Donnerstag, 23. Februar 2023
Fakten-Büffeln – falsches Mittel in der politischen Bildung
Dreiviertel der jungen Leute finden es wichtig, sich mit der Vergangenheit, besonders mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Ein schöner Erfolg der jahrzehntelangen schulischen und außerschulischen politischen Bildung! Damit können wir sehr zufrieden sein, ohne uns tatenlos zurückzulehnen. Politische Bildung ist ein permanent notwendiger Prozess.

Nun scheinen die Statistiker der Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“ von Pädagogik nicht viel zu verstehen. Der bisherige Erfolg ist nicht erreicht durch das Einpauken von Zahlen und Fakten, sondern durch Entwickeln eines Problembewusstseins und einer Haltung. Dieses Ergebnis darf auf keinen Fall gefährdet werden, indem Namen, Daten und Ereignisse gebüffelt werden. Wie wir Älteren aus der Schule wissen, verdirbt diese Paukerei die Lust an Erkenntnissen und Kritik. Theorie und Praxis der politischen Bildung haben das lange erkannt. Wenn aus irgendeinem Grund sog. Fakten wichtig werden, kann jeder sie schnell in Internet und Lexika herausfinden. Auswendiglernen ist das grundfalsche Mittel, das Erreichte zu stabilisieren.

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Eins geht nicht ohne das andere
Das Problem dabei ist, dass dass man für das Herausfinden von Fakten aus Internet und Lexika einen Grundvorrat an Orientierungswissen braucht - also das, was Sie als Problembewusstsein umschreiben. Und dieses Problembewusstsein ist ohne eine breite Faktenbasis nicht zu haben, sonst läuft man in die Irre, weil man die in Lexika und Internet gefundenen Fakten nicht in eine vernünftige Relation zueinander bringen kann.

All die Coronakritiker und selbsternannten Virologen haben es uns ja kürzlich erst vorgemacht, wie man aus überwiegend korrekten Fakten den letzten Schwachsinn zusammenmixen kann, wenn man nur ahnungslos genug ist und seine eigenen spontanen Gefühlsregungen aufgrund fehlenden Basiswissens für ein Problembewusstsein hält.

Oder (um zum Thema zurückzukommen) denken Sie an junge Leute, die - weil sie keine Fakten büffeln wollen - ihr historisches Wissen über den Nationalsozialismus lieber aus einem Machwerk wie "Der Junge im gestreiften Pyjama" beziehen ...

Problembewusstsein und Wissensaneignung: Eins ergibt eben ohne das andere keinen Sinn.

Ja, grundsätzlich sind wir nicht so weil auseinander. Ich warne nur davor, stumpfe Büffelei wieder einzuführen. Meine jahrzehntelange Erfahrung in der außerschulischen Bildung hat mir gezeigt, wie falsch die Lehrer oft lagen.
jf.

Als Leserbrief veröffentlich in WK 01.03.23

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