Donnerstag, 20. Juni 2024
Zwischenruf: Der Witz des Monats
Die Freie Hansestadt Bremen ist das „Armenhaus der Republik“. Der Anteil Armer und ganz Armer ist gemessen an der Einwohnerzahl besonders groß. Das zeigt sich nicht zuletzt an der stetig anwachsenden Zahl von Bettlern, überwiegend Obdachlose, im öffentlichen Leben. Die stammen nicht nur aus der eigenen Bevölkerung, sondern zu einem großen Anteil aus Zugewanderten aus dem In- und Ausland. Der Grund dafür liegt an der relativen Liberalität der Stadt, die sich auch unter Flüchtlingen herumgesprochen hat. Nicht nur die allenthalben sichtbare individuelle Armut ist groß, sondern auch die öffentliche des Staates. Das ist nicht witzig.

Die Freie Hansestadt Bremen ist auf der anderen Seite überproportional reich. In ihren Mauern leben ca. 150 Einkommensmillionäre, d.h. sie haben ein jährliches Einkommen von mind. einer Million. Diese zahlen häufig die niedrigsten Steuern. Hinzukommt Vermögen in Form von Wertpapieren, Immobilien und Sachwerten (Autos, Pelze, Schmuck u.a.). Das ist auch nicht witzig.

Nun beschweren sich immer öfter nicht nur die Reichen, sondern auch Normalbürger und Touristen über das teils aggressive Betteln der Armen. Da sah sich der rot-grün-rote Senat gezwungen, dagegen vorzugehen. Aggressives Betteln soll unterbunden werden. Ordnungsamt und Polizei sind mit der Kleinarbeit beauftragt. Was wirklich zu nützen scheint, ist eine Verordnung, nach der das Delikt mit Bußgeld bis 500 € bestraft werden kann. Das ist ein ganz schlechter Witz.

Der hohe Senat soll den Bürgern mal erklären, woher ein aggressiver Bettler 500 € bekommen soll. Durch Betteln lässt sich das nicht machen. Ich wäre nicht überrascht, wenn das nicht gezahlte Bußgeld durch Freiheitsstrafe ersetzt werden soll. Das wäre eine teure Methode. Ein Hafttag kosten den Staat 200 €. Die Ersatzstrafe für nicht gezahltes Bußgeld für Schwarzfahren soll aus gutem Grund grade abgeschafft werden.

Bremen ist Schilda.

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Mali – Das „afrikanischste Land“ - Reisebericht 2008. (3) Vierter Tag - Ségou
Wir besuchen das Festival der Puppen und Masken. Unter einem kleinen Dach (gegen die Sonne) werden traditionelle Zeremonien und kleine – wohl teilweise mythische – Theaterstücke mit farbigen, skurrilen Masken und Kostümen aufgeführt. Das ist keine folkloristische Veranstaltung für Touristen (wie wir sie später im Dogon-Land präsentiert kriegen), sondern wirklich von Afrikanern für Afrikaner gemacht. Das Publikum ist wieder bunt: viele Frauen mit Kleinkindern auf dem Rücken, schön angezogen, jede Menge Kinder und nur ganz wenige Europäer. Tagsüber ist der Zugang zum Festival frei, nur abends muss man Eintritt bezahlen (bei uns im Preis inbegriffen, wir sind durch farbige Plastik-Armbänder gekennzeichnet) und die Kontrollen sind genau. Ich fotografiere viel, obwohl ich nur selten gute Sicht auf die Szene und unter dem Schatten spendenden Dach schlechtes Licht habe. Den Sinn der Darbietungen verstehe ich nur, wenn vorher erklärt wird, worum es gehen soll.

