Montag, 22. Januar 2024
Hunderttausende gegen rechts
…„ein äußerst ermutigendes Zeichen“ urteilte ein weichgespülter Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, bei Caren Miosga gestern Abend über die zahlreichen Demos. Die Interviewerin war skeptisch, es seien prominente CDU-Politiker jedenfalls nicht in der ersten Reihe mitgegangen. Merz konterte schnell, so schnell, dass man jetzt sicher wusste: Er hatte die Frage erwarte. Er zählte zwei (!) Landesfürsten, Markus Söder (Bayern) (was nicht stimmt!) und Hendrik Wüst (NRW), auf.

In Bremen jedenfalls blieb die CDU unsichtbar, im Gegensatz zu SPD, Linke und Grüne.

Interessant war Merz‘ Mienenspiel: Locker und entspannt, lächelnd, wie man ihn sonst nicht kannte, wechselte er, als er von der Journalistin im Kreis massiv angegangen wurde, zur gewohnten Maske mit runtergezogenen Mundwinkeln und konnte die Attacke nicht mal parieren.

„ein äußerst ermutigendes Zeichen“ wiederholte Merz noch zweimal. Zur Vorbereitung und Durchführung der seit Jahren größten Demos haben die Konservativen aber wohl wenig beigetragen.

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Stasi-Erkenntnisse im Fernsehen
Ein Journalisten-Team recherchierte in einem Geheimtreffen von Individuen aus rechten Gruppierungen – u.a. AfD, Der Dritte Weg, CDU -, auf dem Mittel und Wege diskutiert wurden, Deutsche mit Migrationsgeschichte in ihre „Heimatländer“ zu „remigrieren“, d.h. deportieren. Die Empörung bei den demokratischen Parteien und in der Zivilgesellschaft war sehr groß und löste eine Demo-Welle mit hunderttausenden von Demonstranten aus.

Die Betroffenen heulten auf. Alice Weigel von der AfD verkündete auf der Bundespressekonferenz, die Journalisten seien „under cover“ in eine private Zusammenkunft eingedrungen und hätten rechtswidrig gefilmt.

Das seien Stasi-Methoden. Nanu, wundert sich der Zeitzeuge: Bisher war unbekannt, dass die Stasi ihre heimlich gewonnenen Erkenntnisse anschließend in den Medien veröffentlichte. Da weiß die Frau Weigel mehr als alle anderen.

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Bauernproteste – Kneipenschlägerei und Argumente
„Komm `raus, du Feigling“, grölte es aus der Menge, als der Bundesminister für Wirtschaft und Klima, Robert Habeck, von seiner Urlaubsinsel in Schlüttsiel an Land gehen wollte. Mehrere hundert Bauern blockierten mit ihren Treckern den Fähranleger. Das klang mehr nach einer Kneipenschlägerei als nach dem Angebot einer Diskussion.

Habeck bot ein Gespräch an, was von den Randalierern abgelehnt wurde. Polizei und Sicherheitskräfte drängten den Mob gerade noch zurück, damit die Fähre wieder ablegen konnte.

Das Vorgehen der wütenden Bauern könnte als „landesüblicher Umgangston“ gewertet werden, wenn nicht der CDU-Vorsitzende, Friedrich Merz, den Ton vorgegeben hätte. Habeck warf er im Vorjahr vor, mit Kinderbüchern könne man ein Land nicht regieren, und er habe ihn beim Denken erwischt, soll wohl heißen untätig. (s. miniaturen 14.09.22) Wes Geistes Kind die „Protestierer“ sind, dürfte daran zu erkennen sein, dass sie ihren Fäuste besser vertrauen als dem Verstand und der Sprache. Das mögen rechtsextreme Krakeeler angeheizt haben.

Gängig wird über die Ursachen des Protests gerätselt. Zwei Dinge dürften klar sein: 1) wurden dringend notwenige Veränderungen in der Landwirtschaftspolitik seit zwanzig Jahren versäumt. 2) Wurden die Subventionen der Landwirtschaft völlig falsch gehandelt. 3) hat die Ampel zum falschen Zeitpunkt den falschen Hebel angesetzt. 1) und 2) gehen auf das Konto früherer Regierungen unter Führung der CDU/CSU, die jeweils die Landwirtschaftsminister stellten.

