Mittwoch, 19. Juni 2024
Mali – Das „afrikanischste Land“ - Reisebericht 2008. (2) Dritter Tag - Ségou - Musikfestival
jf.bremen, 11:05h
Dritter Tag – Segou - Musikfestival
Mit dem Bus – landesüblich, mit dem Gepäck auf dem Dach – geht’s Richtung Ségou. Unterwegs Straßenkontrollen, bei denen die Polizisten mit kleinen Geldbeträgen - später beim 4x4-Auto wird es offensichtlicher und kostet 2.000 CFA - ihr mickriges Gehalt von den Fahrern aufbessern lassen (1 € = 654 CFA). Unterwegs Pinkelpause, wo ich die ersten gewaltigen und skurrilen Termitenhügel sehe und fotografiere. Die meisten Landschaftsaufnahmen muss ich aus dem fahrenden Bus machen, werden also wohl nicht so gut sein. Der Bus ist hart gefedert, die Asphalt-Straße holprig.
Kurz vor Ségou Station in dem kleinen Dorf Sékoro, wo die ersten Bambara-Könige herstammen, es gibt auch einen Gedenkstein. Das Dorf – und das wird sich später wiederholen – ist nicht viel weiter als bis zur Steinzeit, was die Gebäude und die Verrichtungen angeht. In einem Hof wird eine große – also mehrhundertjährige - Schildkröte an einer 1-Meter-langen Strippe gehalten und dient als Vorkoster. Überhaupt die Tiere: die Leute haben ein sehr funktionales Verhältnis zu ihnen. Irgendwo unterwegs an einer Tankstelle, beobachte ich einen Treck von Bauern mit Kind und Kegel auf Eselskarren und Fahrrädern, die allerlei Viehzeug zum Markt transportieren. Zehn Hühner in einem engen Käfig auf einem Gepäckträger. Ziegen und Schafe mit zusammengebundenen Füßen auf einem Karren. Hühner mit zusammengebundenen Füßen über eine Stange gehängt. Am Straßenrand Esel u.a. mit Fußfesseln, nur max. 1 Meter lang. Usw. Überall begegnen wir der extremen Fotoscheu der Menschen, besonders der Frauen. Nur Kinder wollen gerne fotografiert werden, bitten aber häufig dafür um „cadeau“ und sind enttäuscht, wenn sie an meiner Kamera vergeblich das Display suchen, auf dem sie das Abbild sofort bewundern wollen.
Weiter geht’s nach Ségou, wo wir nach langem Hin und Her nicht im erwarteten Motel Savane, sondern in einem schäbigen Ersatz unterkommen. Abends geht’s zum ersten Mal zum Konzert. Wir hören Mangala Camara, Abdoulaye Diabaté (aus der berühmten Dynastie) und Madina NDiaye (von der wir später von einem „fliegenden“ Händler eine CD kaufen).
Die Musik scheint seltsam vertraut: einfache Rhythmen und Harmonien, die sich ständig wiederholen, traditionelle afrikanische Instrumente (Kora, Xylophon, Balaphon, Trommeln, Flöten) gepaart mit westlichen Instrumenten wie Gitarre, Bass u.a. und natürlich elektronisch verstärkt. Diese Musik – aus der Tradition der oral history gespeist und dem Preis des jeweiligen Auftraggebers gewidmeten – lebt mehr vom Text als von der Musik und ist daher für sprachunkundige Hörer weniger interessant (wie auch beim Blues oder Fado). Jetzt wird mir auch die Musik von Abdullah Ibrahim besser verständlich: er nutzt traditionelle afrikanische Harmonien und Rhythmen, die er aber wie in einer hermeneutischen Spirale entwickelt, so dass eine sanfte Spannung und stetige Steigerung entsteht. Mir scheint es beim Festival, dass alle die gleiche Musik machen, nur mit qualitativen Unterschieden.
Spannend aber vor allem die Atmosphäre: 14.000 überwiegend schwarze, sehr sachkundige HörerInnen und ZuschauerInnen, teilweise – vor allem Frauen – schick in afrikanischer Kleidung, kennen die Musiker, gehen mit wie die Teufel, dabei aber eine sehr harmonische und friedliche Fröhlichkeit. Unerwartet springen Gruppen von zehn, zwanzig Personen auf, tanzen leidenschaftlich im Rhythmus und setzen sich nach einiger Zeit wieder genauso unvermutet hin, hören nur noch zu und verfolgen den Takt mit Kopf, Händen, Füßen und Oberkörpern. Keinerlei Vorbehalte gegenüber Weißen. Im Gegenteil: ich werde gefragt, woher ich kommen, wie ich vom Festival erfahren habe (im Internet?), Stolz und Freude, dass wir da sind: „Nous sommes ensemble“ und Händedruck.
