Mittwoch, 26. Oktober 2022
Neue Hoffnung nach den Katastrophen
Als die britischen Besatzer 1945 in das völlig zerstörte Hamburg einmarschierten, setzten sie als erstes eine Brauerei in Betrieb, sorgten dafür, dass die Straßenbahnen wieder fuhren und zwar mit neuen Fensterscheiben. Das Signal dieser zunächst verblüffenden Aktivitäten hieß: Es geht wieder aufwärts. Die Straßenbahnen fuhren in alle Stadtteile und trugen die frohe Botschaft überall hin. Und Bier gab's wieder und hob die Stimmung.

Als Hans Koschnik, Ex-Bürgermeister in Bremen, nach dem Balkan-Krieg EU-Administrator in Mostar für Bosnien-Herzegowina war, war er verantwortlich für den Wideraufbau. Koschnik hatte am Ende des Kriegs in Hamburg gelebt, und erinnerte sich an die verglasten Straßenbahnen. Nun gibt es in Mostar keine Straßenbahn, aber eine im Krieg zerstörte Brücke über den Fluss Neretva, das Wahrzeichen der Stadt. Die Brücke verbindet den bosnischen mit dem herzegowinischen Stadtteil. Koschnik sorgte als erstes dafür, dass dieses Wahrzeichen rekonstruiert wurde, als Symbol für den Wiederaufbau und die Verbindung der beiden Volksteile. Übrigens Mostar heißt Brücke.
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Ähnliche Überlegungen werden jetzt für die Ukraine angestellt. Bereits jetzt während der russischen Bombardements auf die ukrainische Infrastruktur, sollen möglichst viele zerstörte Straßen, Brücken, Kraft- und Wasserwerke, Bahnhöfe und Gleisanlagen funktionsfähig gemacht werden. Das hat praktischen Nutzen, aber auch einen symbolischen: Die terrorisierten UkrainerInnen können so wieder Hoffnung schöpfen. Wie damals in Hamburg und Mostar.

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Dienstag, 25. Oktober 2022
Das alte Lied - noch immer
Beim Spaziergang auf dem Deich kommen mir zwei Männer entgegen. Sie gehen dicht neben einander, der eine etwas nach hinten versetzt. Sie halten sich an den Händen. Als der Abstand zwischen mir und ihnen etwa fünf Meter beträgt, lässt der eine Mann die Hand des anderen los. Ansonsten ändern sie nichts. Als wir auf einer Höhe sind, sehe ich aus dem Augenwinkel, dass sie sich wieder anfassen.

Wir haben eine schlimme Geschichte der Homosexualität hinter uns. Schon nach der Reichsgründung 1871 wurden homosexuelle Handlungen nach § 175 StGB bestraft, 1935 verschärften die Nazis den § und drohten mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren. Zudem wurden homosexuelle Männer in Konzentrationslagern eingesperrt, gefoltert und teilweise ermordet.

Auch nach 1949 bestand der § in der Bundesrepublik weiter, bekamen Männer Freiheitsstrafen. Erst 1969 gab es eine Reform, nach der Beziehungen von volljährigen Männern (über 21 Jahre) straffrei blieben. 1994 wurde der § ganz abgeschafft.

Die Verfolgung wurde bis 1969 unterschiedlich streng praktiziert. Im Lauf der Jahre gab es immer weniger Freiheitsstrafen. Vielfach wurde gar nicht mehr verfolgt. Grund war die allgemeine liberalere Gesellschaftsentwicklung. Aber nicht nur die Justiz sorgte über Jahrzehnte für die Stigmatisierung und Bestrafung Homosexueller, sondern auch die öffentliche Meinung. Sie wurden am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, allgemein diffamiert. Das wirkt noch immer nach.

Der Beweis war das Paar auf dem Deich. Sie trauten sich nicht, offen zu ihren Partner zu stehen. Sie konnten ja nicht wissen, ob ich liberal bin oder nicht. Sie fürchteten was? Dumme Bemerkungen, Pöbelei, einen tätlichen Angriff. Kommt alles noch immer vor. "Du Homo", ist unter Jugendlichen noch immer ein Schimpfwort. Viele ältere Männer verstecken sich noch immer in der Öffentlichkeit, sogar in der eigenen Wohnung.

