Donnerstag, 18. Januar 2024
Schlüsselqualifikation in außerschulischer Bildung und Betrieben (2)
jf.bremen, 10:55h
2. Industrielle Hafenarbeit (1980)
Als ich zwanzig Jahre später nach einer längeren Unterbrechung wieder einen modernen Hafen sah, hatte sich alles verändert. Kaffeesäcke oder Baumwollballen kamen in Containern an. Der gesamte Container wurde mit einem Verladekran aus dem Laderaum gehievt, über die Pier zum Schuppen transportiert oder auf LKW oder Vancarrier geladen, die sie zum Stellplatz brachten. Die Kaffeesäcke lagen auf Paletten, die per Gabelstapler transportiert wurden. Lediglich kleinere Partien wurden per Hand zusammengestellt. Baumwolle musste im Schuppen zur Waage und zurück zum Lagerplatz mit der Sackkarre gefahren werden. Das waren die einzigen Handarbeiten. Alles andere war mechanisiert. Teile der Tally-Arbeiten - z.B. Verwaltung des Lagerplatzes, Ladelisten etc. - wurden per EDV erledigt. Zusammenarbeit wie in der vorindustriellen Phase gab es nicht mehr. Jeder Staplerfahrer, jeder Kranfahrer, der Lukenviez usw. arbeiteten sich gegenseitig zu, aber auch jeder für sich. Berührungspunkte waren allenfalls Anfang und Ende der jeweiligen Tätigkeit. Die Kommunikation z.B. zwischen Lukenviez und Kranfahrer lief per Funk. Kran- und Staplerfahrer waren speziell qualifiziert und ständig beschäftigt. Außerdem gab es das neue Berufsbild des Schiffsgüterkontrolleurs, der eine breite Qualifikation für alle im Hafen anfallenden Tätigkeiten vom Baumwollewiegen, über das Kran- und Staplerfahren bis zu den mehr verwaltenden Arbeiten des Tallymans hatte. Unständige Arbeiter gab es nur für wenige unqualifizierte Tätigkeiten wie Baumwolle-Wiegen, Säcke in kleinen Partien stapeln. Sie wurden meist über Zeitarbeit-Firmen geheuert. Die Arbeiter wurden nach ÖTV-Tarif bezahlt, allerdings gab es einen hohen Anteil an individueller Akkordarbeit. Der Akkord wurde wegen der hohen Produktivität der Arbeiter ständig erhöht. Z.B. stieg der Akkord für das Baumwollewiegen in zwei Jahren von 180 auf 220 Ballen pro Mann pro Schicht, weil die Arbeiter mit den 180 Ballen in kürzerer Zeit als eine Schicht fertig wurden, um früher Feierabend zu haben. In den 80er Jahren passierte im Bremer Containerhafen ein schwerer Unfall: ein Kran knickte um und fiel so unglücklich auf ein Schiff, dass die Fahrerkanzel genau auf einen Lukenrand traf und der Fahrer getötet wurde. Unglücksursache: Die Hiev war dreizehn Tonnen schwer, acht Tonnen waren für den Kran zugelassen. Mit solchen Hievs lässt sich in kürzerer Zeit mehr leisten, bis zur Grenze der Leistungskraft. Dies ist die industrielle Phase in der Hafenarbeit.
In der vorindustriellen Phase der Arbeit gibt es einen hohen Anteil direkter Kooperation und mangels technischer Kommunikationsmittel einen hohen Anteil direkter personeller Kommunikation. Die Qualifikation der Arbeiter hinsichtlich der Kooperation ergibt sich durch Alltagslernen. Wer etwas falsch macht, wird mit den Auswirkungen seines Fehlers hinsichtlich der Arbeit oder der Kollegen direkt konfrontiert; hierfür steht das Beispiel der Holzhiev: wegen des Schadens, den ich dem Kollegen zugefügt habe, drohte er mir Prügel an, d.h. ich merkte mir, dass ich so einen Fehler nie wieder machen durfte; wegen des Fehlers hinsichtlich der Arbeit zeigte derselbe Kollege mir, wie ich es richtig machen musste. Der Arbeitgeber, irgendein Vorgesetzter oder eine Berufsbildungsinstanz taucht in diesem System nicht einmal als Schatten auf. Extrafunktionale Qualifikationen (allgemeine Arbeitstugenden) in diesem System sind körperliche Kraft, Fleiß, Pünktlichkeit, Kooperation und direkte Kommunikation. Die Kontrolle über die Arbeitsleistung des einzelnen erfolgt durch die Gang (”der klotzt ran” gegen ”der macht uns den Akkord kaputt”). Interessanter Weise sind einige dieser Qualifikationen in der nachindustriellen Phase der Produktion wieder gefragt. So erfolgen Leistungskontrolle und -bewertung in modernen Industrie- und Dienstleistungsbetrieben eher nicht hinsichtlich der Einzelleistung, sondern eher über die Gruppenleistung.
