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Mittwoch, 15. Januar 2025
Sprache und Dialekt
jf.bremen, 18:01h
Sprache ist nicht nur national bzw. kulturell, sondern regional, sozial und geschlechtsspezifisch vermittelt. Diedier Eribon entwickelt das an seiner Person und seiner alten Mutter.
Die ist ungelernte Arbeiterin, lebt in einem Arbeiterviertel, war gewerkschaftlich engagiert und politisch links orientiert. Sie spricht die Sprache ihrer Klasse bzw. Schicht, ihres Wohnumfelds und des spezifischen Betriebs. Ihr Sohn Didier wächst mit ihrem Vorbild und seiner Umgebung auf. Er hat in der Grundschule so gute Zensuren, dass ihm der Besuch des Gymnasiums geraten und ermöglichst wird, anschließend ein Studium und eine akademische Karriere.
Im Laufe dieses Prozesses verändert sich seine Sprache: Er nimmt das Idiom seiner Klassenkameraden und der akademischen Schicht an. Dabei entfernt er sich immer weiter sozial und emotional von seiner Mutter und wird seinen Geschwistern immer fremder. Er erlebt das als belastend und zugleich befreiend.
Bei mir es genau umgekehrt: Kind eines akademischen Elternhauses, Bruder eine Gymnasiastin und Studentin, entferne ich mich von meiner Umgebung. Als die Schwester feststellt, dass seine AltersgenossInnen ihn schneiden, befragt sie Diese. Die Antwort: Der spricht so komisch.
Um den Widerspruch aufzulösen, nahm ich das Kieler Idiom – teilweise übertrieben – an. Auch das Ostpreußisch vieler meiner Klassenkameraden in der Volksschule versuchte ich zu imitieren. Jetzt hieß es von den Eltern: Sprich nicht so ordinär. Meine erste Erfahrung mit der Arbeitswelt als Hafen- und Fabrikarbeiter führt dazu: Die Kollegen fühlten sehr wohl, dass ich mich betont sprachlich „anbiedern“ wollte, und amüsierten sich über mich.
Erst beim Militär löste der Widerspruch sich auch. Die Begegnung mit dem heimatlichen Idiom und zugleich mit dem des Ruhrpotts führte dazu, dass ich beide sprechen konnte. Im Studium musste ich eine Sprechausbildung absolvieren, so dass ich am Ende die deutsche Hochsprache, das Kielerische, das Ostpreußische und den Ruhr-Dialekt ziemlich gut beherrschte.
Meine zeitweilige südhessische Wohnumgebung und der Kontakt nach Schwaben zeigten mir, dass auch Dialekte sozial unterschiedlich sind. In Hessen galt im akademischen Kleinbürgertum eine gewisse Vertrautheit mit dem Dialekt nicht als standeswidrig. Es durfte nur nicht zu breit gesprochen werden. Im Schwäbischen gibt es das „Honoratioren-Schwäbisch“. Es wird von AkademikerInnen wie von PolitikerInnen gesprochen.
Und noch etwas las ich bei Eribon: In den häufigeren Begegnungen mit der alten Mutter – er musste sich um den Pflegefall kümmern – glich er sich wieder deren Idiom an. Bei mir führte das zu einer kleinen schriftstellerischen Arbeit im heimatlichen Milieu und Idiom: „Heino – Geschichten aus dem Kieler Vorstadtkosmos.“
Die ist ungelernte Arbeiterin, lebt in einem Arbeiterviertel, war gewerkschaftlich engagiert und politisch links orientiert. Sie spricht die Sprache ihrer Klasse bzw. Schicht, ihres Wohnumfelds und des spezifischen Betriebs. Ihr Sohn Didier wächst mit ihrem Vorbild und seiner Umgebung auf. Er hat in der Grundschule so gute Zensuren, dass ihm der Besuch des Gymnasiums geraten und ermöglichst wird, anschließend ein Studium und eine akademische Karriere.
Im Laufe dieses Prozesses verändert sich seine Sprache: Er nimmt das Idiom seiner Klassenkameraden und der akademischen Schicht an. Dabei entfernt er sich immer weiter sozial und emotional von seiner Mutter und wird seinen Geschwistern immer fremder. Er erlebt das als belastend und zugleich befreiend.
Bei mir es genau umgekehrt: Kind eines akademischen Elternhauses, Bruder eine Gymnasiastin und Studentin, entferne ich mich von meiner Umgebung. Als die Schwester feststellt, dass seine AltersgenossInnen ihn schneiden, befragt sie Diese. Die Antwort: Der spricht so komisch.
Um den Widerspruch aufzulösen, nahm ich das Kieler Idiom – teilweise übertrieben – an. Auch das Ostpreußisch vieler meiner Klassenkameraden in der Volksschule versuchte ich zu imitieren. Jetzt hieß es von den Eltern: Sprich nicht so ordinär. Meine erste Erfahrung mit der Arbeitswelt als Hafen- und Fabrikarbeiter führt dazu: Die Kollegen fühlten sehr wohl, dass ich mich betont sprachlich „anbiedern“ wollte, und amüsierten sich über mich.
Erst beim Militär löste der Widerspruch sich auch. Die Begegnung mit dem heimatlichen Idiom und zugleich mit dem des Ruhrpotts führte dazu, dass ich beide sprechen konnte. Im Studium musste ich eine Sprechausbildung absolvieren, so dass ich am Ende die deutsche Hochsprache, das Kielerische, das Ostpreußische und den Ruhr-Dialekt ziemlich gut beherrschte.
Meine zeitweilige südhessische Wohnumgebung und der Kontakt nach Schwaben zeigten mir, dass auch Dialekte sozial unterschiedlich sind. In Hessen galt im akademischen Kleinbürgertum eine gewisse Vertrautheit mit dem Dialekt nicht als standeswidrig. Es durfte nur nicht zu breit gesprochen werden. Im Schwäbischen gibt es das „Honoratioren-Schwäbisch“. Es wird von AkademikerInnen wie von PolitikerInnen gesprochen.
Und noch etwas las ich bei Eribon: In den häufigeren Begegnungen mit der alten Mutter – er musste sich um den Pflegefall kümmern – glich er sich wieder deren Idiom an. Bei mir führte das zu einer kleinen schriftstellerischen Arbeit im heimatlichen Milieu und Idiom: „Heino – Geschichten aus dem Kieler Vorstadtkosmos.“
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