Die Subventionen vorwiegend aus Europa-Mitteln begünstigen Großbauern und Agrarholdings. Honoriert wird nach Fläche und nicht nach Produkt. Großkonzerne haben die ehemaligen LPGs im Osten übernommen und pflegen hochrentable Monokulturen. Kleinere Höfe, schon gar Vieh- und Gemüsebauern und die, die ökologisch wirtschaften, müssen sich mit den Brosamen abfinden. De Dübel schiet jümmer op`n größten Hupen.

Während die einen für den Export z.B. Getreide anbauen, wirtschaften die kleineren für den heimischen Markt. Insofern zielt das Argument des Bauernverbandes, sie seien im internationalen Maßstab nicht konkurrenzfähig, völlig am Kern vorbei. Die kleineren Betriebe mögen die Subventionen des Diesels und die Steuerfreiheit benötigen. Viel nötiger sind Subventionen für ökologische Produkte. Das aber haben frühere Landwirtschaftsminister nie gewollte. Sie fördern vor allem Großbetriebe, für die billiger Agrardiesel und die Kfz-Steuer Peanuts sind.

Die Shareholder von Agrarholdings wie z.B. die Münchner Rückversicherung gehen daher auch nicht auf die Straße. Sie benutzen die Kleinbauern als Stoßtrupp gegen die Ampelregierung und da vor allem die Grünen, die eine ökologische Landwirtschaft für den heimischen Markt wollen.

Die großen Lebensmittelkonzerne spielen die gleiche Melodie wie die Agrarholdings: Sie diktieren den Kleinproduzenten Abnahmepreise, bei denen so keine Gewinne hängen bleiben. Genau das versucht der Landwirtschaftsminister, Cem Özdemir, zu ändern. Kein Wunder, dass er Gegenwind vom Bauernverband bekommt. Der ist nämlich vor allem Sprachrohr der Großkonzerne.

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Höfesterben seit eh und je
Während die Bauern landauf landab demonstrieren und fröhlich steuerfreien Diesel verbrennen und den drohenden Fortfall der Steuerbefreiung gejammern, werden Zahlen des statistischen Bundesamts veröffentlicht: Seit 2010 bis 2023 sind insgesamt 45.000 Bauernhöfe aufgegeben worden. Dabei blieb die landwirtschaftlich genutzte Fläche annähernd konstant. Das bedeutet nichts anderes, als dass es eine massive Konzentration im Agrarbereich gegeben hat, zugunsten von Großbetrieben und Agrarholdings.

Wenn die Landwirte jetzt lautstark Neuwahlen einfordern, vergessen sie, dass das Höfesterben seit 2010 in die Regierungszeit fiel, als die CDU/CSU die Landwirtschaftsminister stellten. Und in dieser Zeit galten noch Diesel- und Steuer-Privilegien. Deren Fortfall wird die Konzentration sicher nicht maßgeblich beeinflussen. Konzentration gehört zu den Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, da ist die Landwirtschaft keine Ausnahme. Beschleunigt wurde die Konzentration vor wie nach der letzten Bundestagswahl zusätzlich durch die Subventionspolitik der EU und der Bundesregierung. Aber auch die gehört zur Marktwirtschaft (vulgo Kapitalismus).

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Die Ampel ist schuld?
Bei der täglichen Zeitungslektüre stößt der Leser auf ein immer wiederkehrendes Phänomen. Die Protestierer melden sich zu Wort in Fragen, die die gegenwärtige Regierung nicht zu verantworten hat. In Sachen Agrarpolitik wurde das bereits mehrfach belegt.

Hier ein anderes Beispiel: Der Branchenverband eMobilität klagt, dass die Stromnetze für den Bedarf an Ladestrom für E-Autos nicht ausreichen. Man habe das bereits vor fünfzehn Jahren angemahnt.

Aha, und wer stellte damals die Bundesregierung? CDU/CSU und SPD. Die Verkehrsminister stellten immer die Konservativen. Und wer bekommt jetzt die Prügel dafür: Die Ampel.

Die von den Bauern skandierte Parole "Die Ampel muss weg" beweist nichts als die Ignoranz der Bauern. Wollen sie die wählen, die für die Misere verantwortlich sind?

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Schlüsselqualifikation in außerschulischer Bildung und Betrieben (6)
5. Politisch-kulturelle Bildung und Schlüsselqualifikationen

Ich möchte nicht behaupten, dass sämtliche Schlüsselqualifikationen durch politisch-kulturelle außerschulische Bildung produziert werden, schon gar nicht in jeder Veranstaltung und in jedem Konzept. Dennoch leistet die außerschulische Bildung – und das nicht erst seit Kurzem – dazu ihren Beitrag. Das wurde inzwischen auch von anderen Bildungsinstitutionen erkannt.

