Sonntag, 2. Februar 2025
Briefe ins Jenseits
Als Agnostiker war ich bisher fest davon überzeugt, dass es kein Jenseits gibt, wie es die christliche Gläubigen oder die anderer Religionen glauben. Das Leben endet mit dem Tod und danach kommt gar nichts!

In letzter Zeit lese ich altersbedingt häufiger die Todesanzeigen in der lokalen Tageszeitung. Es könnte ja jemand dabei sein, den oder die ich kenne. Da ist es besser, man erfährt es direkt und muss die Kenntnis über einen Trauerfall nicht gesprächsweise und zufällig auf der Straße, in einem Geschäft oder der Kneipe erfahren-

Da finden sich Formulierungen wie „die Zeit mit Dir“, „Dein Einsatz für“, „Dein Leben“, „Dein Lebenswerk“, „Dein Kompass“, „wir vermissen Dich“. Die Tatsache, dass das „Du“ in der Briefform groß geschrieben wird, weist darauf hin, dass die Hinterbliebenen älter sind und die letzte Rechtschreibreform nicht mitbekommen haben.

Bei dieser Lektüre gerät mein Unglaube zunehmend ins Wanken. Die meisten Todesanzeigen waren wie Briefe an die Verstorbenen formuliert. Das könnte zweierlei Grüne haben: Entweder glauben die Hinterbliebenen an das Jenseits oder es gibt Kommunikationswege, die mir bisher unbekannt geblieben sind. Auffällig ist nur, dass die Kommunikation ganz einseitig zu sein scheint. Nie wird in den Familienanzeigen auf eine Rückantwort auf die Briefe ins Jenseits verwiesen.

Wenn das vermutlich fortgeschrittene Alter der Trauernden Grund für die veraltete Rechtschreibung ist, dann wäre das die Erklärung dafür, dass auch der überkommene Glaube an das Jenseits nicht recht zeitgemäß ist.

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Bitte nehmen Sie es doch nicht so eng: Genauso, wie man auch nach der Rechtschreibreform das Du in Briefen ausdrücklich noch großschreiben kann (Dudenregel D83, Absatz 2), kann man natürlich auch an ein Jenseits glauben, warum nicht. Es gibt viele Arten, mit der Gegenwart des Todes umzugehen, und die zeitgemäßesten müssen nicht die klügsten sein.
Außerdem vermute ich, dass es den Schreibenden eher nicht darum geht, Botschaften in ein Jenseits zu schicken (da wäre so ein diesseitiges Instrument wie eine Zeitung wohl nicht angemessen), sondern darum, eine tote Person in (auch kollektiver) Erinnerung lebendig zu halten. Eigentlich eine schöne Sache.

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