Dienstag, 15. November 2022
Jürgen Seevers ist tot
Zuletzt trafen wir uns im September 2016 auf der Bundesdelegiertenversammlung des Bund Deutscher PfadfinderInnnen in Bremen. David Templin stellte sein Buch "Freizeit ohne Kontrollen" über die Jugendzentrumsbewegung vor. Jürgen Seevers und ich waren als Zeitzeugen eingeladen, die die JZ-Bewegung - er in Niedersachsen, ich auf Bundesebene - seinerzeit halfen zu vernetzen.

Jürgen kam aus der Bewegung in der niedersächsischen Provinz, hatte tausend Kontakte und kannte - fast - alle Details sowohl in einzelnen Häusern wie in der Bewegung.

Irgendwann nahm er Kontakt zu den Pfadfinderfreunden in Bremen/Niedersachsen auf, die ebenfalls JZ durch Seminare, Treffen und Pfingstlager unterstützen.

Konsequent nahm er auch Kontakt zum Bundesverband auf, und so begegneten wir uns. Schnell waren die Bremer/Niedersachsen und der Bund einig, dass Jürgen als "Regionalsekretär" ein bescheidenes Honorar bekam und so "hauptamtlich" seine Arbeit im BDP fortsetzen konnte.

Wir trafen uns auf einer zweiten Schiene. Jürgen wie ich waren Zeitsoldaten im Abstand von ca. zehn Jahren gewesen und engagierten uns inzwischen in der antimilitaristischen Bewegung. Auch auf diesem Gebiet verfügte er über umfangreiche Kontakte. Von ihm kam die Idee, einen bundesweiten Kongress antimilitaristischer Gruppen durchzuführen. Das Treffen fand im März 1977 im Jugendhof Bessunger Fortst mit ca. 60 aktiven Soldaten - überwiegend Wehrpflichtige - und Reservisten statt und diente dem Erfahrungsaustausch antimilitaristischer Gruppen und Individuen in der Bundeswehr und außerhalb.

Eine dritte Schiene ergab sich, als ich 1978 meine Tätigkeit im Jugendhof Steinkimmen begann. Für mich war klar: ich wollte auch von hier aus die JZ-Bewegung unterstützen. Jürgen stand sofort als Teamer zu Verfügung und brachte wiederum seine zahlreichen Kontakte mit ein.

Später trennten sich unsere Wege wieder, aber wir haben uns nie ganz aus den Augen verloren. Jürgen konzentrierte sich auf die Entwicklung von Konzepten für sanften Tourismus, zunächst im Elbe-Weser-Dreieck, zunehmend auf ganz Niedersachsen ausgedehnt.

Diese Arbeit wurde nun jäh durch seinen überraschenden Tod unterbrochen.
Jürgen war ein Freund, ein guter Kollege und Pfadfinder im besten Sinn: er suchte und fand immer wieder neue Pfade, die die linke Bewegung voranbrachten.

Ich werde ihn vermissen!

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Bekämpfung des Reichtums statt "Armuts-Bekämpfung"!
Schon wieder ein Armutsbericht, der einem die Tränen in die Augen treibt. Schon wieder eine Niederlage im "Kampf gegen die Armut". Wie wäre es, wenn man es nach dem jahrzehntelangen Scheitern der Armutsbekämpfung mal mit der Bekämpfung des Reichtums versuchte?

In Deutschland gibt es Menschen mit insgesamt mehr als 5 Billionen Euro Privat-Vermögen, die neben Immobilien, Edel-Limousinen, Juwelen, Fabriken und Pelzmänteln mal eben mindestens eine Million Barvermögen halten. Alles zusammen über 50 Milliarden Euro. Allein von den Zinsen könnte man locker die Ausgaben für Sozialhilfe - 160 Millionen Euro - bezahlen.

Allein in Bremen, dem Armenhaus der Republik, leben 160 Einkommens-Millionäre, also Menschen, die eine Million und mehr pro Jahr kassieren, mit steigender Tendenz. Dass man so viel Geld nicht mit seiner Hände Arbeit verdienen kann, leuchtet unmittelbar ein. Statt Armuts-Bekämpfung ist daher eine Reichtums-Bekämpfung dringend geboten. Wie wäre es, wenn man mal mit der längst überfälligen Erhöhung des Spitzensteuersatzes anfangen würde? Denn da nimmt Deutschland einen der letzten Plätze in Europa ein.