Seit einigen Jahren gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Industriebetrieben und der außerschulischen Jugendbildung. Betriebe, deren gewünschtes Humankapital Tugenden wie Kreativität, Kooperation, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit etc. beinhaltet, mussten feststellen, dass viele Auszubildende genau diese Qualifikationen nicht mitbrachten. Darüber hinaus sahen die Einstellungstests nicht vor, diese Fähigkeiten zu prüfen. Hilfsweise werden Kriterien wie soziales Engagement in der Freizeit (Jugendverband, Feuerwehr etc.) als Auswahlkriterium dazu genommen. Vor allem musste aber ein Versagen der meisten allgemeinbildenden Schulen konstatiert werden, die SchülerInnen entsprechend vorzubereiten. Das schulische Auswahlverfahren, besonders die Orientierung auf individuell zu erbringende fachliche Leistungen und die frühe Aufspaltung in unterschiedliche Schultypen, führt zu einer Isolation und individuellen Leistungsorientierung, die nur eine unter mehreren Bedingungen für eine moderne demokratische Gesellschaft und für betriebliche Erfordernisse ist.

Dagegen setzen einige Industrie- und Dienstleistungsbetriebe auf die durch die außerschulische Jugendarbeit angebotene Qualifikation. Der Jugendhof Steinkimmen z.B. bot seit 1999 für Auszubildende der Airbus GmbH in Bremen und Nordenham Seminare zur politisch-kulturellen Bildung an. Die Auszubildenden beschäftigen sich eine Woche lang mit einem sozialpolitischen Thema, das sie mit Hilfe der Medien Video, Theater, Fotografie, Zeitung oder Radio bearbeiten. Der Jugendhof Steinkimmen verfolgt dabei vorrangig Ziele der politischen und kulturellen Bildung , während der Betrieb allgemeine Qualifikationen seiner Auszubildenden im Blick hat.

Es scheint also, dass die Möglichkeiten und Fähigkeiten der außerschulische Bildung von Betrieben erkannt und genutzt werden können. Davon profitieren beide Teile. Es zeigt aber auch, dass allgemein- und weiterbildende Schulen diese Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht haben oder nicht nutzen. Uns ist allerdings in Seminaren mit Schulklassen aufgefallen, dass SchülerInnen von Gesamtschulen viel eher die politischen Tugenden bzw. Schlüsselqualifikationen aufweisen, die auch wir in der außerschulischen Bildung anstreben und die die Betriebe fordern. Es scheint also sinnvoll, gemeinsam zu diskutieren, wie diesem Missstand Abhilfe geschaffen werden kann. Es scheint angebracht, die PISA-Diskussion in diese Richtung zu lenken, statt ausschließlich auf weitere Leistungsmaximierung zu orientieren.
Zuerst in „Forum für Kinder- und Jugendarbeit“

Anmerkungen:
1. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.): Weiterentwickelte Empfehlung und Arbeitshilfe für den Ausbau und die Verbesserung der Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendhilfe mit der Schule. Frankfurt/Main 2001
2. Am weitest gehenden ist dieser Zerstückelung des Arbeitsprozesses in der Bandarbeit z.B. der Automobilproduktion fortgeschritten.
3. D. Martens: Schlüsselqualifikationen; in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt und Berufsforschung, 1974
4. Bereits in den 60er Jahren suchten Betriebe wie Siemens, Bosch oder Töpfer die Zusammenarbeit mit der außerschulischen politischen Bildung.
5. Oskar Negt: Die zweite Gesellschaftsreform, Göttingen 1994

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Schlüsselqualifikation in außerschulischer Bildung und Betrieben (5)
4. Schlüsselqualifikationen als politische Kategorie

Bei den VertreterInnen der außerschulischen politischen Bildung stehen derlei Qualifikationen schon immer in den Lernzielkatalogen. Allerdings aus einem ganz anderen Motiv. Kritikfähigkeit ist eine Voraussetzung, bestehende gesellschaftspolitische Verhältnisse zu hinterfragen. Sie taucht bereits in den 60er Jahren in den Lernzielkatalogen auf. Durchsetzungsvermögen, Verantwortungs- und Handlungskompetenz sind auch Voraussetzungen politischen Handelns. Kreativität, Zusammenarbeit und Kommunikation sind Stichworte in der außerschulischen politischen Bildung seit vierzig Jahren.