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Theorie und Praxis bei der Müllabfuhr - Oder: Morgenstern aktuell
Neulich war unsere Mülltonne nach der Abfuhr noch halb voll. Mein Verdacht, dass irgendetwas die Tonne verstopfte, bestätigte sich nicht. Der Rest ließ sich mühelos umrühren. Nun wollte ich einen alten Farbeimer entsorgen, der die Tonne für die nächste Woche blockiert hätte. Beim Recycling-Hof erhielt ich die Auskunft, ich könne den Fall telefonisch der Bremer Stadtreinigung melden, dann würde die Tonne gelehrt.

Mein Anruf bei der "Service"-Nummer blieb insofern erfolglos. Die Frau klang schon am Angang des Gesprächs etwas unwirsch. Ich brachte meine Bitte vor. Nun hätte sie sagen können: "Das machen wir nicht, das ist zu teuer." Hätte ich wahrscheinlich resigniert. Stattdessen hielt sie mir einen langen Vortrag, DASS die Tonne leer sein müsse, - "Schwerkraft, sagt Ihnen das was?" - dass ich die Tonne zu fest gestopft hätte, ich also selber schuld sei, ich müsse die volle Tonne mit einem Spaten umrühren, dann KÖNNE so etwas nicht passieren.

Mein Einwand, dass das wohl theoretisch richtig sein könne, praktisch aber falsch WAR, ließ sie nicht gelten. Ich legte mit einem kurzen "Tschüß" auf.

Mir fiel die Gedichtzeile von Christian Morgenstern ein: "Was nicht sein darf, auch nicht sein kann." Vor etwa hundert Jahren geschrieben. Dass auch eine Theorie falsch sein muss, wenn die Praxis ihr widerspricht, kommt in diesem bornierten Denksystem nicht vor.

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Freitag, 21. Oktober 2022
Merz und die Brandstifter
Der Schweizer Autor Max Frisch veröffentlichte 1958 das Hörspiel "Biedermann und die Brandstifter". Darin bewirtet ein reicher Fabrikant zwei fremde Gäste, die Brandstiftung an Gasspeichern planen. Alle Zeichen stehen dafür, dass ihnen die Anschläge gelingen. Herr Biedermann übergibt ihnen schließlich sogar die Streichhölzer, die der Stadt den Untergang bringen.

Diese Parabel auf das Aufkommen des Faschismus mit seinen katastrophalen Folgen findet gegenwärtig ein Wiederholung im Realen.

Die Wiederholung des Unworts des Jahres 2013 - ukrainische Flüchtlinge als "Sozialflüchtlinge" - durch Fr. Merz folgt demselben Drehbuch wie Frischs Hörspiel. Da nützt es auch nichts, dass Merz nach Kritik eifrig zurückruderte (s. miniaturen von 28.9.). Und jetzt brennt - mal wieder! - in Mecklenburg eine Flüchtlingsunterkunft. Soll niemand behaupten, dass die flüchtlingsfeindlichen Äußerungen - nicht nur von Merz - damit nichts tun haben. Die Zusammenhänge sind evident!

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Mittwoch, 19. Oktober 2022
Bayern ist nicht Deutschland
Nein, Herr Dobrindt, Bayern ist nicht Deutschland!

Leider muss die bayrische Landesregierung zu allem ihren Senf dazugeben. Auch in der Frage der Abschaltung der letzten drei AKW drängte Dobrindt sich in der Pressekonferenz hinter Merz an die Rampe und verkündete, das Abschalten der AKWs "gefährdet die Energiesicherheit in Deutschland". Das mag für Bayern gelten, das sich beharrliche weigert, die erneuerbaren Energien - Wind, Sonne - endlich und beschleunigt auszubauen und die Übertragungsleitungen aus Norddeutschland zuzulassen.

Nein, Herr Dobrindt, wir im Norden haben kein Stromproblem, außer dass wir mehr produzieren, als wir verbrauchen. Das Problem seid ihr und habt ihr im Süden.