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Ludendorff in Dorfmark
Alljährlich trifft sich die rechtsextreme Sekte des "Bund für Gotterkenntnis" im kleinen Heidedorf Dorfmark.

"Bund für Gotterkenntnis." Dahinter verbirgt sich die Anhängerschaft von Margarethe (1875 - 1936) und Erich Ludendorff (1865 - 1937).

Margarethe - von Beruf Ärztin - fabulierte in ihrer Freizeit über Religion und konstruierte eine absurde Lehre, in der u.a. Antisemitismus und Gegnerschaft gegen Freimaurer und Jesuiten eine wichtige Rolle spielen.

Ihr Mann Erich war neben Hindenburg DER Held im 1. Weltkrieg. Anschließend verbündete er sich mit Hitler zum gescheiterten Putsch von 1923, dem sog. "Marsch auf die Feldherrnhalle" in München.

Seinen bekannten Namen nutzte Frau Margarethe als Aushängeschilt für ihre Lehre.

Als Hitler 1934 alle Konkurrenz durch Verbot, Verfolgung und Mord (z.B. beim sog Röhm-Putsch) ausschaltete, fiel auch die Ludendorff-Sekte darunter. Ludendorff rühmte sich später 1936 einer "Aussprache" mit Hitler, aber das Verbot blieb bestehen.

Schnell wurde nach 1945 die "Bewegung" reaktiviert. Unter dem Titel "Bund für Gotterkenntnis" sammelten sich ehemalige Nazis.

In meiner Geburtsstadt Kiel nannte sich die Organisation "Freisinnige Elternschaft", der meine Eltern angehörten. Diese führte als Ersatz-Konfirmation die "Jugendleite" mit vorbereitendem Unterricht ein, an dem ich teilnahm. Anfang der 50er Jahre wurde eine Jugendgruppe "Sturmvogel" gegründet und ich Mitglied. Die Frau, die die Gruppe als "Führerin" leitete, war ehemalige BDM-Führerin, was sie wohl ausreichend qualifizierte.

Dort begegneten mir neben traditionellen Aktivitäten wie Sonnenwendfeuer, Wanderungen und Radtouren an Wochenenden und in den Ferien u.a. die Polemik gegen Freimaurer und Jesuiten; den Antisemitismus haben sie sich damals wohl noch nicht getraut. Ich wurde zum "Unterführer" ernannt.

Nach ca. zwei Jahren trat ich aus, weil ich mich - damals dreizehnjährig - als Unterführer überfordert sah. Später habe ich die Schriften der Margarethe studiert; sie stellten sich als kruder Quatsch heraus.
Gegen das Treffen in Dorfmark finden sich jährlich Antifaschisten unterschiedlicher Couleur zu Demos und Kundgebungen ein. Dieses Jahr war ich dabei.

Ein junger Mann - Funktionär der Jungsozialisten - hielt eine engagierte Rede, in der er u.a. behauptete, die Kinder der Ludendorffianer würden indoktriniert und für ihr Leben geprägt.

Daraufhin meldete ich mich zu Wort. Ich hielt dagegen, dass ich das lebende Beispiel dafür bin, dass ein solcher Mechanismus nicht zwingend ist. Mein Lebensweg führte trotz Ludendorff und Sturmvogel, trotz meines Elternhauses in eine andere Richtung, und ich habe mich in den letzten fünfzig Jahren aktiv antifaschistisch engagiert.

Bedenklich finde ich, dass ein demokratischer - hoffe ich doch - Jugendfunktionär eine derart mechanistische Sicht auf Jugendliche hat. Demokratische Jugendarbeit darf keine/n Jugendliche/n zurücklassen.

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Axel Erdmann ist tot
Am Donnerstag haben wir noch telefoniert und uns für Montag beim Isensee-Verlag verabredet. Am Freitag morgen bekam ich die traurige Nachricht, dass Axel in der Nacht gestorben ist.

Axel hat mich Anfang 2011 als freien Mitarbeiter an die Evangelische Familienbildungsstätte Delmenhorst geholt, weil ich eine Geschichtswerkstatt leiten sollte. Wir sollten die Delmenhorster Geschichte nach 1945 bearbeiten. Axel hat dieses Projekt die ganze Zeit begleitet, und aktiv unterstützt, Kontakte gemacht, uns Lesungen ermöglicht, das Buchprojekt, das kurz vor seiner Drucklegung steht, vorangetrieben, sich um die Finanzierung gekümmert.