Unser Dilemma als politische Bildner war bisher, dass derlei Tugenden im letzten Jahrzehnt bei unserem Klientel eher als antiquiert und verstaubt galten. Kein Wunder: die menschlichen Produkte der industriellen Tätigkeit, der städtischen Wohnformen und der Freizeitindustrie zeichneten sich eher durch Individualität oder Isolation, Egoismus und Verantwortungsscheu als durch von uns postulierte politische Tugenden aus.

Kommt nun das Heil für die politische Bildung aus den Notwendigkeiten der nachindustriellen Produktion? Ja und Nein.

Offensichtlich hat die betriebliche Berufsbildung es als notwendig erkannt, extrafunktionale Qualifikationen zu funktionalen zu machen, d.h. allgemeine Arbeitstugenden für gleich wichtig zu halten wie die handwerklichen oder kognitiven Qualitäten. Da die Auszubildenden diese Qualitäten nicht aus der Schule und anderen gesellschaftlichen Sozialisationsinstanzen mitbringen und die Betriebe sie auch nicht oder nur eingeschränkt neben der funktionalen Qualifikation herstellen können oder wollen, greifen modernere Betrieben schon lange auf die Zuarbeit der außerschulischen Bildung zurück, allerdings eher punktuell und ausnahmsweise.

Die politische Bildung fortschrittlicher Konvenienz hat - vielleicht aus gutem Grund - bisher derartige Vereinnahmungsversuche empört zurückgewiesen. Diese Berührungsangst sollte allerdings kritisch und unvoreingenommen überprüft werden. Wenn die extrafunktionalen Qualitäten zur politischen Emanzipation von Individuen und Gruppen führt, so kann das der politischen Bildung nur Recht sein. Warum soll eine Gewerkschaftsgruppe nicht kritikfähig sein, nur weil der Arbeitgeber Kritikfähigkeit fordert, wenn so betriebliche Missstände im Interesse der Beschäftigten beseitigt werden können?

Oskar Negt hat (1994) einen Katalog sozialer Kompetenzen aufgestellt, der über den engeren Rahmen der ökonomischen Verwertbarkeit hinausweist: Er nennt:
1. den Umgang mit bedrohter und gebrochener Identität lernen (Kompetenz der Selbst- und Fremdwahrnehmung).
2. gesellschaftliche Wirkungen begreifen und Entscheidungsvermögen entwickeln (technologische Kompetenz).
3. der pflegliche Umgang mit Menschen und Dingen (ökologische Kompetenz)
4. Erinnerungs- und Utopiefähigkeit (historische Kompetenz)
5. Sensibilität für Enteignungsverfahren; Wahrnehmungsfähigkeit für Recht und Unrecht, Gleichheit und Ungleichheit (Gerechtigkeitskompetenz)

Es gibt eine Übereinstimmung in bestimmten Bereichen von Interessen moderner Industrie- und Dienstleistungs-Betriebe mit denen der politischen Bildung. Es ist die Funktion der politischen Bildung, Menschen zu befähigen, gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu erkennen und gegenzusteuern (Kritikfähigkeit, Handlungskompetenz). Politische Bildung hat einige Ansprüche, die darüber hinaus gehen, wie z.B. das Toleranzgebot. Es ist die Funktion der politischen Bildung, demokratische Austragungsformen bei Interessenkonflikten zu initiieren und zu organisieren (Verantwortungsbereitschaft und -Kompetenz). Es muss das Interesse der politischen Bildung sein, gesellschaftliches Konfliktpotential zu problematisieren und auszugleichen. Wenn farbige Mitbürger aus fahrenden S-Bahnen gestoßen, Häuser von MigrantInnen oder Flüchtlingen in Brand gesetzt werden oder geschasste Oberschüler Amok laufen, sind das Zeichen mangelnder politischer Bildung, mangelnder allgemeiner Qualifikationen wie z.B. Sozialkompetenz. Wenn moderne industrielle und Dienstleistungs-Betriebe den gleichen Bedarf zur Realisierung ihrer Ziele haben, zeigt das nur, dass es in diesem Punkt eine Interessen-Koinzidenz gibt. Warum soll es da nicht die Möglichkeit der Kooperation geben? Demokratische Bildung und Zivilcourage sind nicht auf das außerbetriebliche Leben reduziert.

Zugleich scheint mir aber auch eine Abgrenzung geboten. Wenn die Kooperation zwischen Betrieben und politischer Bildung zur Verwischung der Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und abhängig Beschäftigten führt, darf politische Bildung sich nicht zum Erfüllungsgehilfen betrieblicher Interessen machen, sondern muss die Interessengegensätze auch benennen können.

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