Und dann: Das AKW Lingen produziert schon jetzt stetig weniger Strom, weil es sich auf eine Abschaltung zum 31.12. vorbereitet hat. Dass es jetzt bis April weiterlaufen soll, bringt fast nichts an Leistung. Dieses "Machtwort" des Kanzlers verdeckt nur notdürftig die Absurdität der Debatte. Es ging nur ums Rechthaben. Rechtlich ist die jetzt verordnete Regelung streng genommen unwirksam, energiepolitisch sinnlos. Ob die AKWs, besonders in Lingen weiterlaufen, ist so wichtig wie wenn am Olsdorfer Friedhof ein Spaten umfällt. Aber Dobrindt und die anderen Platzhirsche hätscheln so ihr armes Ego.

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Montag, 17. Oktober 2022
Worum es zwischen Habeck und Lindner geht
Nur zur Erinnerung, worum es in dem Wort- und Meinungsstreit über den Weiterbetrieb der drei AKW geht: Es geht um die marginalen 6% Strom, die die beiden Kraftwerke liefern. Diese 6% ließen sich leicht kompensieren, wenn Bayern seinen Widerstand gegen den Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion aufgäbe. Auch könnte man die Stromlieferungen nach Frankreich reduzieren, was die Franzosen motivierte, ihre Windkraft an den schier endlosen Atlantikküsten zügig auszubauen.

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Sonntag, 16. Oktober 2022
Was haben Mieterhöhungen mit der internationalen Finanzwelt zu tun?
Erst hat sie totalen Bockmist produziert. Sie, das war die Hausbesitzerin eines großen Altbaus in einer passablen Gegend. Was war passiert? Sie hatte den Bewohnern der Dachmansarden ohne Bad, Klo auf halber Treppe, die Miete drastisch erhöht. Und sie hatte den Bewohnern des Hochparterres den Mietzins reduziert und einige Nebenosten erlassen.

Das Ergebnis: Die Dachmansarden-Bewohner beschwerten sich lautstark. Selbst der Verein der Haus- und Grundeigentümer kritisierten moderat: das ging nun doch nicht, das würde das Ansehen ihrer Mitglieder beschädigen, und der Mieterverein unterstützte die oberen Stockwerke mit gesetzten, aber starken Worten. Die Boulevard-Presse titelte reißerisch: "Skandal im Mietshaus". - Sie musste zurückrudern: Die Mieten wurden - einstweilen - auf dem alten Level eingefroren. Um ihr Image aufzubessern, entließ sie ihren Steuerberater.

O.K. Die Hausbesitzerin heißt Liz Truss und ist Premierministerin des Vereinigten Königreichs. Der Steuerberater heißt Kwasi Kwarteng und war Finanzminister des UK. Sie wollte die Steuern der Reichen senken und die der Ärmeren erhöhen, so ganz unverfroren. Sie erntete gesellschaftliche Kritik in Presse und Öffentlichkeit, die Opposition schäumte, und selbst in der eigenen konservativen Partei regte sich Widerspruch. So geht's ja nun auch nicht. Das ist nicht konservativ! Die internationale Finanzwelt geriet ins straucheln

Was war zu tun? Alles auf Anfang und den Finanzminister feuern, um die eigene Haut zu retten. Einen schlechteren Regierungsstart hat wohl nie eine Premierministerin, kein Premierminister geliefert. Ob sie diese Eskapaden langfristig überlebt, scheint höchst fragwürdig. Und auch nicht wünschenswert.

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Samstag, 15. Oktober 2022
Sakrileg: Greta für AKWs?
Die Popikone der Umwelt-Bewegung, Greta Thunberg, ist in der Realität angekommen. Sie, die bisher für einen radikalen Umweltschutz stand, eine weltweite Bewegung, Fryday for Future, ausgelöst hat, hat sich in einer Talk-Show dafür ausgesprochen, AKWs weiter laufen zu lassen, um die Kohlekraftwerke früher abschalten zu können.

