Sonntag, 5. Januar 2025
Fast eine Kritik: Die Saat des heiligen Feigenbaums
jf.bremen, 18:25h
Dem Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ wurde in Cannes ein Spezialpreis verliehen. Er wurde für den Oscar nominiert. Zu Recht, kann man sagen. Der Film ist hochpolitisch in der gegenwärtigen Situation im Iran und während der Frauenproteste. Wie viele Literatur-, Film- und Kunst-Preise reagiert auch Cannes auf Politik. In der ausverkauften Vorstellung, die der Autor besuchte, quittierte u.a. die iranische Community der Stadt den Film mit Applaus.
Nicht nur politisch, sondern auch filmisch war der Film bedeutsam. Er verband Fiktion mit dokumentarischen Handy-Einspielungen, hatte nachdenkliche sowie Aktion-Passagen. Kritisch sei angemerkt, dass bestimmte Wandlungen der Personen unmotiviert blieben. Warum gab der Vater der Familie seine skeptische Haltung zum Regime der Mullahs auf und stellte seine moralischen Bedenken zurück, wurde zum Erfüllungsgehilfen? Warum hielt die Mutter zunächst zu ihm, wechselte dann auf die Seite der systemkritischen Töchter? Warum hielt die jüngere Tochter die Pistole des Vaters versteckt? Wieso blieb das Auto der Familie trotz der provozierten Karambolagen mit dem verfolgenden Auto unbeschädigt? Dafür bietet der Film keine Antworten.
Gänzliche unwahrscheinlich und überflüssig war die irre Verfolgungsjagt in den Trümmern einer verlassenen Stadt. Sie wurde über Gebühr ausgedehnt, nachdem das Ende – die Erschießung des Vaters – längst absehbar war. Ganz übertrieben, dass der Vater vom Schuss getroffen im Fußboden der Ruine einbrach und das Schlussbild einen Trümmerhaufen zeigt, aus dem ein Arm hervorragte und die Waffe daneben lag. Das Publikum regiert mit kurzem Lacher.
Schade für den Film, der dennoch weitere Beachtung verdient!
Nicht nur politisch, sondern auch filmisch war der Film bedeutsam. Er verband Fiktion mit dokumentarischen Handy-Einspielungen, hatte nachdenkliche sowie Aktion-Passagen. Kritisch sei angemerkt, dass bestimmte Wandlungen der Personen unmotiviert blieben. Warum gab der Vater der Familie seine skeptische Haltung zum Regime der Mullahs auf und stellte seine moralischen Bedenken zurück, wurde zum Erfüllungsgehilfen? Warum hielt die Mutter zunächst zu ihm, wechselte dann auf die Seite der systemkritischen Töchter? Warum hielt die jüngere Tochter die Pistole des Vaters versteckt? Wieso blieb das Auto der Familie trotz der provozierten Karambolagen mit dem verfolgenden Auto unbeschädigt? Dafür bietet der Film keine Antworten.
Gänzliche unwahrscheinlich und überflüssig war die irre Verfolgungsjagt in den Trümmern einer verlassenen Stadt. Sie wurde über Gebühr ausgedehnt, nachdem das Ende – die Erschießung des Vaters – längst absehbar war. Ganz übertrieben, dass der Vater vom Schuss getroffen im Fußboden der Ruine einbrach und das Schlussbild einen Trümmerhaufen zeigt, aus dem ein Arm hervorragte und die Waffe daneben lag. Das Publikum regiert mit kurzem Lacher.
Schade für den Film, der dennoch weitere Beachtung verdient!
... comment
damals,
Donnerstag, 9. Januar 2025, 23:00
Ich habe den Film auch gerade gesehen und muss Ihnen in einem Punkt Recht geben: Die Verfolgungsjagd durch die Ruinenstadt am Ende war mir auch viel zu lang. (Allerdings halte ich es für möglich, dass da ein Symbolgehalt drin steckt, der sich mir mangels Kenntnis nicht erschließt.)
Die differenzierte Zeichnung der Famileinangehörigen dagegen fand ich großartig. Ich hatte in den ersten Minuten ein bisschen die Befürchtung, dass das auf einen platten Politfilm hinausläuft, und war dann froh, dass es differenzierter wurde.