Ich kenne Axel seit 1970, als wir ein Seminar des Bund Deutscher Pfadfinder in Berlin durchführten. 1978 trat ich meine Stelle beim Jugendhof Steinkimmen an. Kurz darauf bekam er eine ABM-Stelle bei der Evangelischen Kirche zur Betreuung von arbeitslosen Jugendlichen. Seitdem sind wir im lockeren Kontakt geblieben.

Axel verfügte über eine solide Bildung, war vielseitig interessiert, kannte die kirchlichen Strukturen und wusste sie für die Bildungsarbeit zu nutzen. Sein kritischer Geist war nicht immer allen willkommen. Oft war er unserer Zeit voraus mit kreativen Ideen und Plänen. Er wusste sie aber umzusetzen, manchmal mit Verzögerung.

Sein besonderes Interesse galt dem "Kampf gegen rechts". Antifaschistisches Handeln als Voraussetzung und Ergebnis politischer Bildung war seine Richtschnur. An diesem Punkt trafen wir uns. Immer wieder hat er das Forum der Delmenhorster Stadtkirche dafür genutzt. Ich erinnere die Veranstaltung zum Thema -Neonazis im Nadelstreifen- mit Andrea Röpke und Andreas Speit. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Das war das Resultat von Axels Bemühungen, ein möglichst breites Spektrum von Veranstaltern zu versammeln. Darin war er wirklich gut.

Axels plötzlicher Tod hinterlässt eine große Lücke. Ich werde ihn sehr vermissen! Mein Mitgefühl gilt seiner Frau Gisela.

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Die Dauer des Augenblicks - Ein fotopädagogisches Handbuch -
Beim Kopäd-Verlag vergriffen, verfügbar sind eventuell nur noch Mängelexemplare. Bei Amazon wird ein einziges gebrauchtes Exemplar für 49 € angeboten. Im Internet wird das Buch von Praktikern sehr gelobt: Kommentare auf https://www.oly-forum.com:

"Echt Klasse" - "Super" - "Sehr interessante Literatur" -"Mal wieder ein Lesestoff für`s Wochenende" - "Nach dem Lesen auch von mir ein Dankeschön" -"Interessante Lektüre"

... und auf https://digitalfotograf.com: "habe einen interessanten Lesestoff zum Thema Bildgestaltung, Bildsprache, Komposition gefunden."
"...ich fand das Thema sehr gut zusammengefasst, so dass doch das eine oder andere wieder aus dem Hinterstübchen hervorgekramt wurde. Insofern lohnt sich, immer wieder einmal nachzuschlagen.



Nun ist das Buch als CD in völlig neuer Bearbeitung und aktualisiert verfügbar. Preis 10 € inklusive Porto und Verpackung. Bezug per E-Mail jürgen.fiege@nord-com.net auch als down-load unter https://www.kunst-fotografie.com/

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Sublimer Antisemitismus
In meiner Jugend der 50er Jahre wurde Anne Frank unter uns zum Thema. Weniger bei mir, als vielmehr bei den Mädchen in der Nachbarschaft. Ich hatte den Namen und ganz wenig über ihr Schicksal und das Tagebuch gehört. Für die Mädchen dagegen war das Schullektüre gewesen. Auf meiner reinen Jungen-Schule kam das wohl nicht in Frage, genauso wenig wie all die anderen damals wichtigen AutorInnen.

Und was diskutierten die Mädchen? Anne Frank habe ja schon so früh für Jungs geschwärmt, aber das sei ja wohl bei den Juden (lies Jüdinnen) so, die seien ja eher frühreif. So habe es die Lehrerin erklärt.

Sublimer Antisemitismus selbst bei der Lektüre DIESES Buchs.

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Samstag, 12. November 2022
Politik-Verdrossenheit
Das Gezerre um das Bürgergeld ist unerträglich, vor allem für die, die davon leben müssen. Die SPD in Person Bundesarbeitsminister Heil will den Skandal Hartz-IV ausgleichen und die Bedingungen für die Erlangung des Bürgergelds für Bedürftige aktualisieren. Und die CDU/CSU jammert, das würde der Faulheit Vorschub leisten. Die Empfänger sollen gefordert werden: Z.B. erst ihr Barvermögen aufbrauchen, ehe sie einen Antrag stellen können. Selbst kleine Versäumnisse sollen mit Leistungskürzungen bestraft werden, usw.

Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalition das Gesetz verabschiedet. Es muss aber noch den Bundesrat, die Länderkammer, passieren, und da haben die "Christlichen" die Mehrheit und wollen das Gesetz blockieren.

Der "kleine Mensch" nimmt das nur als Gezerre "derer da oben" wahr, er muss weiter warten, bis sich etwas entscheidet, das ihn betrifft, und mit Recht fürchtet er, dass es zu seinen Ungunsten ausgeht.

Die daraus resultierende "Politik-Verdrossenheit" äußert sich bei Wahlen durch niedrige Wahlbeteiligung. Populisten in der AfD und auch in Teilen der CDU/CSU kochen auf dem Feuerchen ihre Suppe.

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Anteilnahme ohne Merz
OK, es ist schon einige Wochen her, dass Friedrich Merz (CDU-Bundesvorsitzender), gegen Ukraine-Flüchtlinge als "Sozialflüchtlinge" hetzte.

OK, es ist nicht ganz so lange her, dass er sich entschuldigte, sozusagen "verbale Reue" zeigte.

Es ist noch weniger länger her - ein bis zwei Wochen - dass Flüchtlings-Unterkünfte brannten, zuletzt in Bautzen, vorher in Krumbach, in Großströmkendorf und Leipzig. In Bautzen erschienen sofort der sächsische Innenminister, der Bürgermeister und der Landrat und äußerten sich betroffen und schockiert.

Die Polizei zählt 2022 bis September 65 Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten. Dazu kommen bisher über 700 Straftaten außerhalb von Unterkünften.

Es wäre ein Zeichen "tätiger Reue", wenn Merz nur an EINEM der Tatorte erscheinen würde oder wenn er an den Trauerfeierlichkeiten zum 30. Jahrestag des tödlichen Brandanschlags in Mölln teilnähme.

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Donnerstag, 10. November 2022
Antisemitismus-Vorwurf als moralische Keule
Die Siedlungspolitik israelischer Regierungen sei "verbrecherisch dumm". Das sagt kein ausgemachter Antisemit, sondern Micha Brumlik, deutscher Jude und Professor (taz 07.02.2017).

In der gleichen taz-Ausgabe wird über eine Auseinandersetzung an der Hamburger Uni berichtet. Ein südafrikanischer, islamischer Theologe und Gastdozent in Hamburg, Farid Esack, vertritt die Ansicht, israelische Produkte sollten boykottiert werden, solange die israelische Siedlungspolitik in den besetzten palästinensischen Gebieten fortgesetzt wird.

Für einen solchen Boykott spricht viel, vor allem aus südafrikanischer Perspektive. Dort trug der internationale Boykott wesentlich zum Sturz des Apartheit-Systems bei.

Nun empören sich in ungewohnt trauter Eintracht Politiker aus AfD (!), CDU und Grünen: ein Boykott gegen Israel sei "antisemitisch", also zu verurteilen. Esack sei in Hamburg fehl am Platz.

Vor nicht langer Zeit ereignete sich ein ähnlicher Vorgang an der Uni Hildesheim. Auch dort arbeitete eine Lehrbeauftragte und bot ein Seminar über Palästina und die israelische Besatzungspolitik an. Sie wurde entlassen.

Die Moralkeule, jede kritische Äußerung über israelische Politik als "antisemitisch" zu verteufeln, hat fatale Auswirkungen: die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt, rationale Kritik an der israelischen Regierung diszipliniert.

Antisemitismus ist eine Sichtweise, die sich gegen eine komplette Bevölkerung - nicht nur in Israel, sondern weltweit - richtet, ist also rassistisch. Kritik an konkretem Regierungshandeln Israels hat damit rein gar nichts zu tun!

Internationale Kritik an der Siedlungs- und Anektions-Politik wurde durch die UNO und die EU vorgebracht. Alles Antisemiten? Wohl kaum.

Dass selbst Volker Beck von den Grünen in das Horn stößt, ist zutiefst enttäuschend.

Ich habe mich Jahrzehnte lang für deutsch-israelische Kontakte eingesetzt, mir aber das Recht nie nehmen lassen, israelisches Regierungshandeln, insbesondere hinsichtlich der besetzten Gebiete, zu kritisieren. Gerade unter Freunden muss ein offenes Wort der Kritik möglich sein. Wieso eigentlich bei Israel nicht?