In der industriellen Phase ist die Arbeit weitestgehend in Einzelschritte zerlegt, entsprechend die Spezialisierung der Arbeit vorangeschritten. Kooperation findet nur noch auf einer reduzierten Ebene der Arbeitsteilung statt . Die Spezialisierung der Arbeit erfordert spezifische Qualifikation entsprechend der jeweiligen Tätigkeit. Zwar kann die Qualifikation auch in anderen Arbeitsfeldern eingesetzt werden (der Kranfahrer kann auch auf einer Werft, der Staplerfahrer auch in einem Lagerhaus arbeiten), aber die spezifische Qualifikation kann in diesem Arbeitsbereich Hafen nur für eine Tätigkeit verwendet werden. Daneben gibt es eine umfassende Qualifikation des Schiffsgüterkontrolleurs, die er aber nur in diesem Arbeitsfeld Hafen verwenden kann. Allgemeine Arbeitstugenden (extrafunktionale Qualifikationen) in dieser Phase sind Schnelligkeit und Zuverlässigkeit ohne direkte Kontrolle. Indirekt wird die Arbeit über das Ergebnis im Nachhinein kontrolliert (Einzelakkord).
Die Zusammenarbeit der Arbeiter ist wegen der Zerteilung der Arbeit auf ein Minimum reduziert. Nur an den Übergabestellen z.B. vom Kran auf den Sattelschlepper oder vom Sattelschlepper auf den Vancarrier oder Stellplatz gibt es kurze Momente der Kommunikation. Im übrigen arbeitet jeder Mann für sich. Die Kommunikation erfolgt nur ausnahmsweise direkt personal, in der Regel verläuft sie indirekt über Funk. Die Ansprache erfolgt nicht über den Namen, sondern über die Funktion, z.B. Kranfahrer oder über eine Chiffre, z.B. K 14 für Kran Nr. 14. Die eingeschränkte direkte Kommunikation kann über längere Zeit und insbesondere in der Ausbildungsphase zu kommunikativer Dequalifizierung führen.
Als ich zwanzig Jahre später nach einer längeren Unterbrechung wieder einen modernen Hafen sah, hatte sich alles verändert. Kaffeesäcke oder Baumwollballen kamen in Containern an. Der gesamte Container wurde mit einem Verladekran aus dem Laderaum gehievt, über die Pier zum Schuppen transportiert oder auf LKW oder Vancarrier geladen, die sie zum Stellplatz brachten. Die Kaffeesäcke lagen auf Paletten, die per Gabelstapler transportiert wurden. Lediglich kleinere Partien wurden per Hand zusammengestellt. Baumwolle musste im Schuppen zur Waage und zurück zum Lagerplatz mit der Sackkarre gefahren werden. Das waren die einzigen Handarbeiten. Alles andere war mechanisiert. Teile der Tally-Arbeiten - z.B. Verwaltung des Lagerplatzes, Ladelisten etc. - wurden per EDV erledigt. Zusammenarbeit wie in der vorindustriellen Phase gab es nicht mehr. Jeder Staplerfahrer, jeder Kranfahrer, der Lukenviez usw. arbeiteten sich gegenseitig zu, aber auch jeder für sich. Berührungspunkte waren allenfalls Anfang und Ende der jeweiligen Tätigkeit. Die Kommunikation z.B. zwischen Lukenviez und Kranfahrer lief per Funk. Kran- und Staplerfahrer waren speziell qualifiziert und ständig beschäftigt. Außerdem gab es das neue Berufsbild des Schiffsgüterkontrolleurs, der eine breite Qualifikation für alle im Hafen anfallenden Tätigkeiten vom Baumwollewiegen, über das Kran- und Staplerfahren bis zu den mehr verwaltenden Arbeiten des Tallymans hatte. Unständige Arbeiter gab es nur für wenige unqualifizierte Tätigkeiten wie Baumwolle-Wiegen, Säcke in kleinen Partien stapeln. Sie wurden meist über Zeitarbeit-Firmen geheuert. Die Arbeiter wurden nach ÖTV-Tarif bezahlt, allerdings gab es einen hohen Anteil an individueller Akkordarbeit. Der Akkord wurde wegen der hohen Produktivität der Arbeiter ständig erhöht. Z.B. stieg der Akkord für das Baumwollewiegen in zwei Jahren von 180 auf 220 Ballen pro Mann pro Schicht, weil die Arbeiter mit den 180 Ballen in kürzerer Zeit als eine Schicht fertig wurden, um früher Feierabend zu haben. In den 80er Jahren passierte im Bremer Containerhafen ein schwerer Unfall: ein Kran knickte um und fiel so unglücklich auf ein Schiff, dass die Fahrerkanzel genau auf einen Lukenrand traf und der Fahrer getötet wurde. Unglücksursache: Die Hiev war dreizehn Tonnen schwer, acht Tonnen waren für den Kran zugelassen. Mit solchen Hievs lässt sich in kürzerer Zeit mehr leisten, bis zur Grenze der Leistungskraft. Dies ist die industrielle Phase in der Hafenarbeit.