Etwas unangenehm: vor dem Festivalgelände Massen von Kleinhändlern, die sehr aufdringlich alles Mögliche verkaufen wollen. Dies ist an den nächsten Tagen auch auf dem Gelände außerhalb des Konzert-Programms der Fall, so dass es manchmal wirklich nervt. Aber natürlich: das ist ihre Chance und wir sind ja soooo reich, tragen unseren Reichtum ungeniert zur Schau (allein die Fotoausrüstung!), da müssen sie uns einfach ausnehmen, so lange es geht. - Im Hotel stoße ich mich an der Bettkante und schlage mir das Schienbein auf. Hässliche Wunde, die mir aber von dem mitreisenden Arzt, Felix, fachkundig behandelt.
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FELSMALEREIEN
in Bamako befinden sich in Höhlen am Fuß des Berges „Point G“ mit Darstellungen von Jagdszenen, Menschen, Werkzeug und Tieren. Sie werden zurückdatiert auf die frühe Steinzeit. Im Dogonland bei Songo sind ebenfalls Felsmalereien zu sehen, deren Alter allerdings unbestimmt ist. Da sie jeweils vor den alle drei Jahre stattfindenden Beschneidungsritualen erneuert werden, sind ihre ursprüngliche Form und Farbe stark vergröbert und ihre Authentizität ungewiss.
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CADAUX - GESCHENKE
Kinder bitten den Touristen, den Tobab, den Weißen häufig um cadeaux, Geschenke. Oft ist Geld gemeint, häufiger, vor allem auf dem Land, Bonbons, Bleistifte, Hefte, Kaugummi. Es wird allgemein empfohlen, keine Geschenke zu machen, um die Kindern nicht ans Betteln zu gewöhnen. So sinnvoll Bleistifte und Hefte als Geschenk erscheinen mögen, so privilegiert dies die Beschenkten gegenüber denen, die leer ausgehen.
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(Fortsetzung folgt)
Mit dem Bus – landesüblich, mit dem Gepäck auf dem Dach – geht’s Richtung Ségou. Unterwegs Straßenkontrollen, bei denen die Polizisten mit kleinen Geldbeträgen - später beim 4x4-Auto wird es offensichtlicher und kostet 2.000 CFA - ihr mickriges Gehalt von den Fahrern aufbessern lassen (1 € = 654 CFA). Unterwegs Pinkelpause, wo ich die ersten gewaltigen und skurrilen Termitenhügel sehe und fotografiere. Die meisten Landschaftsaufnahmen muss ich aus dem fahrenden Bus machen, werden also wohl nicht so gut sein. Der Bus ist hart gefedert, die Asphalt-Straße holprig.
Kurz vor Ségou Station in dem kleinen Dorf Sékoro, wo die ersten Bambara-Könige herstammen, es gibt auch einen Gedenkstein. Das Dorf – und das wird sich später wiederholen – ist nicht viel weiter als bis zur Steinzeit, was die Gebäude und die Verrichtungen angeht. In einem Hof wird eine große – also mehrhundertjährige - Schildkröte an einer 1-Meter-langen Strippe gehalten und dient als Vorkoster. Überhaupt die Tiere: die Leute haben ein sehr funktionales Verhältnis zu ihnen. Irgendwo unterwegs an einer Tankstelle, beobachte ich einen Treck von Bauern mit Kind und Kegel auf Eselskarren und Fahrrädern, die allerlei Viehzeug zum Markt transportieren. Zehn Hühner in einem engen Käfig auf einem Gepäckträger. Ziegen und Schafe mit zusammengebundenen Füßen auf einem Karren. Hühner mit zusammengebundenen Füßen über eine Stange gehängt. Am Straßenrand Esel u.a. mit Fußfesseln, nur max. 1 Meter lang. Usw. Überall begegnen wir der extremen Fotoscheu der Menschen, besonders der Frauen. Nur Kinder wollen gerne fotografiert werden, bitten aber häufig dafür um „cadeau“ und sind enttäuscht, wenn sie an meiner Kamera vergeblich das Display suchen, auf dem sie das Abbild sofort bewundern wollen.