Zum Glück gibt es Menschen wie Micha Brumlik, der ja nun ganz und gar unverdächtig des Antisemitismus ist!

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Ist Kritik an israelischem Regierungshandeln antisemitisch?
Ein Buch wirbelt ideologischen Staub auf: Charlotte Wiedemann, "Den Schmerz der anderen begreifen". Es diskutiert in Essays und Reportagen die Frage, "wie eine deutsche Erinnerungskultur den Holocaust im Zentrum behalten kann, sich aber gleichzeitig entwickeln und für die Erinnerung an anderen Menschheitsverbrechen öffnen kann". (taz 10.11.22) Explizit wird dabei auch das Genozid, das deutsche Kolonialtruppen im heutigen Namibia anrichteten, beschrieben.

Auch die Vertreibung und die Massaker an palästinensischen Arabern behandelt das Buch. Voraussehbar kommt Kritik, ja der Vorwurf des Antisemitismus auf. "miniaturen" hat über die Problematik bereits früher geschrieben. Aus aktuellem Anlass geben wir zwei der Beiträge noch einmal wieder.

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Bei Schmuck und Uhren lassen es die Reichen krachen
Der stationäre Einzelhandel beklagt Umsatzeinbrüche aufgrund der Energiekrise und der Inflation. So meldeten die Einzelhändler bei Bekleidung -11%, bei Büchern -21%, bei Spielwaren -17,5%. Für Lebensmittel gab es keine Angaben, vielleicht weil die Verbraucher da nicht als erstes sparen. Die Unterhaltungs-Elektronik büßte 7,4% ein, der Schuhhandel 4,9%. Das sind Waren, die man nicht alle Tage kauft.

Dagegen wurde für Uhren und Schmuck ein Plus von stolzen 17,8% gemeldet. Kunden, die so etwas kaufen, gehören garantiert nicht zu den ärmeren, sondern genauso sicher zu den wohlhabenden oder reichen Menschen. Die müssen weder beim Essen noch bei Büchern - wenn sie die überhaupt lesen - sparen. Dafür kann man bei Schmuck und Uhren schon mal bedenkenlos zulangen.

Diese Fakten beweisen erneut, wer von der Krise profitiert und dass es die weniger Bemittelten besonders trifft. Aber: Eigentlich bedarf es eines Beweises gar nicht, denn die Widersprüche zwischen Arm und Reich sind auch so offensichtlich. Das relativiert die unsägliche Debatte um das Bürgergeld, das die CDU unbedingt verhindern will.

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Donnerstag, 3. November 2022
Leistung lohnt nicht, nur Nichtstun
Nur mal so und nur z.B.: In der Pandemie schüttete der Staat Millionen Steuergelder an die großen Autokonzerne und an die Lufthansa aus, als Ausgleich für Kurzarbeit. Die investierten das Geld nicht etwa in Innovationen oder so, sondern gaben es weiter an die Aktionäre oder Chef-Manager als Boni. Allein die Familie Quandt, Hauptaktionäre bei BMW, kassierte Millionen als Dividende, ohne einen Finger zu rühren. Umverteilung von unten nach oben, während Otto Normalverdiener unter der galoppierenden Inflation und steigenden Miet- und Energie-Kosten stöhnte!

Beim Tankrabatt in der Ukraine-Krise wiederholte sich das Trauerspiel. Abschöpfen von Zusatzgewinnen, Übergewinnsteuer, Vermögenssteuer, Verbot von Bonuszahlungen, höhere Steuern auf große Erbschaften und Schenkungen - Fehlanzeige.

Allein 2019 wurden die 127 größten Schenkungen von insgesamt 12 Milliarden Euro mit nicht einmal 1 % besteuert, während kleinere Erbschaften häufig mit 30 % besteuert wurden.

Gleichzeitig meckert die CDU über das neue Bürgergeld: Arbeitslose müssen ihr Erspartes ausgeben, bevor sie Stütze bekommen.

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Sonntag, 30. Oktober 2022
Ideologie und Liberalismus
Christian Lindner, BM Finanzen, wildert mal wieder in fremdem Revier. Er weiß nämlich, dass Fracking ganz ungefährlich ist, daher in Deutschland wieder erlaubt werden soll, und das gegen alle "ideologischen Vorbehalte", womit zweifellos die Ökologen, besonders die Grünen gemeint sein müssen.