Die Grünen stehen Kopf: Greta hat am heiligen Gral der Partei gerüttelt. Frydays for Future hat sich noch nicht geäußert. Nun ist Greta nicht unbedingt eine Fachfrau, aber offenbar ist sie realistischer als bisher vermutet.

Allerdings, ihre Aussage bei Sandra Maischberger wurde in der Boulevard-Presse und sonstigen Öffentlichkeit meist verkürzt wiedergegeben. Sie hat sich nämlich nicht einfach so für den Weiterbetrieb der AKWs ausgesprochen, sondern genau die aktuellen Bedingungen reflektiert. Der Überfall Russlands auf die Ukraine, die Sanktionen der Westmächte und Russlands Reaktionen schaffen eine neue Situation. Wenn die Energie in Form von Gas und Erdöl knapp wird - was ja noch nicht ausgemacht ist - muss vorübergehend auf Kohle und Atom zurückgegriffen werden, wobei, und da hat Greta wirklich Recht, fürs Klima Atomkraft schonender ist als Kohle, mal abgesehen von den Gefahren und Langzeitwirkungen der Kernkraft.

Eigentlich hat Greta nichts anderes gesagt als Robert Habeck. So what?

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Montag, 10. Oktober 2022
Solidarität auf Polnisch
Als die deutsche Bundesregierung kürzlich den "Doppelwumms" plante, in dem sie Unternehmern und Verbrauchern mit 200 Milliarden Euro unter die Arme greifen will. Er folgte damit einem Modell, das u.a. in Frankreich, Italien, Spanien bereits realisiert wurde.

Bei dem polnischen Ministerpräsidenten löste das wohl Übelkeit aus: Deutschland würde etwas versprechen, was sich ärmere Ländern, wozu er auch Polen zählte, nicht leisten könnten. Nun ja, müssen sie auch nicht: Das 80-Millionen-Volk der Deutschen hat größeren Bedarf als das 30-Millionen-Volk Polen.

Überraschend forderte er von Deutschland aber "Solidarität" mit den ärmeren Ländern - was immer das auch heißen soll. "Solidarität" klingt bei Morawieckis (PiS) so unwahrscheinlich wie Sonnenbrand am Nordpol. Man hätte es gern gehört, als 2015 hunderttausende Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern und Diktaturen nach Europa drängten, von denen Deutschland achthunderttausend aufnahm, während Polen sich hartnäckig weigerte, auch nur hundert aufzunehmen. Wo war da die Solidarität nicht nur mit Deutschland, sondern vor allem mit den Flüchtlingen?

Heute nimmt Polen ukrainische Kriegsflüchtlinge auf, außer den schwarzen Studenten aus Kiew und anderswo. Die könne ja nach Deutschland weiterreisen.

Solidarität heißt Gegenseitigkeit und ist unteilbar. Das dem Herrn Ministerpräsidenten ins Stammbuch!

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Ente? Nicht jeden Tag!
Neulich wurde in den Nachrichten für Kinder über Energiesparen gesprochen. Die Kinder zählten auf, wie man/frau sparen kann. Man kann die Heizung `runterdrehen, nur stoßweise lüften, den Gasherd auf Sparflamme stellen, immer beim Verlassen eines Raums das Licht ausmachen usw. Zuletzt kam von einem Jungen der Ratschlag, man müsse ja nicht jeden Tag eine Ente in den Backofen schieben.

Da wäre ich nicht so einfach drauf gekommen.

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Kein Strom für Söder!
Der überwiegende Teil des Stroms kommt in Deutschland aus dem Norden, vor allem der Öko-Strom. So viel, dass die Stromleitungen nach Süden es manchmal nicht packen. Das liegt daran, dass Söder, die CSU und das Land Bayern sich starrköpfig weigern, zusätzliche Leitungen und mehr Windräder ins Land zu lassen.

Allerdings habe man, so Söder, ein AKW in Bayern, das man auch behalten wollen, trotz der nachgewiesenen Schäden, die ein Sicherheitsrisiko darstellen. Zudem müsse man ja Strom, also Atom-Strom, nach Frankreich exportieren.