In der vorindustriellen Phase der Arbeit gibt es einen hohen Anteil direkter Kooperation und mangels technischer Kommunikationsmittel einen hohen Anteil direkter personeller Kommunikation. Die Qualifikation der Arbeiter hinsichtlich der Kooperation ergibt sich durch Alltagslernen. Wer etwas falsch macht, wird mit den Auswirkungen seines Fehlers hinsichtlich der Arbeit oder der Kollegen direkt konfrontiert; hierfür steht das Beispiel der Holzhiev: wegen des Schadens, den ich dem Kollegen zugefügt habe, drohte er mir Prügel an, d.h. ich merkte mir, dass ich so einen Fehler nie wieder machen durfte; wegen des Fehlers hinsichtlich der Arbeit zeigte derselbe Kollege mir, wie ich es richtig machen musste. Der Arbeitgeber, irgendein Vorgesetzter oder eine Berufsbildungsinstanz taucht in diesem System nicht einmal als Schatten auf. Extrafunktionale Qualifikationen (allgemeine Arbeitstugenden) in diesem System sind körperliche Kraft, Fleiß, Pünktlichkeit, Kooperation und direkte Kommunikation. Die Kontrolle über die Arbeitsleistung des einzelnen erfolgt durch die Gang (”der klotzt ran” gegen ”der macht uns den Akkord kaputt”). Interessanter Weise sind einige dieser Qualifikationen in der nachindustriellen Phase der Produktion wieder gefragt. So erfolgen Leistungskontrolle und -bewertung in modernen Industrie- und Dienstleistungsbetrieben eher nicht hinsichtlich der Einzelleistung, sondern eher über die Gruppenleistung.
In der industriellen Phase ist die Arbeit weitestgehend in Einzelschritte zerlegt, entsprechend die Spezialisierung der Arbeit vorangeschritten. Kooperation findet nur noch auf einer reduzierten Ebene der Arbeitsteilung statt . Die Spezialisierung der Arbeit erfordert spezifische Qualifikation entsprechend der jeweiligen Tätigkeit. Zwar kann die Qualifikation auch in anderen Arbeitsfeldern eingesetzt werden (der Kranfahrer kann auch auf einer Werft, der Staplerfahrer auch in einem Lagerhaus arbeiten), aber die spezifische Qualifikation kann in diesem Arbeitsbereich Hafen nur für eine Tätigkeit verwendet werden. Daneben gibt es eine umfassende Qualifikation des Schiffsgüterkontrolleurs, die er aber nur in diesem Arbeitsfeld Hafen verwenden kann. Allgemeine Arbeitstugenden (extrafunktionale Qualifikationen) in dieser Phase sind Schnelligkeit und Zuverlässigkeit ohne direkte Kontrolle. Indirekt wird die Arbeit über das Ergebnis im Nachhinein kontrolliert (Einzelakkord).
Die Zusammenarbeit der Arbeiter ist wegen der Zerteilung der Arbeit auf ein Minimum reduziert. Nur an den Übergabestellen z.B. vom Kran auf den Sattelschlepper oder vom Sattelschlepper auf den Vancarrier oder Stellplatz gibt es kurze Momente der Kommunikation. Im übrigen arbeitet jeder Mann für sich. Die Kommunikation erfolgt nur ausnahmsweise direkt personal, in der Regel verläuft sie indirekt über Funk. Die Ansprache erfolgt nicht über den Namen, sondern über die Funktion, z.B. Kranfahrer oder über eine Chiffre, z.B. K 14 für Kran Nr. 14. Die eingeschränkte direkte Kommunikation kann über längere Zeit und insbesondere in der Ausbildungsphase zu kommunikativer Dequalifizierung führen.
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