Nun sind die Vorbehalte gegen Fracking weniger ideologisch als vielmehr wissenschaftlich begründet. Die von Lindner als "ungefährlich" abgetane Gefährdung des Grundwassers ist von Fachleuten bestätigt, ebenso die Bedenken, dass Fracking Verwerfungen, sogar Erdbeben verursachen, dass die verwendeten Chemikalien hoch giftig sind, wie Geologen, Chemiker, Biologen bestätigen. Aber "Fachmann" Lindner weiß es besser und reklamiert den Pragmatismus und die Ideologiefreiheit für sich.

WELCH EINE VERDREHUNG: Nicht die Ökologie, sondern der Wirtschafts-Liberalismus ist die Ideologie und zwar gegenwärtig die weltweit gefährlichste. Unter der Tarnkappe "Freiheit" wird dem Profit, der grenzenlosen privaten Bereicherung, der Plünderung des Planeten durch Europa und Nordamerika zu Lasten des globalen Südens Vorschub geleistet.

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Samstag, 29. Oktober 2022
Unfähige Bundesminister
Neulich auf dem CSU-Parteitag: Söder wettert gegen die Ampel-Koalition. Noch nie habe es eine so schlechte Bunderegierung geben. Und er ergänzt mit einigen allgemeinen Vorwürfen, die nicht konkretisiert werden. Diese Methode hat er dem Strauß abgeguckt.

So, nun mal im Detail: Allein das Versagen von CSU-Bundesministern spricht eine andere Sprache. Scheuer in der Rolle des Verkehrsministers verballert eine halbe Milliarde für ein aussichtsloses Projekt (Autobahnmaut für PKW); Steuergeld, das er ohne Beschluss des Bundestages gar nicht ausgeben DURFTE. Schon sein Vorgänger Dobrindt (CSU) hatte auf das tote Pferd Maut gesetzt und war - vorausehbar - donnernd gescheitert.

Dann Söders Vorgänger Steuber, der keinen kompletten Satz verständlich beenden konnte, der meistens sowieso inhaltsleer war. Strauß war mehrfach Bundesminister (BM für besondere Fragen, Verteidigung, Finanzen). Aus dem Verteidigungsministerium wurde er mit Schimpf und Schande wegen der "Spiegel"-Affäre, in der er
mehrfach illegal handelte, aus dem Amt gejagt.

Dann der Herr Zimmerman, der 1982 als Minister für Telekommunikation erstens für die fatale Einführung des Privatfernsehens und zweitens für die Verhinderung des Glasfaserkabels zuständig war (s. miniaturen vom 22.11.20 und vom 06.12.21).

Genügt das, um die Unfähigkeit von CSU-Ministern nachzuweisen?

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Service à la DHL
Neulich klingelte früh morgens der Paketbote an der Tür. "Ein Paket für Sie." Das Paket entpuppte sich als dicker Briefumschlag von einer Schweizer Freundin. Als ich hoch erfreut danach greifen wollte, zog der Bote es zurück: "Das koste Zoll, 9,23 Euro ".- Ich drehte mich um, ging die Treppe hoch, um das Portemonnaie zu holen. Wieder an der Haustür musste ich erfahren, ich müsse es passend haben, er habe kein Geld zum Wechseln. Ich überrascht: "Kassieren ohne Wechselgeld?" - "Ja, genau. Wenn Sie es nicht passend haben, nehme ich es wieder mit, und Sie müssen es in der Filiale abholen." Das schien mir ziemlich aufwendig, daher drückte ich ihm einen Zehner in die Hand und sagte: "Tschüß." Er druckte noch eine Quittung aus, nicht über 10 Euro sondern über 9,23 Euro.

Die und den Umschlag guckte ich mir dann genauer an. Daraus ging hervor, dass die Schweizer Freundin bereits 3,60 SF Porto - ungefähr dasselbe in Euro - bezahlt hatte. Hinzu kam ein Zoll von 3,23 Euro und eine "Ausgabepauschale" - was immer das ist - von 6.00 Euro.

Das alles zusammen erreichte fast den Wert des Buchs in dem Umschlag. Na gut, ist zwar nicht ganz nachvollziehbar, aber der eigentlich Hammer ist: die schicken einen Paketboten zum Kassieren und geben ihm kein Wechselgeld mit. Service geht anders.

