern ins Haus kommen. Das Feilschen um die Höhe des Betrags – völlig unglaubwürdig. Haft bei S. eher ausgeschlossen (geordnete Verhältnisse). Die Kaution, das Schweigegebot, die lückenlose Kontrolle, die Lüge mit dem Autokauf, Geldübergabe auf einem Parkplatz – alles aus dem Werkzeugkoffer von Erpressern!
Es gibt einige Gründe für mein Verhalten: Der Schock, das selbstbewusste Auftreten der „Kripobeamtin“ und des Staatsanwalts, ihre Flexibilität, die exakten Handlungsanweisungen, eine perfekte Inszenierung, psychologische „Kriegführung“ und immer wieder der erste und andauernde Schock!
Ich wusste und weiß, dass alles, was die Erpresser behauptet haben, Lügen waren. An mehreren Stellen hätte ich stutzen müssen. Ich tat es nicht, schlicht weil ich unter Schock stand und in einer labilen Lage war!
Ich halte mich für einen rationalen Menschen. Das Beispiel zeigt, wie brüchig dieser Schild ist. Einige gezielte Stiche brechen ihn auf. Aber unter dem Druck war immer noch rationales Handeln möglich: Mitnahme der Papiere, Autofahrt. Nur die Grundannahme - S. ist in Gefahr; Hilfe scheint möglich – wurde nicht angezweifelt. Ein erschreckendes Szenario. Ich hätte es vorher so niemals für möglich gehalten.
Nachtrag: Drei Monate später bekomme ich eine E-Mail: Kinderpornografie im Internet sei strafbar. Ich sei verdächtig und solle …. Was, habe ich nicht gelesen, weil ich die E-Mail sofort gelöscht habe.
Ein Anruf schreckte mich aus der Arbeit. Anrufer: Anonym. Das könnte Freundin Z. sein, die ihre Nummer unterdrückt hat. Ich melde mich. Eine freundlich-ernste Frauenstimme stellt sich als Kripobeamtin Sowieso vor, fragt ob ich sitze. - Ja. - Sie habe eine schlechte Nachricht. Eine Person – sagte sie Enkelin oder etwas anderes? – habe einen Verkehrsunfall mit einem Todesopfer verursacht. Ob ich mit ihr reden wolle? Selbstverständlich. Eine Frauenstimme, angebliche unsere Patentochter S., schluchzt und bittet um Hilfe. Die Kripo-Frau mischt sich ein, S. werde jetzt durch eine Polizeipsychologin unterstützt. Sie übergibt an einen Staatsanwalt Dr. Braun. Der erklärt mir, S. käme jetzt in Untersuchungshaft bis ein Richter Weiteres entscheide. Bei Hinterlegung einer Kaution könne S. zunächst Haftverschonung bekommen.
Ich breche zusammen, knalle mit dem Kopf auf die Tischplatte. Braun lässt mir aber keine Zeit. Ich müsse xx xxx € – einen fünfstelligen Betrag - hinterlegen. - So viel habe ich nicht. - Wieviel ich schnell auftreiben könne? - Einen niedrigeren Betrag? - Das ginge auch. Kurz kommt die weinende Frauenstimme noch mal ans Telefon, bis nach wenigen Sekunden die Kripobeamtin eingreift und erneut erklärt, S. werde jetzt psychologisch betreut.
Jetzt folgen sehr exakte Handlungsanweisung, denen ich im Folgenden - völlig durcheinander - genauso exakt folge. Dadurch werde ich entlastet, selbst Entscheidungen treffen zu müssen, was ich auch durch meinen aktuellen Gesundheitszustand nicht konnte.
1. Ich dürfe mit niemandem reden, da S. vermeiden wolle, dass etwas in die Presse kommt.
2. Ich solle das Geld beim Amtsgericht übergeben. Da ich erkläre, dass ich wegen einer Behinderung nicht laufen kann, und am Amtsgericht auch keine Parkmöglichkeit besteht, schlägt er anderes vor.