Weiter geht’s nach Ségou, wo wir nach langem Hin und Her nicht im erwarteten Motel Savane, sondern in einem schäbigen Ersatz unterkommen. Abends geht’s zum ersten Mal zum Konzert. Wir hören Mangala Camara, Abdoulaye Diabaté (aus der berühmten Dynastie) und Madina NDiaye (von der wir später von einem „fliegenden“ Händler eine CD kaufen).
Die Musik scheint seltsam vertraut: einfache Rhythmen und Harmonien, die sich ständig wiederholen, traditionelle afrikanische Instrumente (Kora, Xylophon, Balaphon, Trommeln, Flöten) gepaart mit westlichen Instrumenten wie Gitarre, Bass u.a. und natürlich elektronisch verstärkt. Diese Musik – aus der Tradition der oral history gespeist und dem Preis des jeweiligen Auftraggebers gewidmeten – lebt mehr vom Text als von der Musik und ist daher für sprachunkundige Hörer weniger interessant (wie auch beim Blues oder Fado). Jetzt wird mir auch die Musik von Abdullah Ibrahim besser verständlich: er nutzt traditionelle afrikanische Harmonien und Rhythmen, die er aber wie in einer hermeneutischen Spirale entwickelt, so dass eine sanfte Spannung und stetige Steigerung entsteht. Mir scheint es beim Festival, dass alle die gleiche Musik machen, nur mit qualitativen Unterschieden.
Spannend aber vor allem die Atmosphäre: 14.000 überwiegend schwarze, sehr sachkundige HörerInnen und ZuschauerInnen, teilweise – vor allem Frauen – schick in afrikanischer Kleidung, kennen die Musiker, gehen mit wie die Teufel, dabei aber eine sehr harmonische und friedliche Fröhlichkeit. Unerwartet springen Gruppen von zehn, zwanzig Personen auf, tanzen leidenschaftlich im Rhythmus und setzen sich nach einiger Zeit wieder genauso unvermutet hin, hören nur noch zu und verfolgen den Takt mit Kopf, Händen, Füßen und Oberkörpern. Keinerlei Vorbehalte gegenüber Weißen. Im Gegenteil: ich werde gefragt, woher ich kommen, wie ich vom Festival erfahren habe (im Internet?), Stolz und Freude, dass wir da sind: „Nous sommes ensemble“ und Händedruck.
Etwas unangenehm: vor dem Festivalgelände Massen von Kleinhändlern, die sehr aufdringlich alles Mögliche verkaufen wollen. Dies ist an den nächsten Tagen auch auf dem Gelände außerhalb des Konzert-Programms der Fall, so dass es manchmal wirklich nervt. Aber natürlich: das ist ihre Chance und wir sind ja soooo reich, tragen unseren Reichtum ungeniert zur Schau (allein die Fotoausrüstung!), da müssen sie uns einfach ausnehmen, so lange es geht. - Im Hotel stoße ich mich an der Bettkante und schlage mir das Schienbein auf. Hässliche Wunde, die mir aber von dem mitreisenden Arzt, Felix, fachkundig behandelt.
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FELSMALEREIEN
in Bamako befinden sich in Höhlen am Fuß des Berges „Point G“ mit Darstellungen von Jagdszenen, Menschen, Werkzeug und Tieren. Sie werden zurückdatiert auf die frühe Steinzeit. Im Dogonland bei Songo sind ebenfalls Felsmalereien zu sehen, deren Alter allerdings unbestimmt ist. Da sie jeweils vor den alle drei Jahre stattfindenden Beschneidungsritualen erneuert werden, sind ihre ursprüngliche Form und Farbe stark vergröbert und ihre Authentizität ungewiss.
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CADAUX - GESCHENKE
Kinder bitten den Touristen, den Tobab, den Weißen häufig um cadeaux, Geschenke. Oft ist Geld gemeint, häufiger, vor allem auf dem Land, Bonbons, Bleistifte, Hefte, Kaugummi. Es wird allgemein empfohlen, keine Geschenke zu machen, um die Kindern nicht ans Betteln zu gewöhnen. So sinnvoll Bleistifte und Hefte als Geschenk erscheinen mögen, so privilegiert dies die Beschenkten gegenüber denen, die leer ausgehen.
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(Fortsetzung folgt)
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