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Mittwoch, 26. Oktober 2022
Neue Hoffnung nach den Katastrophen
Als die britischen Besatzer 1945 in das völlig zerstörte Hamburg einmarschierten, setzten sie als erstes eine Brauerei in Betrieb, sorgten dafür, dass die Straßenbahnen wieder fuhren und zwar mit neuen Fensterscheiben. Das Signal dieser zunächst verblüffenden Aktivitäten hieß: Es geht wieder aufwärts. Die Straßenbahnen fuhren in alle Stadtteile und trugen die frohe Botschaft überall hin. Und Bier gab's wieder und hob die Stimmung.

Als Hans Koschnik, Ex-Bürgermeister in Bremen, nach dem Balkan-Krieg EU-Administrator in Mostar für Bosnien-Herzegowina war, war er verantwortlich für den Wideraufbau. Koschnik hatte am Ende des Kriegs in Hamburg gelebt, und erinnerte sich an die verglasten Straßenbahnen. Nun gibt es in Mostar keine Straßenbahn, aber eine im Krieg zerstörte Brücke über den Fluss Neretva, das Wahrzeichen der Stadt. Die Brücke verbindet den bosnischen mit dem herzegowinischen Stadtteil. Koschnik sorgte als erstes dafür, dass dieses Wahrzeichen rekonstruiert wurde, als Symbol für den Wiederaufbau und die Verbindung der beiden Volksteile. Übrigens Mostar heißt Brücke.
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Ähnliche Überlegungen werden jetzt für die Ukraine angestellt. Bereits jetzt während der russischen Bombardements auf die ukrainische Infrastruktur, sollen möglichst viele zerstörte Straßen, Brücken, Kraft- und Wasserwerke, Bahnhöfe und Gleisanlagen funktionsfähig gemacht werden. Das hat praktischen Nutzen, aber auch einen symbolischen: Die terrorisierten UkrainerInnen können so wieder Hoffnung schöpfen. Wie damals in Hamburg und Mostar.

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Dienstag, 25. Oktober 2022
Das alte Lied - noch immer
Beim Spaziergang auf dem Deich kommen mir zwei Männer entgegen. Sie gehen dicht neben einander, der eine etwas nach hinten versetzt. Sie halten sich an den Händen. Als der Abstand zwischen mir und ihnen etwa fünf Meter beträgt, lässt der eine Mann die Hand des anderen los. Ansonsten ändern sie nichts. Als wir auf einer Höhe sind, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass sie sich wieder anfassen.

Wir haben eine schlimme Geschichte der Homosexualität hinter uns. Schon nach der Reichsgründung 1871 wurden homosexuelle Handlungen nach § 175 StGB bestraft, 1935 verschärften die Nazis den § und drohten mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Zudem wurden homosexuelle Männer in Konzentrationslagern eingesperrt, gefoltert und teilweise ermordet.

Auch nach 1949 bestand der § in der Bundesrepublik weiter, bekamen Männer Freiheitsstrafen. Erst 1969 gab es eine Reform, nach der Beziehungen von volljährigen Männern (über 21 Jahre) straffrei blieben. 1994 wurde der § ganz abgeschafft.

Die Verfolgung wurde bis 1969 unterschiedlich streng praktiziert. Im Lauf der Jahre gab es immer weniger Freiheitsstrafen. Vielfach wurde gar nicht mehr verfolgt. Grund war die allgemeine liberalere Gesellschaftsentwicklung. Aber nicht nur die Justiz sorgte über Jahrzehnte für die Stigmatisierung und Bestrafung Homosexueller, sondern auch die öffentliche Meinung. Sie wurden am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, allgemein diffamiert. Das wirkt noch immer nach.

Der Beweis war das Paar auf dem Deich. Sie trauten sich nicht, offen zu ihren Partner zu stehen. Sie konnten ja nicht wissen, ob ich liberal bin oder nicht. Sie fürchteten was? Dumme Bemerkungen, Pöbelei, einen tätlichen Angriff. Kommt alles noch immer vor. "Du Homo", ist unter Jugendlichen noch immer ein Schimpfwort. Viele ältere Männer verstecken sich noch immer in der Öffentlichkeit, sogar in der eigenen Wohnung.

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Theorie und Praxis bei der Müllabfuhr - Oder: Morgenstern aktuell
Neulich war unsere Mülltonne nach der Abfuhr noch halb voll. Mein Verdacht, dass irgendetwas die Tonne verstopfte, bestätigte sich nicht. Der Rest ließ sich mühelos umrühren. Nun wollte ich einen alten Farbeimer entsorgen, der die Tonne für die nächste Woche blockiert hätte. Beim Recycling-Hof erhielt ich die Auskunft, ich könne den Fall telefonisch der Bremer Stadtreinigung melden, dann würde die Tonne gelehrt.