3. Sie würden mich auf dem Handy anrufen – ich weiß nicht mehr, ob ich die Nummer angegeben habe – und ich dürfe das Handy nicht ausschalten, sonst würde S. gefährdet.
4. Ich müsse zur Bank fahren und das Geld abheben. Dort solle ich auf Fragen der Angestellten, wofür ich so viel Geld brauche, sagen, ich wolle ein Auto kaufen.
5. Vor der Bank würde mir per Handy ein Treffpunkt für die Geldübergabe genannt. Ich würde auch eine Quittung bekommen.
6. Es setzt eine Art Hyperaktivität ein. Ich klaube die Fahrzeugpapiere, Personalausweis und Bankkarte zusammen und mache mich auf den Weg.
Im Flur begegne ich meiner Frau, die gerade nach Hause kommt. In Eile sage ich ihr, ich müsse schnell weg und ich dürfe nicht mit ihr reden. Dann sitze ich im Auto auf dem Weg zur Bank. Zwischendurch kommen aus dem Handy immer wieder besorgte, immer heftigere Fragen, ob ich wirklich allein sei. Zuletzt reagiere ich wütend.
Jetzt setzt ein neuer Prozess bei mir ein. Ist das am Ende ein Enkeltrick? Oder ist S. wirklich in Gefahr? Hin und her, her und hin. Jetzt fällt mir die Nervosität der "Kripobeamtin" auf. Je länger die Autofahrt dauert, desto größer werden meine Zweifel. Durch Zufall komme ich an einer Polizeiwache vorbei. Da fällt mein Entschluss. Ich biege links ab, fahre vor die Wache, steige aus, gehe mit dem Handy in der Hand rein. Die Beamtin am Schalter checkt die Situation: Stellen Sie schnell das Handy aus. Wieder bin ich froh, dass mir jemand sagt, was ich tun kann. Sofort kommen immer wieder neue Anrufe, die ich gleich wegdrücke. Offensichtlich soll mein Handy blockiert werden. Ich rufe zur Sicherheit erst mal S., dann meine Frau an und gebe „Entwarnung“. Bevorzugt nimmt ein Beamter meine Anzeige auf. Und sagt immer wieder: „Das ist typisch. Gut, dass Sie zu uns gekommen sind!“
Klar ist: Die Polizei würde nie einen solchen Fall telefonisch bearbeiten, sondern ins Haus kommen. Das Feilschen um die Höhe des Betrags – völlig unglaubwürdig. Haft bei S. eher ausgeschlossen (geordnete Verhältnisse). Die Kaution, das Schweigegebot, die lückenlose Kontrolle, die Lüge mit dem Autokauf, Geldübergabe auf einem Parkplatz – alles aus dem Werkzeugkoffer von Erpressern!
Es gibt einige Gründe für mein Verhalten: Der Schock, das selbstbewusste Auftreten der „Kripobeamtin“ und des Staatsanwalts, ihre Flexibilität, die exakten Handlungsanweisungen, eine perfekte Inszenierung, psychologische „Kriegführung“ und immer wieder der erste und andauernde Schock!
Ich wusste und weiß, dass alles, was die Erpresser behauptet haben, Lügen waren. An mehreren Stellen hätte ich stutzen müssen. Ich tat es nicht, schlicht weil ich unter Schock stand und in einer labilen Lage war!
Ich halte mich für einen rationalen Menschen. Das Beispiel zeigt, wie brüchig dieser Schild ist. Einige gezielte Stiche brechen ihn auf. Aber unter dem Druck war immer noch rationales Handeln möglich: Mitnahme der Papiere, Autofahrt. Nur die Grundannahme - S. ist in Gefahr; Hilfe scheint möglich – wurde nicht angezweifelt. Ein erschreckendes Szenario. Ich hätte es vorher so niemals für möglich gehalten.
Nachtrag: Drei Monate später bekomme ich eine E-Mail: Kinderpornografie im Internet sei strafbar. Ich sei verdächtig und solle …. Was, habe ich nicht gelesen, weil ich die E-Mail sofort gelöscht habe.
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