Bemerkenswert: hier treffen wir öfter Behinderte in einfach aus Fahrradteilen gebauten Rollstühlen, Handkurbel mit Kettenübertragung aufs Vorderrad, mit ihren großen Rädern gut geeignet für die Gegebenheiten, „geländegängig“ und schafft wohl auch Arbeitsplätze im Handwerk. Später an der Fähre, als wir von Timbuktu wieder wegfahren, sehen wir einen Behinderten, der auf Kniehöhe im Staub kriecht. Felix’ Kommentar: „Es gibt noch viel zu tun. Wenn man sich vorstellt, ein Leben lang im Staub zu kriechen.“

Nachmittags wollen wir das Bootsrennen auf dem Niger von der Festivaltribüne beobachten. Ich gehe am – nicht durch ein Geländer gesicherten – Tribünenrand und will um eine Dachstrebe herumgehen. Die ist unten nicht befestigt, reißt weg, ich stürze ca. einen Meter runter, pralle mit dem Schienbein gegen die Kante, heftiger Schmerz, und Blut läuft unten aus der Hose. Gelächter von deutschen Touristen auf den oberen Rängen. Sofort kommen mehrere afrikanische Helfer auf mich zu, kümmern sich um mich; eine junge Frau bringt uns zur Sanitätsstation, wo ich verarztet werde (auf dem Lehmboden, Tisch oder Liege gibt es nicht). Sehr nette, besorgte Leute, erkundigen sich anschließen wie „Bonne santé“ auf Deutsch heißt und wünschen mir „Gute Besserung“. Nous sommes ensemble! Wenn die nur auch bei uns so freundlich behandelt würden!

Schließlich gibt’s das Bootsrennen: farbenprächtig geschmückte Pirogen oder Pinassen (wo ist der Unterschied?) mit ca. 20 Mann Besatzung konkurrieren um den Sieg auf einem Dreieckskurs. Es gibt mehrere Läufe, weil nicht alle Boot gemeinsam starten können. Die Stimmung bei den afrikanischen Zuschauern ist gut, sie applaudieren für die Sieger und auch die Verlierer.

Abends sind wir dann wieder beim Konzert und hören Yoro Diallo, Les Espoirs de Corinthie (Guinea) und Bassékou Kouyaté. Heute sind 20.000 Besucher hier. Das Gedränge ist teilweise beängstigend, aber es geht alles friedlich und harmonisch zu.
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ALI FARCA TOURÉ
ist einer der in Mali, Amerika und Europa bekanntesten malischen Musiker. Geboren 1939 in Kanau am Niger, spielte er Gitarre, wurde von Ry Cooder bei uns bekannt gemacht. Cooder hatte schon den Bona-Vista-Social-Club in Havanna entdeckt und Wim Wenders für seinen Film inspiriert hat. Ali Farka Touré war zugleich Bürgermeister der kleinen Stadt Niafunké am Niger. Seine CDs „Talking Timbuktu“, „Savanne“, „In The Heart of The Moon” wurden weltberühmt und mit internationalen Preisen ausgezeichnet, u.a dem Grammy. Durch seinen Ruhm wurden auch andere malische Musikerinnen und Musiker bei uns bekannt – Boubacar Traoré, Salif Keita, Madina Ndiaye, Habib Koité, Toumani Diabaté. Ali Farka Touré starb 2008 in der Hauptstadt Bamako.
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SÉGOU
hat ca. 130.000 Einwohner und ist bekannt für seine Fischindustrie und den Fischmarkt. Daneben gibt es Textilindustrie und Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte u.a. Milch. Auffällig sind der Wasserturm im Stadtzentrum uns zahlreiche Häuser im Kolonialstil. Das seit 2005 jährlich im Februar stattfindende Festival sur le Niger mit afrikanischen und außerafrikanischen Musikergruppen zieht neben afrikanischem Publikum auch europäische Besucher an. Das Volk der Bozo gründete Ségou um 1620. Sie war Hauptstadt des im Jahr 1712 gegründeten Königreichs Bambara, das bis 1861 bestand. Dann wurde es durch muslimische Truppen erobert. Das historische Ségou („Segou-Koro“) mit dem Königsgrab befindet sich etwa 10 km südwestlich des heutigen Stadtzentrums.
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(Fortsetzung folgt)

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