Da fragt sich der kritische Zeitgenosse: "Hä, die haben doch selber ganz viele AKWs." Stimmt, aber die Hälfte davon liegt still - wegen nachgewiesener Schäden und wegen Sicherheitsrisiken.

Wo, bitte sehr, Herr Ministerpräsident, ist da die Logik? Das beweist mal wieder - entgegen allen Behauptungen - wie miserabel das bayrische Bildungssystem ist.

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Mittwoch, 28. September 2022
Inflation der Kirchenaustritte
Die Kirchen, besonders die katholische, spielen mit ihrer Existenz: Trotz massiver Kirchenaustritte können sie sich nicht zu Reformen entschließen.

Vor dreißig Jahren waren ca. 60 % der deutschen Bevölkerung Kirchenmitglieder und zwar jeweils ca. 30 % katholische und evangelische. Jetzt gibt es nur 50 % Kirchenmitglieder, ein massiver Schwund. D.h., dass ca. 8 Millionen ausgetreten sind, vor allem in jüngster Zeit und aus der katholischen Kirche. Die fehlenden Konsequenzen aus den Missbrauch-Skandalen waren entscheidende Auslöser.

Gut so und weiter so. Die Geschichte der Katholischen Kirche der letzten tausend Jahre beweist: Die ist nicht reformierbar. Bei der evangelischen ist die Geschichte nicht so lang (500 Jahre), unterscheidet sich in der Reformierbarkeit nur unwesentlich von der Konkurrenz.

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Merz - Zurückrudern mit System
Zuerst dachte ich: Donnerwetter, der Mann hat doch Charakter. Hätte ich nicht gedacht.
Bei genauerem Hinhören kamen mir zunächst Zweifel, dann die Gewissheit: Der Mann hat Charakter, und zwar einen schlechten.

Friedrich Merz posaunte bei "Bild live" etwas über "Sozialtouristen" aus. Das war 2013 bereits Unwort des Jahres. Es hat Chance, es wieder zu werden. Abgesehen davon, dass es laut Aussagen von Fachleuten dafür keinerlei Belege gibt, es ist einfach dreist. Merz bedient sich dabei in gefährliche Nähe zu Rechtsaußen. Dort wird der Vorwurf systematisch verwendet.

Der erwartbare Widerspruch nicht nur von links, sondern auch aus der Union kann Merz nicht überrascht haben. Vielmehr hat er ihn wohl vorausgesehen. Und nun kommt das, was nicht nur bei Unionspolitikern, sondern vor allem von rechtaußen bekannt ist. Man haut eine Parole `raus, die Chance auf breite Diskussion hat, wenn jedeR das Wort und den Sprecher kennt, wird mit einem Dementi oder einer Entschuldigung - "ist mir nur so `rausgerutscht" - halb zurückgenommen. Das Dementi kam auch nicht im selben Medium "Bild live", in dem das Wort gefallen war, sondern nur auf Twitter, hatte damit also eine geringere Verbreitung.

Liberale und Linke sollen denken: "Aha, so kann er auch", so wie ich zunächst. Die Rechten denken, der Mann sei doch gar nicht so verkehrt und überlegen bei nächste Gelegenheit, ob AfD oder CDU gewählt wird. Das ist eine bekannte Masche von CDU- und AfD-Politikern, wie bei früheren Gelegenheiten.

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Montag, 26. September 2022
Politische Bildung 2.0
Wurde aber auch Zeit: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa Pau (Grüne) haben ein Gesetz zur "Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement gegen Extremismus" vorgelegt. Das gab es schon zu Zeiten der Großen Koalition, wurde aber von der CDU ausgebremst. Derweil feierte der Rechtsextremismus und Neo-Faschismus Höhepunkte.

Das passierte - zufällig? - zu einer Zeit, in der die politische Bildung systematisch abgebaut wurde. Gegen alle Warnungen von Fachleuten und fortschrittlichen Parteien! Wo es noch Ansätze politischer Bildung gab, mussten diese sich von Projekt von Projekt hangeln.

