Montag, 13. Oktober 2025
Am 739. Tag
Angela Merkel, Ex-Bundeskanzlerin, erklärte vor Jahren, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsraison. Mit dieser Bürde lebten wir nicht nur seitdem, sondern lange vorher.
Daraus resultierte eine Widersprüchlichkeit, die gerade einen Höhepunkt erreichte.

Es war die Grundlage für finanzielle Unterstützung und jahrzehntelanger Waffenlieferungen Deutschlands an Israel. Dann begann die Hamas den Gaza-Krieg durch ihren Terrorüberfall mit 1.200 Toten und 250 Geiseln. Die israelische Armee (IDF) bekämpfte Hamas und die palästinensische Bevölkerung nicht nur in Gaza, sondern auch im Westjordanland. Deutsche Waffen und deutsches Geld trugen dazu bei, 60.000 PalästinernserInnen, überwiegend ZivilistInnen, Frauen, Kinder, Alte, zu töten, weitere hunderttausende zu verletzen, zu verstümmeln. Die unbarmherzige Kriegsführung der IDF führte zu internationalen Protesten, zuletzt sogar der Bundesregierung.

Schließlich, und da stehen wir heute, wurden die Kämpfe nach internationaler Intervention beendet, und die verbliebenen 20 Geiseln nach 738 Tagen freigelassen. Die übrigen kommen nur noch, wenn überhaupt, als Leichen zurück.

Und jetzt geht es an den Wiederaufbau der zu 80% zerstörten Häuser und der Infrastruktur, der medizinischen und psychologischen Fürsorge, die Rekonstruktion zivilen Lebens. Und wieder ist Deutschland dabei.

Eine absurde Situation: was immer in Israel passiert, Deutschland zahlt, die Waffen, den Krieg und den Wiederaufbau.

Gestern war der Jubel groß: Israelis feierten die Rückkehr der Geiseln, die Palästinenser die Waffenruhe. Aber schon mischten sich kritische, skeptische Stimmen in den Jubel. Wie soll es weitergehen? Die Palästinenser gehen einer unsicheren, jedenfalls harten Zukunft entgegen. Sie hausen in Trümmern, verloren ihr Hab und Gut, die Kinder sind traumatisiert, und nicht nur die, kennen keine Schule und keinen normalen Alltag mehr. Werden die Waffen weiter schweigen? Wer soll den Gaza-Streifen regieren? Wird die Hamas die Waffen abgeben? Wer garantiert und wie für die Umsetzung der Pläne?

Und Israel? Die Hoffnung der liberalen Welt, Netanjahus Tage als Politiker und seiner rechtsextremen Koalitionäre seien gezählt, wird trügerisch. Er präsentiert sich neben Trump als strahlender Sieger, und der hat schon an den israelischen Präsidenten appelliert, Netanyahu zu begnadigen. Gegen den laufen nämlich seit Jahren Untersuchungen wegen Korruption. Die liberale und konservative Opposition in Israel wird sich nicht mehr trauen, ihre Aufgabe als Opposition wahrzunehmen. Und was wird aus der Justizreform, die die Macht der Regierung und ihre Immunität zementieren soll? Fragen und Befürchtungen am 739 Tag.

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