Wieso beispielsweise der Vater seine moralischen Skrupel scheinbar aufgibt, war mir ziemlich klar: Er war ein naiver Anhänger des Mullahsystems und glaubte wohl tatsächlich, dass es im Land gerecht zugeht. Als er dann vom Regime ganz klar und offen aufgefordert wurde, für seine Karriere ein erstes Todesurteil zu unterschreiben, erschrak er erst und gehorchte dann. Dass ihn auch weiter Skrupel drückten, wird im Film sehr deutlich. Aber er gehorcht eben weiter - was auch bedeutet, dass er die Idee der Gewalt (die Saat des Feigenbaums) dann auch innerfamiliär weitergibt. So funktionieren Diktaturen.
Und der ständige Seitenwechsel der Mutter: Na, das ist doch klar - für sie ist die Familie das Wichtigste und sie versucht, es allen irgendwie recht zu machen. Eine tragische Rolle, weil das natürlich nicht geht.
Auch das Verhältnis der Schwestern, der naiv aufbegehrenden älteren und der stilleren, aber entschiedenerer handelnden jüngeren fand ich treffend beobachtet. (Und für den Widerstand braucht es beide!)
Es zeigt sich eben - wie der vorige, noch bessere Films des Regisseurs schon erzählte ("Denn das Böse gibt es nicht") - dass in Diktaturen nicht die einen auf der einen und die anderen auf der anderen Seite stehen und man klar in Gut und Böse unterscheiden kann, sondern dass es die Verhältnisse, die Strukturren sind, die das Böse aus den Menschen herauskitzeln.
Hat mich sehr an meine DDR-Zeit erinnert. Und ist auch heute aktuell: Nicht der einzelne AfD-Mann ist der Bösewicht, sondern die Struktur, die ihn verlockt und dafür belohnt, dass er jede normalmenschliche Hemmung fallenlässt. Diese Struktur gilt es zu bekämpfen.
Und wir brauchen mehr von solchen Filmen.
Die differenzierte Zeichnung der Famileinangehörigen dagegen fand ich großartig. Ich hatte in den ersten Minuten ein bisschen die Befürchtung, dass das auf einen platten Politfilm hinausläuft, und war dann froh, dass es differenzierter wurde.
Wieso beispielsweise der Vater seine moralischen Skrupel scheinbar aufgibt, war mir ziemlich klar: Er war ein naiver Anhänger des Mullahsystems und glaubte wohl tatsächlich, dass es im Land gerecht zugeht. Als er dann vom Regime ganz klar und offen aufgefordert wurde, für seine Karriere ein erstes Todesurteil zu unterschreiben, erschrak er erst und gehorchte dann. Dass ihn auch weiter Skrupel drückten, wird im Film sehr deutlich. Aber er gehorcht eben weiter - was auch bedeutet, dass er die Idee der Gewalt (die Saat des Feigenbaums) dann auch innerfamiliär weitergibt. So funktionieren Diktaturen.
Und der ständige Seitenwechsel der Mutter: Na, das ist doch klar - für sie ist die Familie das Wichtigste und sie versucht, es allen irgendwie recht zu machen. Eine tragische Rolle, weil das natürlich nicht geht.
Auch das Verhältnis der Schwestern, der naiv aufbegehrenden älteren und der stilleren, aber entschiedenerer handelnden jüngeren fand ich treffend beobachtet. (Und für den Widerstand braucht es beide!)
Es zeigt sich eben - wie der vorige, noch bessere Films des Regisseurs schon erzählte ("Denn das Böse gibt es nicht") - dass in Diktaturen nicht die einen auf der einen und die anderen auf der anderen Seite stehen und man klar in Gut und Böse unterscheiden kann, sondern dass es die Verhältnisse, die Strukturren sind, die das Böse aus den Menschen herauskitzeln.
Hat mich sehr an meine DDR-Zeit erinnert. Und ist auch heute aktuell: Nicht der einzelne AfD-Mann ist der Bösewicht, sondern die Struktur, die ihn verlockt und dafür belohnt, dass er jede normalmenschliche Hemmung fallenlässt. Diese Struktur gilt es zu bekämpfen.
Und wir brauchen mehr von solchen Filmen.
... link
... comment