Nun wird wenigstens eine langfristige Förderung geplant, es soll keine kurzfristigen Projekte mehr geben. Die politische Bildung, die freilich nicht mehr so heißt, soll eine "gesellschaftlich dauerhafte Aufgabe von zentraler politischer Bedeutung" sein. Das Gesetz sei eine "dringend notwendige Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen".

Kritiker fürchten, die Voraussetzung, die "Gewährleistung der Ziele des Grundgesetzes bei der Umsetzung der Maßnahmen", könne sich als Pferdefuß erweisen. Früher hieß es genauso schwammig, die "freiheitlich demokratische Grundordnung" müsse gewährleistet sein. Immer wieder wurde damit die Knebelung politisch missliebiger Projekte begründet.

Nun liegt der Gesetzentwurf auf dem Tisch der Ampel-Koalition. Man kann gespannt sein, was die gelbe Lampe der Ampel dazu sagt.

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Weidel findet Ex-Faschistin und Silvio Bunga-Bunga Berlusconi gut
Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag gratulierte der Vorsitzenden der "Brüder Italiens" (Fratelli d'Italia), der BRÜDER. Gegendert wird nicht! Die Dame, Giorgia Meloni, hat gute Aussichten, neue Ministerpräsidentin zu werden. Sie war Mitglied einer neofaschistischen Studentenorganisation, mutiert aber aus Zweckmäßigkeitsgründen zu den Nationalkonservativen, was ihrer politischen Karriere zu Gute kam. Nach wie vor schwärmt sie für Mussolini.

Und dieser Frau gratulierte Frau Weigel (AfD), und nicht nur die, sondern auch Orban (Ungarn), Marine Le Pen (Frankreich) und die polnische Regierung. Grüße aus Schweden stehen noch aus. Die Unterschiede von nationalkonservativ, reaktionär, rechtsextrem und faschistisch werden immer undeutlicher.

Quo vadis Europa?

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Kontaktlose Gastfreundschaft
Die Digitalisierung treibt sonderbare Blüten. Ich warte auf den Zeitpunkt, zu dem auch die menschliche Fortpflanzung per Whatsapp erfolgt. Bei der Gastfreundschaft sind wir schon so weit.

Neulich waren wir in einer Gartenwirtschaft (in Schweden, aber das tut nichts zu Sache). Wir nahmen an einem Tisch Platz und warteten darauf, dass jemand kam, um unsere Bestellung aufzunehmen. Auf dem Tisch stand eine Karte mit einem QR-Code, o.k. dachten wir: Corona. Nichts passierte. Nun dachten wir uns schon, dass man vielleicht an der Theke bestellen musste. Wir fragten am Nachbartisch. "Nein, per SMS", war die kurze Antwort.

Kam mir komisch vor, also ging ich doch zur Theke. Dort war eine große Tafel mit dem Menü. Ich wählt etwas aus und orderte beim Mann hinter der Theke. Er guckte abschätzig auf meine Haare (grau), nahm mürrisch die Bestellung auf und fragte nach meiner Handy-Nummer. Nun gebe ich die eigentlich nur guten Freunden, machte aber, zum Glück, eine Ausnahme. Dann widmete er sich wieder dem Grill. Ich ging zurück zum Tisch. Nichts passierte.

Irgendwann tutet mein Handy: eine kryptische Meldung, aus der ich entnahm, unser Essen sei fertig. Ich tappte wieder zur Theke, da stand das Gewünschte. Ich zahlte mit Karte. Wieder der abschätzige Blick.

Ich erkundigte mich bei den Tischnachbarn. Das richtige Prozedere wäre gewesen: Den QR-Code auf dem Tisch scannen, dann kommt die Speisekarte. Die Speisen sind nummeriert. Per SMS wird geordert. Wenn's Essen fertig ist, kommt eine SMS zurück. Dann steht meine Bestellung auf dem Tresen. Gezahlt wird wieder per Handy. Ausnahmsweise wird eine Scheck- oder Kredit-Karte akzeptiert. Menschliche Kommunikation in irgendeiner Form ist in diesem System nicht vorgesehen. Immerhin kann man noch mit den Tischnachbarn reden. Wann wird auch das abgeschafft?
1984 - Brave New World, von Aldous Huxley

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