Sonntag, 21. Juli 2024
Unglaube als Freiheit
Mein Kampf gegen Gläubigkeit, Religion und Dogmatik begann als Abwehrkampf eines Nicht-Getauften in einer von bizarrem Protestantismus geprägten Umgebung. Wenn zu Beginn eines Schuljahres die Eintragungen im Klassenbuch durch die Rubrik „Bekenntnis“ ergänzt wurden, stockte bei meinem Namen nicht nur ich – Was soll ich da nur sagen: gottgläubig, freigläubig, ohne Bekenntnis? – sondern auch die Feder des Klassenlehrers. Bei fünfundzwanzig von dreißig Schülern, Mädchen waren nicht dabei, konnte er „ev.“ Schreiben, bei vieren „kath.“ beim letzten, das war ich, blieb sie zögernd schweben, bis ich mich zu einer Antwort entschlossen hatte. Dann drehten sich alle Mitschüler auf ihren Stühlen, um den Exoten zu betrachten – staunend, misstrauisch, feixend. Und ich war allein in meiner Ratlosigkeit.

Lehrer versuchten mich als verirrtes Schaf zu sehen, oder sie machten mich coram publico lächerlich.

Später richtete ich mich in meiner Sonderrolle ein, wurde durch den Antiklerikalismus meines Vaters gestärkt und ging zum Angriff über. Ich sammelte Beweise gegen den Glauben. Die Wunder der Bibel wurden, wenn möglich, als natürliche Erscheinungen interpretiert: Der brennende Busch sonderte ätherische Öle ab, die sich bei höheren Temperaturen selbst entzündeten; im heißen Orient durchaus üblich.

Dann flüchtete ich mich in Diskussionen mit Religionslehrern. Je nach Temperament wurden sie ausfallend oder sahen mich als belebendes Element des Unterrichtsgesprächs. Als ich mich, gerade religionsmündig, entschied, den Religionsunterricht zu fliehen, band mich der Lehrer, ein Pastor, durch Schmeichelei: Er wolle nicht auf meine Teilnahme verzichten und entband mich sogar der Pflicht, Psalmen auswendig zu lernen. Ein anderer Pastor in der Oberstufe belohnte mich sogar mit einer „1“ im Zeugnis.

Später erkannte ich den Unglauben als Freiheit von Zwängen, die die Christen binden. Die christlichen Werte, Traditionen, auch den Widerspruchsgeist in den Kirchen und deren kulturelle Leistungen lernte ich zu schätzen. Toleranz gegenüber anderen Toleranten wurde mir selbstverständlich.

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