Mein Anruf bei der "Service"-Nummer blieb insofern erfolglos. Die Frau klang schon am Angang des Gesprächs etwas unwirsch. Ich brachte meine Bitte vor. Nun hätte sie sagen können: "Das machen wir nicht, das ist zu teuer." Hätte ich wahrscheinlich resigniert. Stattdessen hielt sie mir einen langen Vortrag, DASS die Tonne leer sein müsse, - "Schwerkraft, sagt Ihnen das was?" - dass ich die Tonne zu fest gestopft hätte, ich also selber schuld sei, ich müsse die volle Tonne mit einem Spaten umrühren, dann KÖNNE so etwas nicht passieren.

Mein Einwand, dass das wohl theoretisch richtig sein könne, praktisch aber falsch WAR, ließ sie nicht gelten. Ich legte mit einem kurzen "Tschüß" auf.

Mir fiel die Gedichtzeile von Christian Morgenstern ein: "Was nicht sein darf, auch nicht sein kann." Vor etwa hundert Jahren geschrieben. Dass auch eine Theorie falsch sein muss, wenn die Praxis ihr widerspricht, kommt in diesem bornierten Denksystem nicht vor.

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Freitag, 21. Oktober 2022
Merz und die Brandstifter
Der Schweizer Autor Max Frisch veröffentlichte 1958 das Hörspiel "Biedermann und die Brandstifter". Darin bewirtet ein reicher Fabrikant zwei fremde Gäste, die Brandstiftung an Gasspeichern planen. Alle Zeichen stehen dafür, dass ihnen die Anschläge gelingen. Herr Biedermann übergibt ihnen schließlich sogar die Streichhölzer, die der Stadt den Untergang bringen.

Diese Parabel auf das Aufkommen des Faschismus mit seinen katastrophalen Folgen findet gegenwärtig ein Wiederholung im Realen.

Die Wiederholung des Unworts des Jahres 2013 - ukrainische Flüchtlinge als "Sozialflüchtlinge" - durch Fr. Merz folgt demselben Drehbuch wie Frischs Hörspiel. Da nützt es auch nichts, dass Merz nach Kritik eifrig zurückruderte (s. miniaturen von 28.9.). Und jetzt brennt - mal wieder! - in Mecklenburg eine Flüchtlingsunterkunft. Soll niemand behaupten, dass die flüchtlingsfeindlichen Äußerungen - nicht nur von Merz - damit nichts tun haben. Die Zusammenhänge sind evident!

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Mittwoch, 19. Oktober 2022
Bayern ist nicht Deutschland
Nein, Herr Dobrindt, Bayern ist nicht Deutschland!

Leider muss die bayrische Landesregierung zu allem ihren Senf dazugeben. Auch in der Frage der Abschaltung der letzten drei AKW drängte Dobrindt sich in der Pressekonferenz hinter Merz an die Rampe und verkündete, das Abschalten der AKWs "gefährdet die Energiesicherheit in Deutschland". Das mag für Bayern gelten, das sich beharrliche weigert, die erneuerbaren Energien - Wind, Sonne - endlich und beschleunigt auszubauen und die Übertragungsleitungen aus Norddeutschland zuzulassen.

Nein, Herr Dobrindt, wir im Norden haben kein Stromproblem, außer dass wir mehr produzieren, als wir verbrauchen. Das Problem seid ihr und habt ihr im Süden.

Und dann: Das AKW Lingen produziert schon jetzt stetig weniger Strom, weil es sich auf eine Abschaltung zum 31.12. vorbereitet hat. Dass es jetzt bis April weiterlaufen soll, bringt fast nichts an Leistung. Dieses "Machtwort" des Kanzlers verdeckt nur notdürftig die Absurdität der Debatte. Es ging nur ums Rechthaben. Rechtlich ist die jetzt verordnete Regelung streng genommen unwirksam, energiepolitisch sinnlos. Ob die AKWs, besonders in Lingen weiterlaufen, ist so wichtig wie wenn am Olsdorfer Friedhof ein Spaten umfällt. Aber Dobrindt und die anderen Platzhirsche hätscheln so ihr armes Ego.

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